„Es ist echt aufregend! Klar, ich hab auch Angst, aber die Freude überwiegt. Ich bin so gespannt, ob es ein Junge oder Mädchen wird und wie Thomas sich als Papa macht“, lässt sich meine Freundin verträumt aus. „Wenn wir auf Eltern mit Kindern treffen, kommt er mir häufig zwiegespalten vor, was aber auch an den jeweiligen Kindern liegt. Es gibt schon ausgesprochene Rotzlöffel.“
Ich erinnere mich an eine derartige Begegnung im Supermarkt und nicke zustimmend.
„Wenn wir zu dritt sind, werden wir uns als Paar auch neu orientieren müssen. Schließlich soll mit dem Baby die Beziehung nicht flöten gehen.“
Ein Einwurf, der nicht zu unterschätzen ist. Hört man ja häufiger, dass zwischen schmutzigen Windeln, durchwachten Nächten und vernachlässigter Körperpflege die Romantik und Intimität zu kurz kommt, beziehungsweise ordentlich zu leiden hat. Zumindest propagieren das diverse Hollywood-Filme.
Anne sieht allerdings nicht aus, als ob sie sich deswegen ernsthafte Sorgen macht. Wahrscheinlich ist es auch noch etwas früh für Panikattacken, wo ihr Nachwuchs gerade mal so groß wie eine Pflaume – oder eine Orange? – ist.
Aus dem Augenwinkel nehme ich wahr, wie die Kellnerin mit gezücktem Block und Stift auf unseren Tisch zusteuert.
Rasch greife ich abermals nach der Karte, lese jedoch über die Gerichte ohne sie wirklich aufzunehmen. Mein Kopf ist gänzlich leer und zugleich übervoll, sodass er sich noch viel weniger zu einer Entscheidung in Sachen Essen durchringen kann als vorhin.
Das Fazit: Ich bestelle Lasagne.
Damit kann ich nichts falsch machen.
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Zweieinhalb Stunden später, nach einem umfangreichen Austausch über Baby-Schwimmen, Hausgeburten und mögliche Namen, einem Tiramisu für mich und einer Mousse au Chocolat für Anne, verlassen wir das Restaurant.
Weil wir in unterschiedlichen Ecken der Stadt geparkt haben, umarmen wir uns bereits nach einer kurzen Strecke und gehen getrennte Wege, sodass jeder wieder mit sich und seinen Gedanken allein ist.
Es dauert nicht lange und ich vergrabe die Hände in den Taschen meiner Jacke. Umgangssprachlich ist der April der Monat, der macht was er will, obendrein ist er – zu dieser Feststellung komme ich jedes Jahr aufs Neue – eine Umbruchphase innerhalb des Jahres. Beispielsweise wenn es um die Frage Winter- oder Sommerbett geht oder ich vor der Entscheidung stehe, welche Jacke ich anziehe. Heute Mittag bin ich nur im Sweater zum Bäcker gelaufen – das wäre jetzt undenkbar. Gemessen an dem Frösteln, das über meine Haut geht, könnte ich leicht doppelt so viel Stoff vertragen, wie meine Jacke hergibt.
Da die Innenstadt weitestgehend verkehrsberuhigt ist und die Hauptstraßen ein Stück entfernt, hinter mehreren standfesten Altbauten und Mauern liegen, wehen nur vereinzelte, gedämpfte Motorengeräusche durch die Luft. Sonderlich viel Personenverkehr herrscht auch nicht. Hier und da komme ich an gut besuchten Lokalen und kleineren Menschengrüppchen vorbei, doch mit einem belebten Zentrum wie dem von München kann unsere Stadt an der Donau nicht mithalten.
Ich passiere einige kleine Nebengassen und lege den Weg zu meinem Auto in zügigem Tempo zurück, obwohl ich es nicht eilig habe. Niemand erwartet mich, etwas Wichtiges zu erledigen habe ich nicht und früh aufstehen muss ich morgen auch nicht, da Samstag ist. Nichtsdestotrotz fühle ich mich getrieben, sodass ich schließlich leicht außer Atem meinen Fiat Punto erreiche.
Nachdem ich den schwarzen Kleinwagen aus der Parklücke manövriert und die Heizung bis zum Anschlag aufgedreht habe, schalte ich das Radio an, drücke so lange auf den Knöpfen herum, bis ich einen passablen Sender gefunden habe und drehe die Lautstärke noch ein paar Dezibel höher.
