PORTALFEUER. Michael Stuhr. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Stuhr
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847640707
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Verteidigungspose und beobachtete misstrauisch die treibenden Nebelfetzen. Als sein Gegner nicht wieder auftauchte, entspannte er sich schließlich und begann zu fressen. Ab und zu sah er sich sichernd um, aber da war nichts und niemand mehr. Auch die beiden anderen Beutetiere waren verschwunden. Der Drache kümmerte sich nicht darum. Er würde jetzt für lange Zeit nicht mehr hungrig sein und er konnte den Winter überleben. - Das war das Einzige, was wichtig war.

      KAPITEL 1

       DONNERSTAG, 04:37 AM

       MOULDER-CITY

      Der schwere Peterbilt-Truck zog eine Fahne aus schwarzen Rußwolken hinter sich her, als er den Highway erreichte und Geschwindigkeit aufnahm. In der morgendlichen Stille war das Geräusch des mächtigen Dieselmotors meilenweit zu hören, das immer wieder aufdröhnte, als der Fahrer hochschaltete, Die mehr als einen Meter hohen Reifen unter dem randvollen Tankauflieger begannen auf dem Asphalt zu singen, als die Tachonadel über die Fünfzig-Meilen-Marke stieg. Noch nahm der Fahrer das Gas nicht zurück. Mehr als achttausend Gallonen Premium-Benzin im Rücken ließ er den Truck mit fünfundsechzig Meilen in der Stunde den Highway rund um Moulder-City entlangschießen. Er hatte es eilig, denn der Disponent der Moulder-Oil-Company hatte ihm gerade mal einen einzigen Tag für die Fahrt zu den Tankstellen in Galveston gegeben.

      Rechts zogen die letzten Häuser der Stadt vorbei und voraus kreuzte die Interstate. Die Siebe der Schalldämpfer waren nicht mehr ganz in Ordnung, und beim Herunterschalten wehten ein paar glimmende Rußpartikel aus dem hoch aufragenden Doppelauspuff über den Tankauflieger. Der Fahrer merkte nichts davon, oder es machte ihm nichts aus. Zügig bog er auf die Interstate ab und wechselte sofort in den nächsthöheren Gang, als er die freie Strecke vor sich hatte.

      Das Geräusch des Trucks war noch nicht in der Ferne verklungen, als bereits der nächste Tanklastzug den Highway erreichte.

      Knapp eine halbe Meile von der Stelle entfernt, an der der Highway und die Interstate sich kreuzten, drehte Jeffrey O´Bannion sich im Bett um und murmelte im Schlaf ein paar unverständliche Worte. Eigentlich störte ihn das entfernte Geräusch der Tag und Nacht vorüberziehenden Tanklaster nicht, aber seit er mit seiner Familie hierhergezogen war, träumte er jede Nacht davon, einen schweren Truck zu lenken, der nach und nach immer mehr außer Kontrolle geriet. Der Traum endete jedes Mal damit, dass er völlig hilflos mit hoher Geschwindigkeit auf eine Stadt zu raste, ohne abbremsen zu können.

      Obwohl es recht nahe an den zwei Hauptverkehrsadern von Moulder lag, war das Haus, das die O´Bannions jetzt seit einem Vierteljahr bewohnten so etwas wie ein Paradies für Jeff. Sein Vater war bis vor kurzem bei der Militärpolizei in Fort Worth gewesen und so hatte die Familie in all den Jahren nur die engen Unterkünfte kennen gelernt, die man den Soldatenfamilien zur Verfügung stellte. Hier dagegen bewohnte Jeff zusammen mit Shereen, seiner knapp ein Jahr älteren Schwester, das gesamte Dachgeschoss, in dem es sogar ein eigenes Badezimmer gab. `Luxus pur´, fand Jeff, und da konnte ihn das bisschen Gebrumme von den Schnellstraßen rundum nicht wirklich stören.

      Schon bog der nächste Tanklaster auf die Interstate ein und das auf- und abschwellende Motorgeräusch drang aus der Ferne durch die halb geöffneten Fenster herein. Irgendein lockeres Blech schepperte an dem Fahrzeug. Weit vor der Stadt leuchtete es über den alten Ölfeldern kurz rötlich auf, wie von einem fernen Gewitter. Jeff drehte sich wieder auf die andere Seite und schlief weiter.

      Bislang war Jeffrey O´Bannion nicht sehr vom Leben verwöhnt worden. Mit seinen siebzehn Jahren war er mit der Familie zusammen schon viermal umgezogen, was für ein Soldatenkind eigentlich noch ziemlich wenig ist. In den verschiedenen Schulen, die er in Andrews, Mannheim und Fort Worth besucht hatte, hatte er Zwölfjährige getroffen, deren Väter schon fünfmal versetzt worden waren.

      Einerseits hatte Jeff dieses Leben recht interessant gefunden. Besonders die zwei Jahre in Deutschland hatten ihn sehr beeindruckt. Dass es ein Land geben könnte, in dem Baseball nahezu unbekannt war und selbst Jugendliche in aller Öffentlichkeit rauchten, ohne dass sich jemand daran störte, das hatte er nicht vermutet. Und dann gab es da noch die Autobahnen...

