„Laß dich durch den Eindruck nicht täuschen“, säuselt er rasch. „Was unsere Sache betrifft, hat dieser Kerl mehr zu bieten, als so manch Anderer.“ Achselzuckend stiert Max von einer Ecke zur anderen. Plötzlich sprintet er ohne Vorwarnung auf eine kleine Tür zu. Ein winziger Manneken Piss aus Porzellan. Ihm ist speiübel.
„Ziemlich schwache Nerven, dein Partner. Bist du sicher, dass er unseren Deal auch durchsteht.“ Die Stimme des Anwalts klingt heiser. Offensichtliche Nachwehen einer durchzechten Nacht. Er schenkt drei Gläser Genever ein. Seines leert er mit einem raschen Zug.
„Hab alles aufgeschrieben. Genaue Treffpunkte, Menge der Steine. Hab mir sagen lassen, sind eine Menge lupenreine Mehrkaräter dabei. Heiße Ware, schwer zu verscherbeln. Aber ganz nach deinem Geschmack, denke ich wenigstens.“ Wilenson spricht pausenlos, schiebt eine halbgerauchte Zigarre von einem Mundwinkel zum anderen. „Wurden alle geprüft. Stammen aus diversen Ländern, bestens sortiert und meisterlich geschliffen. Und erst der Preis! Freund du wirst staunen.“ Er zieht heftig an seinem Stummel und bläst den Rauch an die Decke. „Hab die Jungs gewaltig heruntergehandelt. Diese Idioten waren froh, die ganze Zore auf einmal an den Mann zu bringen, dementsprechend mussten sie bluten.“ Sein selbstzufriedenes Lachen dröhnt durch den stickigen Raum. Mit flinken Fingern durchwühlt er Berge von Schriftstücken und sonstigem juristischen Gerümpel. Schließlich fischt er einen zerknitterten Zettel unter einem Stapel bekritzelter Blätter hervor.
Max lehnt aschfahl am Türstock. Wenn Jürgens Mittelsmänner alle so aussehen, wozu hat er mir dann diesen pikfeinen Anzug aufgedrängt, überlegt er. Jürgen wirft einen kurzen Blick auf den Handgeschrieben Fetzen Papier. Er scheint äußerst zufrieden. Prompt greift er in die rechte Brusttasche, zieht ein Bündel Dollarnoten heraus, die Wilenson gierig in seiner Hosentasche verschwinden lässt, ohne nachzuzählen. Ein Geschäft unter Ehrenmänner, lästert Max in sich hinein, heilfroh, rasch wieder an die frische Luft zu kommen.
„Also dann, bis bald, Spezi“, dröhnt die Stimme des Alten wesentlich entspannter als zu Beginn.
„Kann sein, dass ich dir nächstes Mal diesen netten Kumpel vorbeischicke“. Jürgen deutet auf den überraschten Max, der ihn entsetzt anstarrt. „Wir werden vermutlich in nächster Zeit enger zusammenarbeiten. Also, Adieu, mein Alter. Und Dankeschön für deine Mühe.“
Zügig passieren sie die Oude Kerk, die alte Kirche, in der Rembrands Frau Saskia ihre letzte Ruhe fand. Im Singel spiegelt sich der Münzturm im Sonnenlicht. Überreste eines alten Stadttores erhascht Max gerade noch. Jürgen legt ein Tempo vor, dass ihm Hören und Sehen vergeht. Kaum zehn Minuten später erreichen sie das Hilton. In dem dezent erleuchteten Foyer sind nur wenige Gäste. Es ist früher Nachmittag. Die meisten Besucher halten Siesta oder befinden sich auswärts. Das Hotel ist, wie stets zur Messezeit ausgebucht. Jürgen, als Stammkunde, hat die Chance einzuchecken.
„Wie immer Suite Nr. 23, Gnädiger Herr“, dienert der livrierte Rezeptionist, und drückt ihm einen Schlüssel mit schwerem vergoldetem Anhänger in die halbgeschlossene Hand. Ein Geldschein verschwindet kaum merkbar in seiner Tasche.
Ein zarter Klingelton. Die Tür des Lifts schiebt sich lautlos auseinander, schließt sich kurz darauf wieder. Die Koffer stehen bereits im
Vorraum der Suite. Die Vorhänge sind zurückgezogen, die Flügeltür zur Terrasse steht halb offen. Dezenter Herrenduft mischt sich mit dem zarten Geruch frischer Grünpflanzen.
„Nun, bist du jetzt zufrieden, mein Lieber“, meint Jürgen gönnerhaft. „Mach es dir bequem. Die linke Seite ist dein Reich. Ich hoffe, du hast genug Platz im Kleiderschrank für deine üppige Garderobe.“
Max schlendert sichtlich beeindruckt von einem Raum zum nächsten, knipst sämtliche Leuchten an, bleibt verzückt im Bad stehen.