Der Erfolg der geträllerten Hits fällt allerdings mäßig aus. Die bekannten und unbekannten Melodien laufen gedämpft, wie aus größerer Entfernung an mir vorbei, während in meinem Kopf ein monotones und konstantes Rauschen herrscht. Alles um mich herum kommt mir gedämpft und leicht entrückt vor, so als würde ich mit dem Kopf unter Wasser stecken oder wäre in einen Berg von Watte eingepackt.
Am Kreisel rege ich mich nicht mal darüber auf, dass es manche Verkehrsteilnehmer nicht für nötig halten den Blinker zu setzen. Normalerweise nehme ich das sehr wohl zur Kenntnis und zwar indem ich jene Arroganz mit einem lauten, aber zugleich nüchtern geäußerten Arschloch kommentiere. Nicht, weil ich prinzipiell zu Anfällen von Gossensprache oder asozialem Verhalten neige, sondern einfach deshalb, weil ich mich danach besser fühle.
Heute bleibe ich allerdings unberührt und der Fahrer des schwarzen, tiefergelegten BMW von meiner verbalen Attacke verschont.
Da die Strecke bis nach Hause nicht weit ist und die Straßen kaum befahren sind, biege ich nach nicht mal fünfzehn Minuten in meine Straße ein. Ich bin kaum ausgestiegen und ein paar Schritte über den Parkplatz gelaufen, da tapst auch schon Zeus, mein Kater, auf mich zu. Sein Fell ist eine Mischung aus Rostrot und Weiß, die Iris leuchtet in dem neonartigen Grüngelb, das Katzenaugen häufig innewohnt. Dem Klang seines Maunzens höre ich an, dass er sich beschwert, und das mit Nachdruck.
Als ich vor drei Jahren hier eingezogen bin, empfand ich die Zwei-Zimmer-Wohnung als still und einsam. Zu still und einsam, weswegen ich zusammen mit Anne ins Tierheim gefahren bin, um mich nach einem Mitbewohner umzusehen. Da ich mit Kleintieren nicht viel anfangen kann – auch nachdem Anne mich energisch mit einem schwarz-weißen Kaninchen zu ködern versucht hat – und ein Hund nur schlecht mit meiner Arbeit zu vereinen ist, ist die Wahl auf eine Katze gefallen. Still oder langweilig ist es innerhalb meiner vier Wände nun nicht mehr. Höchstens haarig und manchmal eklig und verstörend, wenn lebende oder halbtote Spielkameraden involviert sind. Derartiges würde mit Hund nicht passieren, mit einem Kaninchen wohl auch nicht. Dafür kann keiner der beiden derart goldig schnurren.
Ich gehe in die Hocke und streichle meinem Kater über den Rücken. „Jaja, ich weiß, ich bin spät dran. Komm“, mit einer winkenden Handbewegung, der das Fellknäuel umgehend folgt, richte ich mich auf und laufe weiter Richtung Hauseingang. „Wir köpfen eine Dose Whiskas.“
Natürlich wäre er mir ohnehin hinterhergelaufen, immerhin hat er Hunger. Aber mit Tieren verhält es sich doch fast immer gleich. Sobald sie Teil deines Lebens sind, behandelst du sie wie ein vollwertiges Gegenüber, egal wie groß oder klein sie sind. Dass man bei diesem Doppel der Einzige ist, der sich verbal zum Besten gibt, ist zweitrangig.
Gemeinsam schieben wir uns durch die Eingangstür des Vierparteienhauses, dann durch meine Wohnungstür. Zeus ist bereits auf halbem Weg in die Küche, als ich noch im Flur stehe und mir Schuhe und Jacke ausziehe. „Die paar Sekunden wirst du jetzt auch noch warten können.“
Abermals ist ein vorwurfsvolles Maunzen zu hören, was mich entnervt mit den Augen rollen lässt. Wenn Katzen etwas wollen, dann wollen sie es – und zwar jetzt und sofort. Als ihr Besitzer bist du angehalten dem jetzt und sofort nachzukommen und alles andere stehen und liegen zu lassen. Es heißt nicht umsonst: Hunde haben ein Frauchen oder Herrchen, Katzen haben Personal.
Nachdem ich meinen Mitbewohner – oder Herr und Meister? – mit Essen und frischem Wasser versorgt habe und in meinen kuscheligen Pyjama geschlüpft bin, mache ich es mir auf dem Sofa bequem. Den restlichen Abend vor dem Fernseher ausklingen zu lassen, kommt mir wie ein guter Plan vor. Für eine andere Beschäftigung fehlt mir ohnehin der Elan.
Die Glotze an und den Kopf ausschalten – das hat mein Opa oft gesagt, als er noch gelebt hat. Zeit seines Lebens hat er den Fernseher nur dann angemacht, wenn gerade ein Western oder Fußballspiel lief. Filme mit Clint Eastwood