"Nicht wahr, das ist ein lustiges Leben?"
"Haben sie denn ihre Arbeit schon getan?"
„Ja“ erwiderte der Russe, "das heißt, wenn sie nicht zufällig unterwegs neue bekommen. Die nehmen sie natürlich mit, darauf kannst du dich verlassen. An denen kannst du dir ein Beispiel nehmen, besonders an dem Ludok. Der wird noch mal werden ein großer Mann und auch dich zu einem machen, wenn du ihm zum Vorbild nimmst - Hängt mir übrigens das Schnupftuch aus der Tasche?"
"Jawohl."
"Versuch doch mal es herauszuziehen, ohne dass ich es merke. Du hast ja heute Mittag gesehen, wie man es machen muss."'
Justin machte es so, wie er es beim Ludok gesehen hatte.
"Hast du es?" fragte der Russe.
"Hier ist es, Herr."
"Du bist ein gewandter Bursche", sagte der alte Herr und fuhr mit der Hand über Justins Haar. "Ich habe niemals einen gelehrigeren Jungen gesehen. Hier hast du einen Schilling. Mach nur weiter so , dann wirst noch der größte Mann deiner Zeit werden. Und nun werde ich dir zeigen, wie man die Namen aus den Schnupftüchern macht."
Justin konnte nicht recht begreifen, wie er dadurch, dass er dem alten Herrn im Scherze das Schnupftuch aus der Tasche gezogen hatte, ein großer Mann werden könne. Er dachte aber, der Russe müsse das besser wissen, war dieser doch um soviel älter als er. Er machte sich also unbekümmert daran, die Buchstaben aus den Taschentüchern zu entfernen.
Justin macht bittere Erfahrungen
Justin blieb eine Reihe von Tagen dauernd im Zimmer des Russen und fing an, sich nach frischer Luft zu sehnen. Er machte die Zeichen aus den Taschentüchern heraus, die in ziemlich großer Zahl ins Haus gebracht wurden. Hin und wieder nahm er auch an dem erwähnten Spiel teil, das Morgan regelmäßig jeden Tag nach dem Frühstück mit den beiden Jungen aufführte. Justin hatte den alten Herrn oftmals gebeten, mit Jack und Gunter gemeinsam auf Arbeit ausgehen zu dürfen, endlich erhielt er die ersehnte Erlaubnis. Da seit einigen Tagen keine Schnupftücher da waren, an denen Justin hätte arbeiten können, so gab der alte Herr wohl aus diesem Grunde seine Zustimmung. Die drei Jungen zogen los und schlenderten gemächlich die Straße entlang. Justin fand keinen Geschmack an dem langsamen Gang seiner Genossen und kam auf die Vermutung, dass sie den alten Herrn betrögen und der Arbeit aus dem Wege gingen. Der Ludok hatte außerdem noch die üble Gewohnheit, kleinen Jungen die Mütze vom Kopf zu reißen, während Gunter Bund ziemlich freie Ansichten hinsichtlich des Eigentumsrechts an den Tag legte. Von den Ständen der Straßenhändler ließ er hier einen Apfel, dort eine Zwiebel verschwinden. Dies missfiel unserm Justin so sehr, dass er gerade zu erklären beabsichtigte, er wolle nach Hause gehen, als er durch das eigenartige Benehmen des Ludoks von diesem Vorhaben abgebracht wurde. Dieser stand plötzlich still, legte den Finger an die Lippen und hielt seine Genossen zurück.
"Was ist los?" fragte Justin.
"Pst!" machte der Ludok. "Siehst du jenen alten Knacker an der Bücherbude?"
"Den alten Herrn da drüben? Ja, den sehe ich."
"Bei dem wollen wir arbeiten", sagte Hopkins.
"Scheint erstklassig zu sein", bemerkte Gunter.
Justin guckte in größter Überraschung von einem auf den anderen. Die beiden Jungen gingen unauffällig auf die andere Straßenseite und schlichen sich dann dicht hinter den alten Herrn. Justin harrte mit stummer Verwunderung der weiteren Vorgänge. Der alte Herr schien den besseren Kreisen anzugehören, trug Puder in den Haaren und hatte eine goldene Brille auf. Er hatte sich aus einem Regal ein Buch genommen und sich so ins Lesen vertieft, als säße er zu Hause in seinem Lehnstuhl. Möglich, dass er dort zu sein wähnte, denn er war offensichtlich durch die Lektüre so abgelenkt, dass er weder für die Straße noch für die Jungen ein Auge übrig hatte. Man denke sich Justins Entsetzen, als er sah, wie der Ludok dem alten Herrn das Schnupftuch aus der Tasche zog und es dann Gunter Bund zusteckte. Im Augenblick war ihm das Geheimnis der Taschentücher, der Uhren und Kleinodien des Russen klar. Als er die beiden wegrennen sah, fing er auch aus Leibeskräften zu laufen an. Doch gerade als Justin Reißaus nahm, griff der alte Herr nach seinem Tuch in die Tasche und wandte sich rasch um, als er es nicht finden konnte. Wie er nun den Jungen so Hals über Kopf davonlaufen sah, kam er auf den naheliegenden Gedanken, dass dieser ihn bestohlen hätte. Das Buch in der Hand haltend, lief er mit dem Ruf: "Haltet den Dieb!" hinter ihm her. Doch. er war nicht der einzige, der dieses Geschrei erhob. Der Ludok und Gunter Bund hatten, um nicht durch Rennen aufzufallen, sich in den ersten besten Torweg an der Ecke zurückgezogen. Sobald sie das Gebrüll: "Haltet den Dieb" vernahmen und Justin laufen sahen, errieten sie schnell den Zusammenhang. Sie schlossen sich dessen Verfolgern an und riefen kräftig mit.
"Haltet den Dieb! Haltet den Dieb!" Es liegt ein Zauber in diesem Rufe. Der Krämer verlässt seinen Ladentisch, der Kutscher seinen Wagen, der Schlächter seine Fleischbank, der Bäcker seinen Trog, der Milchmann seine Kannen, der Junge seine Murmel, der Steinsetzer seine Ramme, der Straßenhändler seinen Karren und das Kind seine Fibel. Alles eilt, Hals über Kopf, im hellen Haufen fort, schreit, brüllt, überrennt ruhige Spaziergänger und macht die Hunde wild. Straßen, Gassen, Höfe - alles hallt von dem Rufe wider.
"Haltet den Dieb! Haltet den Dieb!" Die Leidenschaft, etwas zu