Georgios wirkte in sich gekehrt, schließlich sagte er: „Wenn das stimmen würde, wäre der Kosmos da.“ Tanita zuckte zusammen. Dann sagte sie: „Als Germanistin denke ich, das darf im Handeln jedes einzelnen Menschen ruhig begründet sein.“
Georgios erwiderte: „Wenn man vom freien Willen ausgeht ja.“
Er hielt Tanita nicht wirklich für einen Blaustrumpf, auch wenn er sie als hoch-intelligent einschätzte, aber er sah eher die mütterliche Frau in ihr. Dann amüsierte es ihn irgendwie bei so einem Thema angelangt zu sein, letztendlich war er über beide Ohren verliebt und wollte eher fühlen. Dennoch wollte er mehr wissen über ihre Ansichten: „Und das mit dem freien Willen findet kein Grieche falsch?“ „Sagen wir mal so, die meisten arbeiten am Schicksal, und wollen Liebe und Idealtypisches schon noch von sich aus schenken“, antwortete Tanita. „Und wie findest Du es, wie die Deutschen es halten?“ Sie überlegte nicht lange: „Die wollen nur das einschlägige Ernste nehmen.“ „Schön, aber da reimt sich auch schon mal was auf die elterlichen Räte“, fand Georgios. „Wenn du so willst ja“, beantwortete sie seine Auffassung amüsiert. Ein Mensch, der es sich und augenscheinlich jedem recht und billig machen wollte, schien Georgios also nicht zu sein. Dann war sie davon angetan, dass er soviel Humor mitbrachte für das deutsche Verhalten, die zumeist nur ihre Schäfchen ins Trockene bringen wollten. Nun wollte Tanita ihn mit einer Diskussion über nationales Denken nicht vor dem Kopf stoßen. Außerdem wollte Tanita ihre Verliebtheit nicht rationalisieren. Und sich schon gar nicht selbst verleugnen müssen.
Nachdem Georgios die typische griechische Musik laut nach-sang, öffnete sie das Fenster und warme Luft wehte ihr die Haare ins Gesicht.
Als sie später in Trikala ankamen, fanden sie irgendwann einen Parkplatz in einer abgelegenen Straße. Und nachdem Georgios mit ihr dann in die Innenstadt gelangt war, fragte er, um sie zu amüsieren, was sie da eigentlich zu suchen hätten. Tanita sagte langsam: „Ich habe vor, ein Buch zu erstehen, um die griechische Sprache besser kennen zu lernen.“ „Das hört sich gut an, man kann auf jeden Fall mal versuchen in einer Sprache zu lesen, die einem nicht vollständig vermittelt wurde“, meinte Georgios. „Ja, das stimmt, ich habe noch Hoffnung, etwas dazuzulernen“, antwortete sie.
Nachdem Tanita ein Buch in einem Buchladen bekommen hatte und sie durch die Stadt spaziert waren, landeten sie in einem Cafe. Beide tranken jeweils einen Cappucino und diskutierten über dieses und jenes. Dann erklärten sie sich, wie angenehm das Wetter doch war. Georgios meinte, dass Trikala ansonsten den Ruf eines Hitzekessels inne habe. Und das einzige nennenswerte wäre eine byzantinische Festung, die einst auf einem bewaldeten Hügel über den Resten einer antiken Akropole errichtet worden war.
Tanita wollte nochmal etwas genaueres wissen über Byzanz, ihre Kenntnisse darüber erschienen ihr halb-gar. So fragte sie Georgios schüchtern danach, und er ließ sich nicht lange bitten: „Das byzanthinische Reich, war ein Kaiserreich im östlichen Mittelmeerraum. Es entstand in der Spätantike nach der Reichsteilung, im Jahre 395, aus der östlichen Hälfte des Römischen Reiches. Das Reich endete mit der Eroberung von Konstantinopel durch die Osmanen im Jahr 1453.“ „Was du nicht alles weiß, und das noch so genau, da will ich staunen.“
Nach der Bezahlung gingen beide zurück zu Georgios Auto, schließlich fuhren sie wieder Richtung Kalambaka. Dort konnte er endlich die Einkäufe leisten, die er für seine Mutter tätigen sollte. Es war eigentlich nur Gepäck und , den er später nachkaufen durfte. Dann beschlossen sie in Marias Wohnung Siesta zu halten.
