Zwei Stunden später kehrt Jürgen in das neue Büro zurück. Ein Eckzimmer mit wundervoll geschliffener Panoramaverglasung, in der sich das Sonnenlicht bricht. Von dem wüstensandgelben Berberteppich geht etwas Erfrischendes, Ungebrauchtes aus. Der Geruch von Farbe hängt noch in der Luft. Ein mächtiger Schreibtisch, neue Lederstühle, ein gemütliches Sofa, wofür auch immer. Weich und federnd. Man konnte ja nie wissen!
Ein echter Ernst Fuchs hängt an der blassgrünen Wand. Gegenüber eine Skizze von Egon Schiele. Kleinodien, die er dem Schwiegerpapa listenreich abgeschwatzt hat. Erotisierend, anregend. Regalwände, voll gestopft mit Ordnern. Zwei Telefone. Eine fast bis zum Plafond reichende Zimmerlinde.
Er wirft die Mappe mit den unterfertigten Verträgen auf die hochglanzpolierte Tischplatte, schenkt sich einen Großen Martini ein. Gerührt, nicht geschüttelt. Im Auftrag seiner Majestät, des von ihm meist belächelten Seniors Friedemann von Breest. Vor allen aber in eigener Sache.
Ein triumphierendes Lächeln. „Du hast sie alle an der Nase herumgeführt. Jetzt heißt es fix handeln. Morgen fliegst du mit Max und seinen Fälscherutensilien nach Amsterdam, greifst dir die Klunker, die auf wundersame Weise von diversen Gaunern gehortet wurden, legst ihnen Bares auf den Tisch, schwirrst mit der mehr als preiswerten Ware wieder ab.“ Sein Lachen klingt diabolisch.
„Unter Tags bin i c h an der Reihe, nachts dann d u, lieber Max.“
Er hat einen genauen Ablaufplan ausgearbeitet. Auf dem Rückweg, zweimaliger Zwischenstopp bei einigen Kunden, die den gesetzmäßig festgelegten Preis anstandslos bezahlen würden. Für erstklassige Qualität hat er sich verbürgt. Lupenreine Ware. Ein paar Prozente würde er ihnen großzügig gewähren. Schließlich sollen die Geschäftsverbindungen möglichst lange halten. Die benötigten Expertisen muss Max in Windeseile anfertigen. Kein Problem.
Max würde er mit einer zufrieden stellenden Summe abspeisen. Nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig. Beim Geld hört bekanntlich die Freundschaft auf, grinst er noch immer. Diesen Kerl werde ich noch sehr gut gebrauchen können. Den hat mir wahrhaftig der Teufel geschickt.
„Perfektes Timing“,
Am nächsten Morgen schlürft Max reichlich geschafft in Jürgens Büro. Eine Zigarette baumelt zwischen seinen Lippen, unangezündet. „Verdammt schwer sich das Rauchen abzugewöhnen“, grunzt er.
In eine hundertjährige Reisetasche hat er einige zerknitterte Hemden und T-Shirts gestopft. Er trägt ausgewaschene Jeans. Jetzt kratzt er, ohne Socken, mit Sommerlatschen in den Startlöchern.
„Ziemlich gewagt, deine Outfit“, meint Jürgen herablassend, „Besser du bleibst im Wagen, wenn ich meine Verhandlungen abwickle.“
„Auch gut. Lass dich nur nicht stören, Freund. Für meine Aufgaben tun die Klamotten absolut nichts zur Sache. Und auf den Märkten von Amsterdam ist die Wahrscheinlichkeit beklaut zu werden, für geschniegelte Lackaffen wie dich bestimmt größer.“ Sein Gesicht strahlt. Sein Blick streift flüchtig Jürgens gut sitzenden Seidenanzug. „Sicher sündteuer, dieses Teil“, lästert er.
„Trotzdem solltest du langsam beginnen an deinem Image zu arbeiten.“
„Lass den Quatsch“. Nach einer kurzen Pause fügt er allerdings mit ernster Miene hinzu: „Aber wenn ich es so recht überdenke! Sollte sich unsere Zusammenarbeit als gewinnbringend herausstellen, stünde einem solchen Pflanz eigentlich nichts mehr im Wege.“
Jürgen reißt rasch noch einmal die breite Schranktür auf, angelt einen sandfarbenen Anzug heraus, findet ein passendes Hemd, einen Schlips. Die Garderobe von Max darf keinesfalls dunkel sein, wie die von Anwälten oder Bankiers, die er kennt. Kühl und hell, eher unkonventionell, aber gediegen und respektabel.