„Mann oh Mann, die verwöhnen ihre Gäste aber vom Feinsten. Lässt sich gut an, die Zusammenarbeit mit einem ehrenwerten Geschäftsmann, den du ja sichtlich hier spielst.“
„Bin ich doch auch, oder hattest du je Zweifel an meiner Seriosität?“
„Würde mir doch im Traum nicht einfallen“, antwortet Max, mit gespieltem unterwürfigem Klang in der Stimme. Er kennt Jürgen. Der Kumpel ist wie ein Blatt im Wind, der seine Meinung fast stündlich ändert. Zweifels ohne eine schwerwiegende Aufgabe, die da zu bewältigen sein wird, überlegt er. Sichtlich ging es um horrende Summen. Kein Pappenstil, in Anbetracht seiner mickrigen Finanzlage. Er würde langsam und systematische vorgehen. Bis jetzt hing seine Arbeitsmoral stets an einem seidenen Faden. Äußerst schleppend ging sie konform mit den Erfolgserlebnissen, die er zu verzeichnen hatte.
Mit angespannter Miene studiert Jürgen den Zettel des Anwalts.
„Mach dich rasch etwas frisch“, ruft er Max zu. „In einer halben Stunde gehen wir auf Einkaufstour.“ Was immer das zu bedeuten hat, es klingt sehr überzeugend.
Scheinbar schlendernd streben sie Richtung Altes Stadttor. Max ist erfreut, doch noch einen Hauch dieses wunderschönen Flairs zu erhaschen. Im Schatten des brüchigen Gemäuers stehen unzählige Blumenstände. Der Duft betäubt die Sinne.
„Der Blumenmarkt“, meint Jürgen kurz, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Unmerklich deutet er Max, etwas zurückzubleiben. Allerorts schwatzen Hausfrauen. Fliegende Händler feilschen Hände ringend um jeden Cent. Buben spielen mit bunten Glaskugeln, drängeln sich ausgelassen zwischen den Passanten. Die Stimmung scheint entspannt, beinahe heiter.
Jürgen schiebt sich mehr als eine halbe Stunde durch die Blumen- und Obststände, macht einige Einkäufe. Bedacht umkreist er den angegebenen Treffpunkt immer und immer wieder. Ein Bursche tritt plötzlich aus einer Nische. Groß und schlaksig steuert er auf Jürgen zu, reicht ihm eine Einkaufstüte, murmelt ein paar Worte, die Max natürlich nicht verstehen kann. Für Sekunden schaut er in Jürgens Gesicht. Jürgen lächelt verbindlich, greift in die linke Brusttasche, steckt ihm einen grauen Umschlag zu. Alles geschieht so blitzschnell, dass Max kaum etwas bemerkt, obwohl er genau Bescheid weiß.
Der Bursche sieht wenig vertrauenserweckend aus. Alter unbestimmbar. Sein jugendliches Gesicht ist gezeichnet vom zweifelhaften Leben, durch das er sich offensichtlich mühsam rangelt.
Max beobachtet die Beiden aus einiger Entfernung. Solche Deals kann man nur unter vier Augen abwickeln, war ihm klar. Sechs Augen wären eindeutig zwei zu viel. „Die machen das wirklich gekonnt“, säuselt er beeindruckt.
Während er sich noch mögliche Zwischenfälle auszumalen versucht, steht Jürgen bereits wieder neben ihm, drückt ihm einen duftenden Apfel in die Hand. „Lass es dir schmecken, die haben wirklich ausgezeichnete Ware hier. War ein guter Tipp von Wilenson.“ Sein Lachen klingt etwas gekünstelt. Seine Augen strahlen verheißungsvoll.
„Du gehst zurück ins Hotel und verfrachtest das Gemüse im Tresor. In einer Stunde treffen wir uns an der Mole. Dann machen wir eine kleine Bootsfahrt. Einverstanden!“ Jovial klopft er dem verdutzten Freund auf die Schulter, schubst ihn auf den Weg. Er selbst genießt noch für wenige Minuten das fröhliche Treiben, setzt sich dann entspannt in ein kleines Café.
Ähnliches spielt sich noch drei Mal ab an diesem Nachmittag. Die agierenden Personen übertreffen einander an schäbigem Äußeren. Jürgens Stimmung verbessert sich zusehends. Gegen Abend kehren sie best gelaunt ins Hotel zurück, ziehen ihre feinen Anzüge an, genießen ein opulentes Mahl von erlesener Güte. Was das Herz begehrt liegt auf silbernen Platten bereit, wundervoll garniert mit Früchten und Gemüsen.
Jürgen hat wieder einmal das Unmögliche möglich gemacht. Bestechungsgelder sind in diversen Taschen verschwunden, die richtigen Fäden gezogen worden. Es ist wohl nicht das erste Mal, dass sich brauchbare Drahtzieher von ihm kaufen lassen, registriert Max mit einiger Befriedigung. Jürgen ist ein Meister im Verhandeln und Feilschen. Schlitzohren unter sich, und jeder bekommt seinen Teil vom Kuchen ab. Ein zufriedenes Lächeln breitet sich unter den Verhandlungspartnern aus, das überzeugt. Max ist begeistert.
Das