MICHAEL STUHRS FANTASY-DOPPELBAND. Michael Stuhr. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Stuhr
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738005110
Скачать книгу
wurde er zurückgestoßen.

      "Ihr seid nicht sehr galant, Herr." Der Wärter lachte. "Denkt immer nur an Eure Fackel! - Vielleicht mag die arme Cilia überhaupt kein Licht. Bedenkt Herr, dass manche Frauen bei Dunkelheit nur gewinnen."

      Llauks Bewegungen wurden langsamer. Was redete der Mann da? Sollte es wirklich eine Cilia in diesem Kerker geben? Irritiert sah er sich um. - Tatsächlich! In der äußersten Ecke des Raumes sah er im schwachen Schein der Fackel eine Frau in dramilischer Tracht kauern. Unverkennbar die Robe aus grauem, grobem Tuch. Ebenso unverkennbar die enganliegende Kappe mit den langen Bändern.

      Hastig griff Llauk nach der Fackel, die der Kerkermeister ihm plötzlich willig überließ. Mit schnellen Schritten ging Llauk auf die Frau zu. - Da hatte dieses Gefangenenflittchen doch die ganze Zeit über hier in der Ecke gehockt und über seine Angst gelacht. Llauk war empört. - Das war nun wieder typisch dramilisch! Sich am Leiden armer Kreaturen ergötzen, das konnte dieses Volk! Aber dieser Frau würde er es zeigen! - Llauks ganzer Haß auf alle, die ihn verhöhnt und gedemütigt hatten, konzentrierte sich plötzlich auf sie. Ihm blieb noch Zeit. Viel Zeit! Er würde sie bezahlen lassen. Sie würde noch bereuen, dass sie über ihn gelacht hatte!

      "He, du! Hast du deinen Spaß gehabt? Warte nur, bis wir allein sind, dann werde ich meinen Spaß haben!" Grob stieß Llauk die Frau an ihrer Schulter an, so dass der Kopf ihr in den Nacken flog.

      "Nein!" Entsetzt starrte Llauk in das Totenschädelgrinsen einer Unseligen, die man hier vielleicht vor Monaten vergessen hatte.

      "Nein!" Llauk wich zurück. Der Kerker, die Dunkelheit - das war alles furchtbar gewesen. Aber ihn mit diesem modernden Leichnam zusammenzusperren - das war unmenschlich!

      "Nein!" Llauk drehte sich um und wollte losrennen. Nur fort hier! Den Wärter über den Haufen rennen und fort.

      "Benehmt Euch nicht wie ein Bauerntölpel, der vor der Schönheit einer Prinzessin flieht. Sie ist Euer." Die Stimme der Kerkermeisters war kalt wie Stein. Die Spitze seines Spießes war genau auf Llauks Magen gerichtet.

      "Sie, sie ist tot", stotterte Llauk. "Bei allen Göttern, Ihr habt mich zu einer Toten gesperrt."

      Der Wächter warf einen kurzen Blick auf den Leichnam. "Ach, das tut mir Leid, Herr", schüttelte er bedauernd den Kopf. "Da ist Eure Gespielin wohl tatsächlich ein wenig angefault. - Aber immerhin ist sie besser als gar keine Gesellschaft. Versucht nur Euer Glück bei ihr, Herr. Es ist ihr verboten, sich zu wehren." Damit drehte er sich um und zog die Tür hinter sich zu.

      Furchtsam und verlassen stand Llauk mit der Fackel in der Hand in der Mitte des Raumes. Scheu sah er sich um, wobei er es ängstlich vermied, in Richtung der toten Frau zu blicken.

      Llauk bemerkte, wie sich sein Brustkorb wieder zusammenkrampfte. Jetzt hatte er Licht, doch was er sah, war ein Bild von solcher Trostlosigkeit, dass er sich wünschte, er hätte es nicht gesehen.

      Grauschwarze Steine, fast nahtlos verfugt, umgaben ihn von allen Seiten. Nicht die kleinste Abwechslung störte die Ebenmäßigkeit des Raumes. Nicht ein Vorsprung, nicht eine Nische unterbrach die gleichmäßig glatten Wände. Das graue schwere Holz der Tür verstärkte eher noch den Eindruck der Eintönigkeit, der Hoffnungslosigkeit, die in diesem Raum wohnte.

