Kurzgeschichten. Gisela Schaefer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gisela Schaefer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738068290
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Mittel finden, Maries Redefluss zu stoppen, ihre Selbstständigkeit zu fördern und sie dadurch seinem Lebensraum fernzuhalten.

      „Was machst du da,“ fragte sie zum fünften Mal an diesem Nachmittag.

      Thilo seufzte und legte sein Physikbuch beiseite. Sollte er ein Märchen vorlesen oder versuchen, ihr den Aufbau eines Atomkerns zu erklären?

      „Weißt du, was ein Quark ist?“

      „Sicher weiß ich, was Quark ist!“

      Lieber ein Märchen.

      „Ich möchte auch mal eine gute Fee treffen,“ sagte sie verträumt, nachdem er den Schlusssatz ‚Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute‘ ausgesprochen hatte.

      „Da müsstest du schon drei Wünsche haben, sonst kommen diese Feen erst gar nicht,“ antwortete er, ohne recht über eventuelle Konsequenzen nachzudenken.

      „Hab ich doch!“

      „Welche?“

      „Wenn ich sie laut ausspreche, erfüllt die Fee sie nicht.“

      „Ach was, das hält jede Fee anders. Einige stehen auf Geheimniskrämerei, anderen ist das schnurzpiepegal. Also sag schon!“

      Marie dachte einen Moment nach, ihr Bruder war ziemlich klug – ja, sie konnte dem, was er über Feen wusste, wohl vertrauen.

      „Ich wünsche mir, dass die Seifenblasen nicht mehr so schnell zerplatzen, damit ich sie ganz lange ansehen kann. Ich möchte auf dem Meeresboden stehen und alle Fische sollen um mich herumschwimmen. Und ich will mit Trulle sprechen können.“

      „Warum?“

      „Weil er so weise ist … hast du selber gesagt.“

      Trulle war eine Schnee-Eule aus Plüsch, etwa in Lebensgröße. Ein Männchen, wie Thilo erklärt hatte. „Ein älteres Männchen, denn nur die sind fast weiß. Die jüngeren, und besonders die Weibchen, haben viele braune Flecken im Gefieder. Sie gehören zur Familie der Uhus und in den Märchen und Sagen wird behauptet, dass sie sehr weise sind.“

      Von all den vielen Tieren, die sie besaß, liebte Marie ihren Trulle mit den großen, gelben Augen am innigsten.

      „Interessant,“ bemerkte Thilo zu den drei Wünschen seiner Schwester, „wirklich interessant!“

      Er hatte eher einen Sack voll Milchschnitten erwartet, einen rosa Schulranzen oder blauen Glitzerlidschatten für Barbie.

      „Außergewöhnliche Wünsche,“ fügte er fast bewundernd hinzu und sah Marie zum ersten Mal aufmerksam an. „Hoffentlich gibt es eine Fee, die sowas kann.“

      „Bestimmt,“ sagte Marie zuversichtlich.

      Thilo bezweifelte es, denn an Feen glaubte er nicht, und an technisch begabte schon gar nicht. Aber die Wünsche spukten von da an in seinem Kopf herum, nicht nur, weil er sie als Herausforderung für sich selber empfand, sondern weil er möglicherweise damit ein Mittel zum Zweck in die Hand bekam.

      Er durchsuchte das Internet. Nachdem er alle Artikel über Seifenblasen gelesen hatte, sagte er zu Marie: „Eine Seifenblase ist nur auf den ersten Blick etwas Simples. In Wahrheit ist das Ganze sehr kompliziert … nichts für eine Märchenfee.“

      „Wieso denn,“ protestierte Marie, „ist doch nur Seifenlauge.“

      „Eben,“ antwortete Thilo, „Wasser und Seife. Um es genauer zu sagen, die Hülle einer Seifenblase hat innen und außen eine Seifenschicht, dazwischen ist das Wasser. Das Wasser läuft nach unten, dadurch wird die Hülle oben dünner und … peng … platzt.“

      „Warum läuft es denn nach unten?“

      „Wegen der Gravitation … wegen der Anziehungskraft der Erde. Aus dem gleichen Grund, nämlich der Gravitation, fällt ein Apfel auf den Boden, wenn ihn der Apfelbaum los lässt.“

      „Und kannst du die Gramelation nicht wegmachen?“

      „Nein, aber du könntest auf den Mond fliegen, da ist die Anziehungskraft geringer als auf der Erde. Dort würden deine Seifenblasen viel länger herumfliegen.“

      Marie war kurz davor in Tränen auszubrechen, als Frau Thanner zur Tür hereinkam.