Als er Tanita verführen wollte, schob sie ihn von sich und meinte, sie hätte Magenschmerzen bekommen und ihr wäre ganz übel. Georgios war erst überrascht, doch dann schaute er in ihre Augen und sah die schönste Seele der Welt. Sie sagte: „Zweimal gilt nicht.“ Georgios war bestürzt, hatte er sie etwa verletzt, oder war Tanita das Ganze zu viel geworden? Laut sagte er: „Alles kam vielleicht zu heftig und zu unmotiviert.“ „Das hoffe ich nicht“, sagte Tanita. „Sondern?“, fragte er nach, weil er fühlte, dass sie ganz bei sich war. „Ich bin eigentlich psychisch nicht schlecht drauf, wenn mir etwas positives geschieht.“ Georgios dachte, sie wurde als Kind wohl zu wenig beachtet und man hätte ihr niemals im Leben etwas zurückgeschenkt. Dann hörte sie in seiner Stimme etwas zittriges, als er sprach: „Natürlich muss auch ich erstmal verdauen, dass man sich vorher nicht kannte, aber die eigene Wirklichkeit kann so schnell auf einmal ins Wanken geraten. Das Leben ist halt kein Spiel.“ Tanita entgegnete: „Ich kenne Dich bestimmt schon Jahrhunderte mehr, als mir vielleicht lieb ist.“ Georgios lachte laut auf und antwortete: „Bei der Reinkarnation kann man sich ja auch nicht alleine aussuchen.“ Sie zuckte zusammen und dann sagte sie amüsiert: „Gott kann sich auch alleine für sich nur selten erwählen.“ „Mit Sicherheit hat er dazu zu viel zu tun, aber wenn er sich Menschen im Zusammenspiel miteinander aussucht, meint er dabei mit Sicherheit nicht nur sich selbst“, meinte Georgios bejahend dazu. „Eine Frage ist, ob man sich überhaupt nur für sich selbst benehmen sollte“, erwiderte Tanita. Wieder kapierte Georgios nur die Hälfte, aber er glaubte Soziologie wäre eher ein Fach gewesen, dass er studiert hätte, um die Welt so da zu lassen, wie sie nun mal ist.
Dann dachte er daran, dass Tanita jetzt nur Angestellte in einer Bäckerei war und einen halbwüchsigen Sohn durchbringen musste. Georgios begann zu überlegen, wie er nun im Übergang auf ihr Leben zu sprechen kommen könnte. Als ob sie seine Gedanken erraten hätte, sagte sie: „Mein Sohn interessiert sich auch für Gott und die Welt. Er hat vor, vielleicht Philosophie zu studieren. Nun ist er siebzehn, ich bekam ihn vielleicht zu früh, war gerade erst fünfzehn Jahre alt, als ich ihn gebar. Doch er ist schon richtig groß. Bald ist er fertig mit seiner Schule und ich denke, seinen Platz in der Welt wird er schon finden.“ Er verschluckte sich fast an dem , dem sie ihm nach Eintritt in die Wohnung bereitet hatte. Dann meinte er, der überrascht war, dass sie diese ernsthafte Mutter sein konnte: „Das wird er sich sicherlich hinlegen.“
Dann legten sie sich in Marias Bett und den hatte er sich mit ans Bett gebracht. Mittlerweile war er kalt geworden.
Georgios hatte sich soviel erhofft. Aber diesmal war sie wohl zu sensibel gewesen, irgendwann war ihr wohl eine Laus über die Leber gelaufen, vielleicht hatte sie sich auch einen Infekt zugezogen. Wie um das zu bestätigen nieste sie laut hinter vorgehaltener Hand. Schließlich sagte er: „Die meiste Jugend muss sich die Welt erschließen, das war schon immer so, denn eine gute Mutter wiegt die Welt nicht auf.“ Fast wollte Tanita zynisch werden, war bei sich, in Gedanken nur bei Mutterpflichten und Mutterliebe und ihrem Leben im Haus angekommen. Von ihrem dunklen Geheimnis sollte er noch nichts wissen. Vielleicht war sie irgendwann so weit Georgios davon zu erzählen.
Er wusste von nichts, zog sie wenig später an seine Schulter, nachdem sie eine Weile geruht hatten und er sie einen Zeitraum gestreichelt hatte. Tanita beschloss für sich, ihn ihren Eltern vorzustellen. Als sie das laut thematisierte, sagte er nicht ab, er war nicht abgeneigt mit ihr weiterzugehen. Georgios war mit dem Plan ihre Familie kennenzulernen aufgeregt und ruhig zugleich. Tanita fühlte das schon noch und überlegte, ob er es wirklich ernst mit ihr meinte.
Nach einer Stunde verließen sie, nachdem sie sich zurecht gemacht hatten, die Wohnung ihrer Freundin wieder.
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