Montag, 12. Oktober
„Geht’s wieder?“ Ein freundliches Gesicht lächelt mich an.
Verwirrt starre ich zurück. Wo bin ich? Was ist geschehen? Langsam kehrt die Erinnerung zurück. Und wieder ist es geschehen.
Ich sitze auf dem Stuhl eines Zahnarztes. Und jetzt wurde ich Laufe der Behandlung ohnmächtig.
Vor Zahnärzten habe ich panische Angst. Das ist der Grund weshalb fast jeder meiner Besuche bei diesen Ärzten katastrophal endet.
Seit ich hier in München lebe, seit drei Jahren also, ist Doktor Kersky mein vierter Zahnarztversuch.
Aber brav vereinbare ich nach Möglichkeit alle sechs Monate einen Termin. Damit hoffe ich sicherzugehen, dass nichts Schlimmes bei meinen Zähnen anfällt.
Aber das Szenario dieser Vorsorgeuntersuchungen läuft fast immer gleich ab. Weshalb sollte es heute anders sein?
*
Die Sprechstundenhilfe ruft meinen Namen. Mit gesenktem Kopf, wie ein Opferlamm, das zur Schlachtbank geführt wird, folge ich der freundlichen Dame ins Behandlungszimmer. Ich würde gerne am Fenster stehen bleiben und hinausschauen auf die regennasse Straße, auf die Menschen, die an diesem Oktobertag mit geöffneten Schirmen vorbeieilen. Doch ich werde genötigt, mich auf den Folterstuhl zu setzen.
Was mag dieser Doktor Kersky für ein Mensch? Wie alt? Hat er Erfahrung mit Angsthasen wie ich einer bin?
Selbstverständlich hoffe ich, diesmal die ganze Untersuchung durchzuhalten.
Meine Hände sind nach wie vor schweißnass. Ich beginne zu zittern. Wie will Doktor Kersky mir in den Mund schauen, wenn ich zittere wie Espenlaub? Ist mir kalt? Könnte sein.
Entspanne dich, sage ich mir immer wieder vor. Wie soll ich bitte ruhig sein, wenn ich panische Angst habe? Meine Entspannung artet in das Hecheln einer schwangeren Frau aus. Zumindest glaube ich, dass eine Frau bei der Entbindung hechelt. Eigene Erfahrungen habe ich nicht gesammelt.
Weshalb lassen die Zahnärzte ihre Patienten immer so lange auf diesen schrecklich unbequemen Stühlen halb liegend verweilen, bevor es zur Sache geht? Sie müssten doch wissen, dass das Stress pur bedeutet. Vielleicht sollte man die Frauen und Herren Doktoren einmal darauf hinweisen.
Eine Tür öffnet sich in meinem Rücken. Mehr spüre ich den Windhauch, als dass ich das Geräusch wahrnehme. Gerade überlege ich, ob ich nicht aufspringen und das Weite suchen soll, als eine angenehme, freundliche Stimme sagt:
„Guten Tag, Frau Osmani.“ Ein etwa vierzigjähriger Mann tritt auf mich zu und reicht mir die Hand.
Zögernd strecke ich ihm meine feuchte Hand entgegen. Sie an der Hose abzuwischen bleibt keine Zeit. Ich schäme mich schon das erste Mal.
Zaghaft murmle ich etwas von: „Guten Tag, Herr Doktor“, und beiße die Zähne zusammen. Inzwischen habe ich beschlossen, den Mund nicht mehr zu öffnen.
„Haben Sie irgendwelche Probleme?“, kommt die Standardfrage.
Selbst wenn ich welche hätte, würde ich ihm das nicht auf die Nase binden. Soll er doch selbst suchen! Ich nehme ihm die Arbeit gewiss nicht ab.
Als ich nicht antworte fährt er im gleichen freundlichen Ton fort: „Also nur nachschauen, nehme ich an.“ Er setzt sich auf den Hocker neben meinem Stuhl und fährt den Hinrichtungsstuhl in die liegende Stellung. Passend für die Folter, die er mit mir vorhat.
Für eine Flucht ist es nun definitiv zu spät. Ich gebe mich geschlagen!
Meine Lippen fest zusammengepresst liege ich da und harre der Dinge, die unaufhaltsam auf mich einstürzen.
„Entspannen Sie sich, Frau Osmani“, redet er mir beruhigend zu. Er hat meine Angst also bemerkt. Und jetzt?
Inzwischen hat er sich die Handschuhe angezogen,