      „Was ist los,“ fragte sie mit dem sicheren Instinkt einer Mutter für Disharmonie.

      „Thilo will mich auf den Mond schicken,“ beschwerte sich Marie, und dann war ihr Bruder eine ganze Weile damit beschäftigt, das Missverständnis aufzuklären und den bösen Verdacht gegen ihn zu entkräften. Er hatte große Lust, das Projekt aufzugeben nach diesem heiklen Zwischenfall, aber, er wäre nicht Thilo gewesen, wenn er so

      schnell kapituliert hätte. Wieder ging er ins Internet, diesmal druckte er sämtliche Rezepte für Seifenlaugen aus und war überrascht, wie viele verschiedene Möglichkeiten der Herstellung es gab. Er probierte sie alle aus, mit Maissirup und Geschirrspülmittel, mit Zucker, Tapetenkleister und Glyzerin. Er drehte Ringe aus Draht und umwickelte sie mit Wolle, er beherzigte alle Ratschläge, die er finden konnte.

      Marie war von dem Ergebnis entzückt. „Genau die will ich haben … aber ohne dass sie dauernd platzen,“ entschied sie, was schon allein deshalb ratsam war, weil Polster und Teppiche übermäßig feucht wurden und Wasserflecken auf den Holzmöbeln zurückblieben.

      Inzwischen war Thilos Ehrgeiz entflammt und nach ein paar Tagen kam ihm die rettende Idee – fehlten nur noch verschwiegene Helfer. Oma Mathilde und Opa Elmar waren brauchbar.

      „Könnt ihr Seifenblasen pusten,“ fragte er.

      „Ja, was denn! Du etwa nicht?“

      „Doch, doch,“ versicherte Thilo, „aber ich habe keine Zeit dazu, ich muss mich um was anderes kümmern.“

      Er erzählte ihnen von Maries Wunsch und erklärte, wie er ihn erfüllen wollte, verschwieg aber wohlweislich, dass der Plan weniger seiner Bruderliebe, als vielmehr einer kühlen Berechnung entsprang.

      „Wir sind dabei,“ jauchzten sie wie die Kinder, froh, endlich von ihren Kreuzworträtseln erlöst zu werden.

      Bei Sonnenschein, im Morgenrot, im Abenddämmer, auf Wiesen, am Ufer des Sees, vor Mauern, sie trafen sich in den kommenden Wochen wann immer es ging und an allen möglichen Orten und Plätzen. Mal lagen Mathilde und Elmar auf dem Boden, mal Thilo, mal standen sie auf Tischen, mal auf Felsbrocken - Mathilde und Elmar pustend und Thilo mit einer Videokamera filmend. Das Ergebnis ihrer Bemühungen waren am Ende drei volle Film-Spulen.

      Thanners hatten im Wohnzimmer an der Wand einen dieser modernen Großbild-Fernseher und eines Tages als Marie von der Schule heimkam, lief der Seifenblasenfilm. Wie angewurzelt blieb sie stehen und sah mit offenem Mund zu, wie in Zeitlupe riesengroße Kugeln vor einem blauen Himmel schwebten, lange, schillernde Schläuche über eine Wiese waberten, tausend winzige Bläschen zwischen Blumen und Blättern herumquirlten oder in dicken Trauben übers Wasser zogen.

      „Thilo,“ schrie sie in höchster Aufregung.

      Thilo stürzte aus seinem Zimmer. „Mein Gott, was ist denn los, was ist denn passiert,“ fragte er scheinheilig.

      „Die Fee ist passiert, die Seifenblasen sind los,“ antwortete sie außer Atem und konnte

      ihre Augen gar nicht abwenden.

      „Donnerwetter! Das hätte ich nicht geglaubt,“ staunte er.

      „Siehst du, man muss gar nicht auf den Mond und die Gramelation ist auch weg,“ sagte Marie triumphierend.

      „Phänomenal,“ begeisterte sich Herr Thanner, „von mir aus kann es den ganzen Tag laufen … außer zu den Nachrichten und während der Sportschau.“

      „Hinreißend,“ schwärmte Frau Thanner, „und so romantisch und beruhigend für die Nerven.“

      Marie war überglücklich. So oft sie wollte und bei jedem Wetter konnte sie nun