Es war in Berlin. Gabriele Beyerlein. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gabriele Beyerlein
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738018554
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Plauderei, die sich zwischen den Eltern und dem Hauptmann entspann. Obwohl sie die Augen niedergeschlagen hielt, spürte sie immer wieder seinen Blick auf sich – und den Blick der Mutter, der zwischen ihr und Hauptmann von Klaasen hin und her ging.

      Schon nach wenigen Minuten erklärte der Vater, seine Geschäfte warteten auf ihn, und kaum war der Vater gegangen, erhob sich auch die Mutter und bedauerte, nicht weiter die angenehme Gesellschaft des Hauptmanns teilen zu können, weil sie dringend ein Musikstück einstudieren müsse, das sie am Abend zum Besten geben wolle. Höflich wollte auch er sich verabschieden, doch die Mutter hinderte ihn daran: Er möge doch mit Margarethes Konversation vorliebnehmen und möge sich nicht stören lassen, wenn sie nebenan ein wenig Klavier übe.

      Margarethe stieg das Blut in den Kopf. Was für ein abgekartetes Spiel! Niemals sonst ließ die Mutter sie mit einem Herrn allein, und nun verschwand sie im Musiksaal und ließ die doppelflügelige Glastür nur gerade so viel offen, wie es der Anstand dringend erforderte.

      Nebenan erklang Für Elise, ein Stück, das die Mutter auswendig zu spielen pflegte und auch in seinem schwierigeren Mittelteil völlig fehlerlos und im richtigen Tempo beherrschte. Diese schmachtenden Töne!

      Der Hauptmann sah auf seine Hände, faltete sie ineinander, verknotete sie. Eine Welle von Sympathie stieg plötzlich in ihr auf. Offensichtlich war ihm die Situation genauso unangenehm wie ihr!

      »Ich hatte schon lange vor, bei Ihnen vorstellig zu werden, Baronesse«, begann er zögernd.

      Sie lächelte ihr strahlendstes Lächeln. »Ja, ich habe Sie erwartet. Wir müssen über unsere Darstellung bei dem Wohltätigkeitsfest sprechen, nicht wahr? Königin Luise und Napoleon. Johann Nietnagel steht ja nun glücklicherweise als Dichter nicht mehr zur Debatte. Aber wir sollten mit Ihrer werten Cousine ein wenig beraten, auf welche Art sie den Stoff zu fassen gedenkt. Was meinen Sie?«

      »Gewiss, ja, das auch. Sie dürfen versichert sein, es ist mir eine große Freude und Ehre, mit Ihnen gemeinsam in diesem Stück auftreten zu dürfen.« Er stockte, fuhr schließlich fort: »Aber das Werk mit der Verfasserin abzusprechen, denke ich, kann ich ganz und gar Ihnen überlassen, Verehrteste. Sie wissen ja aus unseren Tischgesprächen: In Sachen Kunst und Literatur bin ich nicht so bewandert wie Sie.«

      Sie neigte leicht den Kopf.

      Er warf ihr einen tiefen Blick zu. »Ich bewundere sehr Ihre Bildung im Kulturellen. Ihr seelenvolles Klavierspiel. Ihre Schönheit. Ihren hinreißenden Charme. Dieses Unbeschwerte, Leichte, wenn ich es so nennen darf. In Ihrer Gegenwart, im Haus Ihrer Eltern, darf man den Ernst der Welt vergessen und fühlt sich emporgehoben zu den erhabeneren Dingen, tritt sozusagen ein in das Reich der Musen. Was für eine wohltuende Erholung für einen Mann des Militärs, der pflichtgetreu seinen Dienst für Kaiser und Vaterland tut und auf die Stunde seiner Bewährung wartet.«

      »Eine Stunde, die hoffentlich nie eintritt«, gab sie zurück. »Die Künste gedeihen nun einmal nur im Frieden, und es bedarf solcher Männer, wie Sie einer sind, um diesen zu sichern.«

      »Wie schön Sie das sagen«, erwiderte er. »Wenn Sie einmal einen eigenen Salon führen werden, wird er dem Ihrer verehrten Frau Mutter in nichts nachstehen.«

      Um Himmels willen, was für eine Richtung nahm das Gespräch! Als Nächstes würde er sich erbieten, ihr durch eine Heirat den Rahmen für diesen Salon zu stellen. Sie musste dem Gespräch eine andere Wendung geben. Doch wie?

      Ihr Blick fiel auf die Zeitung, die der Vater mit der Rückseite nach oben auf den Tisch gelegt hatte. Eine Anzeige des Lessing-Theaters stach ihr ins Auge: »Nora. Von Henrik Ibsen. Noch Karten der besten Kategorien (6,50 – 7,50 Mark) frei für die heutige Aufführung.«

      »Würden Sie mir wohl eine große Freude machen, Herr Hauptmann?«, fragte sie rasch.

      »Mit dem größten Vergnügen!« Er verneigte sich.

