„Ihr stellt ein Lager auf und sammelt Holz für ein Feuer“, knurrte er die Träger an, „ich werde die wild gewordene Forscherin wieder einfangen.“ Sein Portugiesisch war nahezu perfekt, sodass die Träger lachten, bei seiner Bemerkung. Er ließ seinen Rucksack zurück und trabte Richtung Eingang. Er zog sich die Taschenlampe vom Gürtel und machte vor dem Betreten die Augen zu, damit er sich schneller an die Dunkelheit gewöhnte.
Schon nach wenigen Metern konnte er die Umrisse der Wissenschaftlerin sehen, und leuchtet sie von hinten an.
„Wollen Sie unbedingt am ersten Tag einen Unfall provozieren“, raunzte er sie an. „Sie kommen noch früh genug in das schwarze Loch. Außerdem wird es in zwei Stunden dunkel, und es ist noch kein Zelt aufgebaut.“
Der Tonfall schien ihr nicht das Geringste anhaben zu können.
„Du hast Recht Friedrich“, flötete sie, „aber lass uns nur ein paar Schritte hinein wagen. Nur bis zur ersten Abzweigung, Okay? Wir halten uns immer rechts, dann können wir uns gar nicht verlaufen.“
Damit ging sie einfach weiter, ohne sich umzudrehen. Verdammte Besserwisser von Neunmalklugen, dachte Koller. Kaum sehen die ein dreckiges, wanzenverseuchtes Loch, schon geht mit ihnen der Forschergeist durch. Er wusste wie wichtig eine gute Vorbereitung war. Sie entschied oft über Leben und Tod. Zudem kam, dass er sich in Höhlen weder gut auskannte, noch sie sonderlich mochte. Er sah sich in der Grotte um, beschleunigte seine Schritte, und holte Sybille bei der ersten Biegung ein.
„Trotzdem bin ich der Ansicht, dass wir bis zum Morgen warten sollten“, warf er säuerlich nach, „der Tag war anstrengend genug.“
Sie drehte sich um, und hatte ein strahlendes Lächeln im Gesicht.
„Darf ich vorstellen, Dr. Sybille Berger, Tochter des berühmten Höhlenforschers Professor Arnim Berger, in ihrer ersten südamerikanischen Kalksteingrotte. Na, dass ist doch was für die Zeitungen, oder?“
Bevor sie eine Antwort bekam, setzte sie ihren Weg fort, und ließ den Weltenbummler einfach stehen. Bereits nach 50 Metern war kein Tageslicht mehr hinter ihnen zu sehen, und bis auf den Strahl der Taschenlampe war es tintenschwarz um sie herum. Nach 20 Minuten hatte Friedrich die Hoffnung aufgegeben, dass sie bald an das Ende des Ganges stoßen würden. Immer wieder schlängelte sich das Höhlenlabyrinth nach links oder rechts, bevor sie wieder einen neuen Gang entdeckten der abbog. Plötzlich blieb Sybille stehen, und drehte sich zu ihm um.
„Hier scheint es nicht weiter zu gehen“, murmelte sie.
„Äh, prima, dann machen wir für heute Schluss und bauen das Camp auf. Langsam bekomme ich Hunger. Wir sollten für morgen einen Plan machen, wo wir zuerst „forschen“ wollen, bevor wir einfach loslaufen.“
Sie hatte den Unterton nicht überhört, und stemmte trotzig die Hände auf ihre Hüften.
„Du brauchst gar nicht so herablassend zu tun, Koller. Wenn es um einen geliebten Menschen von Dir ginge, würdest Du auch nichts unversucht lassen, oder irre ich mich? Wir werden das System erforschen und vermessen, und wenn wir dabei nach ein paar Spuren suchen, ist da nichts dabei. Jedenfalls sehe ich das so.“
Sie drängte sich an ihm vorbei und marschierte schnurstracks in Richtung Ausgang, als er nach ihr rief.
„Bleib stehen!“
Die Ethnologin war nicht mehr in der Stimmung für eine Diskussion.
„Was ist denn nun noch?“, fauchte sie ihn an. Ich habe keine Lust mir hier eine Standpauke von Dir anzuhören, denn ich will …“
„Halt mal die Klappe“, schnitt er ihr das Wort ab. Sybille kam näher, um ihm nötigenfalls eine Backpfeife zu geben, aber er legte ihr seine riesige Hand auf den Mund, und mit dem Zeigefinger deutete er an ruhig zu bleiben.