      Jeffs Vater hatte sich, als sie nach Deutschland gekommen waren, in einem Anfall von Leichtsinn einen gebrauchten Dreier-BMW von einem Kameraden gekauft, der in die Staaten zurückging. Eines Nachmittags, Jeff war mit seinem Vater unterwegs gewesen, um ein paar Besorgungen zu machen, waren die beiden auf die Idee gekommen, mal auszuprobieren, was der Wagen so leistete. Kurz entschlossen war Jeffs Dad auf die Autobahn Richtung Heidelberg eingebogen und hatte Vollgas gegeben. Niemals im Leben würde Jeff den Stolz vergessen, als der Wagen nach einigem Anlauf auf der schnurgeraden Strecke die unglaubliche Geschwindigkeit von über hundertachtzig Stundenkilometern erreichte. Mit voll durchgetretenem Gaspedal hatten sie alle anderen Fahrzeuge überholt und weit hinter sich gelassen. – Mehr als hundertzehn Meilen in der Stunde! Jeff und sein Dad hatten sich in diesem Augenblick wie die Könige der Autobahn - ach was - wie die Könige der Welt – gefühlt, bis plötzlich ein mit Bauarbeitern besetzter und mit Farbkübeln und einer Aluleiter auf dem Dach beladener Omega-Kombi lässig an ihnen vorbeigezischt war.

      Die Rückfahrt war dann wesentlich langsamer und recht schweigsam verlaufen. Erst kurz vor Mannheim war es Jeffs Dad dann eingefallen, dass Opel ja zum General-Motors-Konzern gehörte und es deswegen ja eigentlich ein amerikanischer Wagen gewesen war, der sie überholt hatte. - Wenigstens ein kleiner Trost!

      Jeffs Mutter und Shereen hatten übrigens nichts von dieser Eskapade erfahren. In stillschweigender Übereinkunft hatten Jeff und sein Dad niemals etwas davon erzählt. Die beiden Frauen hielten nämlich alles, was über das in den Staaten übliche Speed-Limit von fünfundfünfzig Meilen hinausging, für glatten Selbstmord.

      Der BMW war nach der Versetzung des Vaters nach Fort Worth in Deutschland zurückgeblieben und als Danny und Paddy geboren wurden, war mit den kleinen, sportlichen Autos sowieso Schluss gewesen. Jetzt waren Familienkutschen angesagt, und Jeffs Mom hatte einen Mitsubishi-Minivan bekommen. Von seiner Abfindung, die er von der Army erhalten hatte, hatte Jeffs Dad sich dann einen Chevy-Suburban gekauft. Ein Wal von einem Auto, aber mit reichlich Platz für alle.

      Die letzte Station des unruhigen Soldatenlebens war also Fort Worth gewesen, und Jeff hatte die leise Hoffnung, hier in Moulder vielleicht einmal Freunde zu finden, von denen er sich nicht schon bald wieder trennen musste. Sein Vater hatte jetzt einen sehr gut bezahlten Job beim Werksschutz der ‚Moulder-Oil-Company‘, und es sah so aus, als könne die Familie hier endlich einmal so etwas wie Wurzeln entwickeln.

      Was Jeff anging, so hatte das bislang aber noch nicht so gut geklappt. In seinem bisherigen Leben war er immer und überall der Neue und der Fremde gewesen, sodass er aus dieser Rolle auch jetzt nicht so leicht herausfinden konnte. Er litt nicht wirklich darunter; es war nur so, dass er im Umgang mit seinen Altersgenossen immer noch eine gewisse Distanz wahrte, und das kam hier in Moulder nicht so gut an. So beschränkten sich Jeffs Kontakte auf zufällige Treffs in Hamburgerbuden und Milchbars und auf seltene private Besuche, aber eine richtige Freundschaft hatte sich daraus bislang nicht entwickelt.

      Das Leben in Moulder-City kam Jeff sowieso seltsam vor: Es gab hier viele, die, wie die O´Bannions, von außerhalb hierhergezogen waren. Eigentlich war Moulder bis vor ein paar Monaten eine ebenso sterbende Stadt gewesen, wie alle Gemeinden hier in der Gegend. Der ganze Reichtum der Gegend hier war dem Erdöl zu verdanken gewesen. Von Jahr zu Jahr war die Fördermenge jedoch gesunken, und niemand, der ein wenig vom Ölgeschäft verstand, machte sich Illusionen darüber, woran das lag: Die Vorkommen unter dieser Region von Texas waren völlig erschöpft, und die ehemals reichen Städte verödeten nach und nach. Die Facharbeiter waren in Scharen fortgezogen, um woanders Arbeit zu finden und viele Geschäfte hatten schließen müssen, weil nach und nach die Kundschaft ausgeblieben war.

      Auch Moulder-City hatte kein Geld mehr gehabt und selbst dringend notwendige Reparaturen waren vom Rat der Stadt aus finanzieller Not auf die lange Bank geschoben worden. Viele Häuser hatten leer gestanden und Moulder war langsam zur Geisterstadt geworden.

      Draußen, im weiten Weideland, hatte es nicht besser ausgesehen: