„Schade“, seufzt er schließlich, „aber irgendwann werden die Minen versiegen. Die Entstehung des Diamanten war eine Laune der Natur im Teenager-Alter unseres Planeten. Es wird in der nächsten Zeit keinen Nachschub dieses begehrten Rohstoffs mehr geben. Heute sind die Bedingungen für eine Diamantengenese leider nicht mehr vorhanden. Bleibt nur zu hoffen, dass der Zusammenstoß mit einem anderen Himmelskörper die Reserven der Erde auffrischt.“
„Das könnte aber reichlich ungemütlich werden Paps, da verzichte ich lieber auf die ganzen Klunker.“ Claudia springt auf, streift hastig den Ring von ihrem Finger.
„Nicht doch, mein Schatz. So dramatisch ist die Lage nun wirklich nicht. Einige Steinchen werden wir bestimmt noch aus der Erde holen, damit auch du deine Freude daran haben kannst. Ich wollte dich doch nicht beunruhigen. Aber ein bisschen Nachdenken schadet ja nicht, findest du nicht auch?“
Etwas besorgt geworden, lächelt die junge Frau ihren Vater an. „Danke, dass du mir das erzählt hast. Von Heute an sehe ich diese funkelnden Steine mit ganz anderen Augen. Leicht verärgert denkt sie an die Stars der Kinoleinwand. An ihren Hälsen blitzen täglich neue und noch wertvollere Klunker. Die Queen und ihre Kronenjuwelen. Die zahllosen putzsüchtigen reichen Frauenzimmer, die mit ihrer Gier nach Wohlhabenheit womöglich eine Katastrophe auslösen könnten, ohne auch nur einen Schimmer davon zu haben. Ihr klarer Blick verdüstert sich ganz plötzlich
„Warum handeln wir dann überhaupt mit dieser Kostbarkeit?“ Die Frage kommt für den Senior überraschend, verunsichert ihn beinahe.
„Wenn wir es nicht tun, tun es eben andere. So einfach ist das. Vorläufig gibt es ja noch genug Nachschub. Der Diamantenrausch wird nie versiegen. Und sei ehrlich. Ist es nicht wunderbar solch einen kostbaren Stein zu besitzen?“
Claudia kehrt zurück auf ihr Zimmer. Ganz seltsam ist ihr zumute, nach diesem Gespräch mit Papa. Ob sie wirklich in die Schmuckbranche einsteigen würde, wie Papa es von ihr erwartet?
„Kommt Zeit kommt Rat, seufzt sie aus tiefstem Herzen. „Ich werde jedenfalls versuchen das Beste aus meinem Leben zu machen.“ Immer wieder fällt der Blick auf den Ring an ihrem Finger. Faszination pur. Dieses funkelnde Feuer.
Jahre vorher
Das Schweizer Internat am Genfersee. Alexa und Claudia besuchten vor Jahren gemeinsam diese altehrwürdige Institution. Seit Jahrzehnten versucht man hier, Töchtern aus vornehmen, vor allem wohlbetuchten Familien die entzückenden, mitunter sogar klugen Köpfe zurechtgesetzt. Vorrangiges Ziel: Hohe Politik adäquater Lebensplanung. Elitäres Ausbildungsprogramm: Sei stets so hübsch wie nur irgend möglich, gebildet und finde schleunigst einen gut situierten Ehemann. Kurz gesagt, kokett beschwingter Sexappeal zwischen Belesenheit und angestrebter Hausfrauenidylle.
Claudia war damals eher unglücklich. Großgewachsen und gertenschlank, verbrachte sie ihre wohl bemessene Freizeit viel lieber mit sportlichen Aktivitäten. Sie lief kilometerweit in den Auen rund um den Genfersee, ruderte mit Begeisterung oder vergrub sich stundenlang in für junge Damen eher ungewöhnliche Lektüre. Die anderen hievten sich mit lüsternen Jungmädchenbüchern in wilde Liebesabenteuer. Sie schmökerte in Geschichtsbüchern, blätterte in Atlanten, ließ sich in ferne Länder beamen. In Gedanken kämpfte sie mit Überzeugung gegen des Elend und die Unwissenheit minder privilegierter Menschen an, deren Schicksal sie sehr bewegte.
Während der Ferien versuchte sie Papa, ihren bei fast allen Problemen favorisierten Verbündeten, tunlichst zu überreden, sie auf eine andere Schule zu schicken.
„Dieses Einkochen in intellektuell- kulinarischer Art mag ich einfach nicht, Papa. Das Gehabe dieser hochgestochenen Gören geht mir maßlos auf die Nerven.“
Jeder Versuch des liebenswerten Papas die Wünsche der Tochter zu unterstützen, schlug fehl. Mama, Komtesse von Reichenau, hatte ebenfalls in diesem Haus die Schulbank gedrückt, und kurz darauf Gert Wiesinger, Sohn eines europaweit anerkannten Schmuck- und Diamantenhändlers kennen gelernt. Ein absolutes Plus für diese Anstalt. Kommentarlos überzeugend.
Mama hatte immer Recht. Kritik duldete sie keinesfalls. Papa liebte diese Frau tatsächlich sehr. Claudia kehrte also jeden Herbst planmäßig zurück in die Schweiz, um noch mehr dieser oft ausgeklügelten Wissenschaften, bezüglich „Männer um den Finger wickeln“, über sich ergehen zu lassen.
Dennoch enttäuschte sie Mamas eigentliches Ziel. Sie hatte ihren eigenen Kopf, stellte Studium und Wissbegierde absolut vor eine Ehe mit irgendeinem charismatischen Mann.
„Wer glaubt den Mond erreichen zu können, landet irgendwann auch dort oben“, meinte sie überzeugt. Eine Vision? Das Leben. Die Liebe. Das Geheimnis ihres inneren Glücks. Sie lächelt – ein untrügliches Seelenmorsezeichen. Sie wollte ein selbstständiger, interessierter Mensch werden, der die schönen Künste nicht nur als willkommenes Smalltalk-Thema sieht, um dem Göttergatten in spe zu imponieren.
Ihre Erzrivalin Alexa hingegen entwickelte sich zu einem rassigen Teufelsweib. Ihr Leben, ein einziges Tohuwabohu. Nachtschwarze Augen, wiegender Schritt, betörend aufreizende Bewegungen. Leidenschaftliche Blicke männlicher Bewunderer, die sie in vollen Zügen genießt. Charmante Worte gelten eher ihren provokant zur Schau getragenen Brüsten, als ihren Augen.
Früher schon hatte sie stets für gruppendynamischen Zunder in der Klasse gesorgt, sprühte über vor mitreißenden Ideen. Sie steigerte die Begeisterung der Mädchen und des Lehrpersonals gleichermaßen. Besondere schulische Leistungen wurden zur Nebensache. Erotischer Einsatz hatte stets Priorität. Äußerte sie doch einmal einen sinnvollen Beitrag zu einem ernsten Thema, schienen Gott und die Welt, vor allem aber die Lehrer, regelrecht überrascht.
„Wenn ein wohlsituierter Mann es schafft, mich vor Lachen unter dem Tisch zu kugeln, kann er mich auf der Stelle ins Bett schleifen.“ Kurzfristig helles Entsetzen. Dann platzten die Gören vor Lachen. Die überraschte Professorin verzog die Lippen zu einem triumphierenden Lächeln. Absolute Überzeugung. Der Lehrplan, die ausgeklügelten Theorien waren auf fruchtbare Erde gefallen.
„Schönheit kann Sicherheit verleihen, wenn sie naturgegeben ist. Vermessen wärs, alles auf die Schönheit zu setzen. Sie vergeht. Wichtig ist Selbstvertrauen, den Menschen ohne Angst in die Augen schauen können.“ Claudia meint, was sie sagt.
Verträumt lächelnd erinnert sie sich an ihr erstes Liebesabenteuer. Ein schlanker Jüngling, Marcel. Nie würde sie seinen Namen vergessen. Sie hatte damals Mühe zu atmen. Herzklopfen bis zum Hals. Hilflos stand sie vor ihm, fühlte seine warmen Hände auf ihren Wangen.
„Was hast du denn?“ Marcels Worte klangen liebvoll, berauschend. Eine Hand glitt zaghaft vom Hals über ihre Schultern, blieb auf ihrem zarten Busen liegen. Mit der anderen hielt er sie innig umschlungen. Ihr wurde schwindelig, die Knie gaben nach. Sein Gesicht, ganz nahe bei ihrem. Sie fühlte seinen Atem. Seine Lippen liebkosten ihre Augen, streiften über die Wimpern ihrer geschlossenen Lider, ihre Mundwinkel. Eine liebevolle, berauschende Berührung. Sie aber begann sinnloses Zeug zu quasseln, riss die Augen auf, wollte sich aus seiner Umarmung lösen und blieb regungslos.
„Sei still“, hatte er mit heiserer Stimme geflüstert und ihren Hals geküsst. Dann presste er behutsam seine Lippen auf die ihren. Alles war wunderbar still. Mit seiner Zunge versuchte er zaghaft ihre Lippen zu öffnen, dabei streichelte er zärtlich ihren Nacken. Sie hielt den Atem an vor Entzücken.
Endlich, nach unendlich langer Zeit haben die beiden engagierten Mädchen ihre Reifeprüfung geschafft. Claudia mit sensiblem Idealismus, Alexa als unbezähmbarer Freigeist und der Trophäe Verlobungsring.
„Könntest du nicht versuchen einen Gang zurückzuschalten?“ Claudias vergebliche Versuche, das Temperament der Freundin etwas zu zähmen, missglückten kläglich.