„Hörst Du das?“, flüsterte er. Sie zog seine Hand von ihrem Mund und stellte die Ohren auf. Nach ein paar Sekunden zog sie die Augenbrauen zusammen und zischte.
„Wenn Du mich verarschen willst, ist das ein schlechter Zeitpunkt.“
Gerade hatte sich Sybille für einen Gegenschlag gesammelt, als sie in der Bewegung verharrte.
„Wind“, rief sie aufgeregt, „Du hast den Wind gemeint. Wenn es hier Luftbewegungen gibt, geht es auch irgendwo weiter.“
Wie selbstverständlich schob sie Friedrich Koller zur Seite, und leuchtete jeden Winkel der Felsenwände aus.
„Keine Ursache“, motzte er, „gern geschehen.“
Er sah sich ihr geschäftiges Treiben für ein paar Sekunden an, lehnte sich dann entspannt an die Wand, und verschränkte die Arme. Nach einer endlosen Minute bemerkte sie sein Gehabe und blaffte ihn an.
„Was ist? Hast Du keine Lust mehr zu suchen, oder willst Du mir etwas sagen?“
Sie sah ihn kämpferisch an, und Friedrich musste grinsen. Er griff in seine Beintaschen, zog ein Feuerzeug heraus, und zündete die Benzinflamme an.
„Ist Dir meine Taschenlampe nicht gut genug, damit Du hier mit diesem Ding rumfunzeln musst?“
„Doch, hell genug ist sie, aber sie flackert einfach nicht so schön bei Luftbewegungen.“
Sybille hatte verstanden, machte ein genervtes Gesicht, und lud ihn mit einer Handbewegung ein, seine Methode auszuprobieren. Nach wenigen Augenblicken hatte er den Ausgangspunkt der Strömung entdeckt, und machte sich an dem Felsen zu schaffen.
„Anscheinend war hier ein weiterer Gang, der verschüttet wurde. Hilf mir mal, vielleicht können wir den Brocken zusammen bewegen.“
Sie stemmten sich seitlich gegen den Fels und mit einem Ruck löste sich der obere Teil, und sie stützten beide mit den abgebrochenen Brocken zu Boden. Friedrich half ihr auf, und sie klopften sich den Staub aus den Sachen. Sybille besah sich zuerst das Ergebnis, und leuchtete über die Sperre hinweg, in den dahinter liegenden Hohlraum.
„Da geht es weiter. Hilf mir mal hoch, damit ich auf die andere Seite klettern kann.“
Sie hob schon das Bein, damit er Räuberleiter spielen konnte, und Friedrich half ihr. Es hatte jetzt keinen Zweck mehr ein Veto einzulegen, denn sie hatte diesen irren Blick in den Augen, der keine Widerrede duldete. Sie verschwand auf der anderen Seite, und machte sich nicht mal die Mühe nach ihrem Begleiter zu sehen. Koller schwang sich auf den Felsbrocken und sprang lässig wieder herunter. Er folgte ihr, bis sie in einem großen Raum standen.
„Sieh Dir die Deckenhöhe an, Friedrich. Sagenhaft. Und einen kleinen See gibt es auch.“
„Ja, ich sehe es. Ich sehe aber auch, dass wir ohne weitere Ausrüstung hier nicht weiter kommen, denn der Wind kommt von jenseits des Wassers, und das können wir nicht ohne Taucheranzüge oder Boot überqueren. Da lasse ich auch mit mir nicht drüber reden, sonst kannst Du Dir einen anderen Expeditionsleiter suchen.“
Sybille Berger hörte nicht zu, sondern leuchtete die Grotte aus, so gut es die Lampe zuließ. Es waren nur wenige Schritte bis zu dem See, der sich etwa 70 Meter bis zur nächsten Wand erstreckte. Sie ging an das Wasser, als sie von hinten zurück gerissen wurde.
„He, was fällt Dir ein“, rief sie entrüstet. „Ich passe schon auf mich selbst auf, Du Großkotz von einem Abenteurer!“
Koller antwortete nicht, sondern zeigte auf das kleine sandige Ufer vor ihren Füßen. Sie blickte hinunter und suchte mit der Lampe den Ufersaum ab. Fußabdrücke. Kein Zweifel. Hier waren Spuren von großen Schuhen zu sehen.
„Was glaubst Du von wem die sind, Friedrich? Die könnten doch …“
„Keine Ahnung, von wem die sein könnten. Ich bin kein Forensiker, aber da hinten auf dem Steinsims, nahe der Wand liegt etwas. Kannst Du es sehen?“
Die Forscherin machte sich dünn, um die Spuren nicht zu verwischen,