      »Ich würde so gerne heute Abend ins Theater gehen, in die Nora, würden Sie mich wohl begleiten? Natürlich müssten wir noch eine Gesellschafterin mitnehmen, wenn Sie drei Karten bestellen wollten?«

      »Gewiss, ja.«

      War es Enttäuschung oder Erleichterung, was sie auf seinem Gesicht las? Sie erhob sich. »Wie schön, dann sehen wir uns ja heute Abend. Ich freue mich sehr darauf. Und jetzt, wenn Sie mich bitte entschuldigen würden …«

      »Zu allem Übel auch noch dieses Stück!«, hatte die Mutter entsetzt gesagt. »Einem Mann, der drauf und dran ist, dir einen Antrag zu machen, muss dies mehr als merkwürdig vorkommen, um nicht zu sagen, es muss ihm als Affront erscheinen. Nun, dann sieh zu, welche Dame dich mit dem Hauptmann ins Theater begleitet! Auf mich wirst du jedenfalls verzichten müssen.« Doch dann, nach einer verstimmten Pause, hatte die Mutter auf einmal ganz weich und ernst gefragt: »Wäre dir denn sein Antrag so unangenehm, Margarethe?«

      Sie wusste es doch nicht! Tatsächlich war sie nach den Vorhaltungen der Mutter geradezu in Panik verfallen bei dem Gedanken, sie könnte durch ihr Verhalten für immer eine Tür zugeschlagen haben, die sie sich offenhalten wollte – und sei es nur einen schmalen Spalt. Oder vielleicht mehr als das. Wenn schon heiraten, warum dann nicht Hauptmann von Klaasen?

      Sie würde jedenfalls eine Schwiegermutter haben, mit der sie sich vertrug.

      Und vertragen würde sie sich ja auch mit dem Hauptmann, er hatte gepflegte Manieren und war zweifellos ein Mann von Ehre. Aber mit ihm das Bett zu teilen? Sie konnte es sich nicht vorstellen.

      Dabei lag es nicht daran, dass sie so unwissend wäre, wie man höhere Töchter gewöhnlich hielt – eher im Gegenteil. Wenn sie ihr Leben nur in der höheren Töchterschule und im Mädchenpensionat verbracht hätte, wo man stets nur von der Seele und dem Herzen sprach, nie vom Körper, wo man die Klassiker und die Bibel in für die Jugend bereinigter Form las und alles auf das Peinlichste vermied, was auf etwas anderes hindeuten könnte, als dass ein Mädchen Kopf, Hände und Gemüt hatte und sonst nichts, nichts, nichts – dann würde sie sich vielleicht nicht so viele Gedanken machen.

      Aber sie war in einem liberalen Elternhaus aufgewachsen. Ihr Vater hielt nichts von verschlossenen Bücherschränken und einem Verbot für seine Tochter, die Bibliothek zu benutzen, wie es in den meisten der Margarethe bekannten Elternhäuser gang und gäbe war. Und ihre Mutter sammelte mit wahrer Leidenschaft zeitgenössische sozialkritische Gesellschaftsromane, in denen schließlich immer und immer wieder das Verhältnis der Geschlechter zum literarischen Ausdruck kam – und Kunstbücher aller Art. Auch einen Band mit Fotografien griechischer Vasen hatte Margarethe vor Jahren in der Bibliothek entdeckt, Vasen mit Abbildungen, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließen. Fast schlugen sich die Seiten schon von selbst auf, so oft hatte sie seinerzeit diese Bilder betrachtet.

      Nein, sie konnte sich nicht vorstellen, etwas in dieser Art mit Hauptmann von Klaasen zu tun. Mehr noch: dazu verpflichtet zu sein durch Trauschein und Gesetz.

      Und doch schien – wenn sie an die Andeutungen in den vielen ergreifenden Romanen dachte, in denen sie von Liebe und Ehebruch gelesen hatte – genau diese körperliche Vereinigung das zu sein, wohin es Liebende mit unwiderstehlicher Macht zog. Da konnte sie doch nicht einen Mann wählen, den sie nicht liebte!

      Oder – würde die Liebe sich einstellen, bedurfte es dafür nur eines Entschlusses? Dann hätte sie ja doch die Möglichkeit, den Antrag des Hauptmanns anzunehmen …

      Was eigentlich sollte an dem ihr unbekannten Ibsen-Stück, das da eben auf der Bühne begann, für den Hauptmann so irritierend sein?

      Wenn sie wenigstens noch mit Frau Doktor Schneider ein unverfängliches Gespräch unter vier Augen über dieses Stück hätte führen können und dabei vielleicht einen Hinweis erhalten hätte! Aber dazu hatte sich keine Gelegenheit ergeben, von Anfang an war der Hauptmann dabei gewesen.

      Die der Etikette geschuldete Anwesenheit der Hausarztgattin war ihr auch sonst keine Hilfe. Mit Frau Doktor Schneider verband sie nur ein geselliger Kontakt der Familien. Doch eine wirkliche Freundin, mit der sie ohne Scheu ihre Zweifel hätte teilen und die ihr jetzt hätte