„Beeindruckend“, lästert Max dramatisch. „Wie oft am Tag ziehst du dich eigentlich um, bei der Unmenge von Anzügen?“ Von schwarz bis weiß, dazwischen alle erdenklichen Schattierungen, hängen die Teile adrett aufgefädelt im Schrank. Ungeduldig blickt er auf die Uhr. „Glaubst du der Flieger wartet auf uns? Komm langsam in die Gänge.“
„Der ist für dich“, triumphiert Jürgen. „Man kann ja nie wissen. Könnte doch gut möglich sein, dass ich einen seriösen Partner vorweisen muss, um besser zu überzeugen.“ Rasch durchforstet er noch den Schuhschrank, findet helle Mokassins und zwei Paar passende Socken. Die Teile verschwinden zügig in einem Koffer. Er reißt Max die Tasche von der Schulter und stülpt den Inhalt ebenfalls hinein.
„Auf geht’s, Kumpel. Die große Welt erwartet uns.“ Jetzt ist Eile tatsächlich geboten. „Das wird ein Heidenspaß, du wirst es miterleben. Wenn alles klappt, schneiden wir bei diesem Kuchen ein ordentliches Stück mit.“ Langsam dreht Max den Kopf zu Jürgen hinüber. Ein zuversichtliches Feixen im Gesicht. Dieser Kerl täuscht sich zwar manchmal, aber er zweifelt nie an seinem Erfolg, bis er nicht völlig auf der Nase liegt. Ein Schwätzer, der so oft er den Mund aufmacht eine neue Lüge in die Welt setzt, ohne dabei rot zu werden.
Die Maschine fliegt mit einiger Verspätung ab, landet dennoch pünktlich in Amsterdam.
„Backsteingotik, Sandburgen, Mövengekreische. Eine Idylle, wie aus dem Bilderbuch“. Jürgens gönnerhaftes Strahlen ist ansteckend.
„Universitäten, Kunstakademien, Werften, Maschinenfabriken und vor allem, der Welt beste Diamantenschleifereien“ ergänzt Max mit vielsagendem Augenzwinkern. „Die ganze Stadt, ein Museum. Doch auf den Spuren der Vergangenheit zu lustwandeln, fehlt uns heute offensichtlich die Zeit“,
„…und auch die Nerven“, fügt Jürgen gereizt hinzu. „Wir machen keine Vergnügungsreise, schon vergessen?“
„Schade eigentlich. Eine Grachtenrundfahrt wäre schon sehr reizvoll.“
Der Mietwagen steht bereit. In den Straßen, ein Wahnsinnsverkehr. Ein Durcheinander hupender Autos, klingelnder Radfahrer, hektischer Fußgänger. Jürgen passt sich der gegebenen Situation an, hat ebenfalls pausenlos die Hand auf der Hupe. Er biegt einige Male nach links und rechts ab, überquert mehrere Brücken. Vor einem abgetakelten Haus direkt am Kanal, bringt er den schnittigen Volvo schließlich zum Stehen.
„Willst du mitkommen oder warten?“ Die Frage klingt einladend.
„Wohin mitkommen, ich sehe weit und breit kein Hotel.“
„Später, mein Lieber, später. Erst muss ich noch einige Informationen einholen.“
Ohne sich umzudrehen, stapft er durch das breite Holztor in einen heruntergekommenen Hinterhof. Über eine klapprige Stahltreppe erreichen die Männer eine ebenso klapprige Estrade, die in einer dreckigen Glastür endet.
„Kanzlei Wilenson“, steht in kaum lesbarer Schrift auf einem verbeulten Blechschild eingraviert. Jürgen drückt die Klingel. Kein Laut ist zu hören. Ein zweiter Versuch. Jetzt trommelt er mit den Fäusten gegen die Tür, dass die Scheiben klirren.
„He, Christian, mach schon auf. Hier ist Jürgen. Wir sind verabredet, hast du das vergessen, alter Halunke.“
Schlürfende Schritte. Kurz darauf knackst das Schloss. Die Tür springt auf. Ein etwa sechzig jähriger Mann streckt den Kopf durch den schmalen Spalt. Bleich, schütteres Haar, unrasiert. Mit trüben Augen deutet er den Ankömmlingen einzutreten. Offensichtlich der mieseste, sicher auch der erfolgloseste Anwalt in ganz Amsterdam. Der alte Schreibtisch quillt über von Akten verlorener Prozesse. Es stinkt förmlich nach unzufriedenen Mandanten