      Nie würde Llauk von hier fliehen können. Es war eine närrische Idee gewesen, sich mit dem Kerkermeister anfreunden zu wollen, um ihn dann hier zu überrumpeln. Llauk spürte wieder die Schmerzen in seinem Rücken. Selbst mit einem Unbewaffneten wäre er so nicht fertig geworden, und der Kerkermeister war ein kräftiger und vorsichtiger Mann.

      So stand Llauk mit seiner Fackel in diesem dramilischen Kerker und wartete darauf, dass man ihn hole, um ihm die Eingeweide herauszureißen.

      Plötzlich bemerkte Llauk mit Schaudern, dass er immer wieder zwanghaft in die Ecke schielte, wo dieses grauenvolle, knochengespickte Kleiderbündel lag. Er wollte nicht dorthin sehen, aber seine Augen suchten von ganz allein den Punkt im Raum, der ihnen die einzige Abwechslung bot.

      Llauk wollte den Leichnam nicht anschauen. Er hatte grauenhafte Angst vor Toten. Zu oft hatte er die Sklaven in der Werkstatt seines Vaters belauscht, wie sie sich Schauergeschichten aus allen Ländern des Kontinents erzählten. Von Untoten war da die Rede gewesen, die neidisch und eifersüchtig auf die Lebenden waren, ihr Blut tranken und ihnen das Fleisch von den Knochen rissen. - Von gequälten Seelen hatten die Sklaven erzählt, die die verfallenden Hüllen der Körper nicht verlassen konnten und die Lebenden aus Haß oder Liebe auf ewig verfolgten.

      Vielleicht war es doch besser, seine Gesellschafterin ein wenig unter Kontrolle zu halten, fand Llauk. Tapfer setzte er sich auf seinen alten Platz bei der Tür und starrte mit klopfendem Herzen quer durch den Raum, bereit, bei der geringsten Bewegung der Frau mit einem Herzschlag tot umzufallen.

      Nach einer endlosen Zeit ängstlicher Erwartung war der Moment gekommen, den Llauk so sehr gefürchtet hatte wie nichts sonst auf der Welt. - Die Fackel erlosch.

      Still und stumm blieb er auf seinem Platz sitzen, doch die Angst schlug wie mit schweren Knüppeln auf ihn ein. Mit jedem Schlag seines rasenden Herzens gaukelte ihm seine Phantasie neue Schrecknisse vor: Pforten öffneten sich in den glatten Mauern und wilde Tiere drangen ein. Ein Wald aus Speeren senkte sich von der Decke auf ihn herab, und - die Tote kam.

      Ächzen und Knacken drang durch den Raum. Schlurfende Schritte wurden laut.

      Llauk hielt sich die Ohren zu, doch die unheimlichen Geräusche hörten nicht auf. Jeden Moment mußte es so weit sein. Jeden Moment würde Cilia, die tote Tochter eines dramilischen Fürsten über ihn herfallen ...

      Llauk starb seinen zweiten Tod. Den Tod der stillen Panik und des Wahnsinns.

      Ewigkeiten später fiel Llauk in einen leichten, unruhigen Schlaf, und jedes Mal, wenn er gerade eingeschlafen war, kam in seinem Traum Cilia is Hadem aus ihrem Winkel und bot sich ihm mit aufreizenden Bewegungen an.

      "Ich muß noch beten! - Ich muß noch beteeeen!"

      Als der Kerkermeister die Tür geöffnet hatte, war Llauk aus dem Verlies geschossen wie eine verbrühte Katze. Die Wachen hatten ihn förmlich festhalten müssen, so eilig hatte er es auf dem Weg zum Richtplatz. Dann, im Angesicht des Tageslichts, waren ihm aber doch Zweifel gekommen, ob dies ein so schöner Spaziergang sei. Immer langsamer war er gegangen, und das letzte Stück war er von den Wachen direkt auf den Richtplatz am Hafen geschleift worden.

      Jetzt, vor seinem Henker und der wartenden Menge hatte er sich in einem plötzlichen Anfall von Frömmigkeit auf die Erde geworfen und flehte alle Götter Estadors, Thedras und des gesamten Kontinents um Vergebung und Beistand an.

      Der freundliche Richter war anwesend, begleitet von dem freundlichen Kerkermeister, und natürlich war auch der Henker außerordentlich freundlich und demütig. "Betet schneller, Stoffmacher“, schlug er mit einem Lächeln vor. Meine Zeit ist teuer, Herr! – Oder wollt ihr mich verdrießen?"

      Das wollte Llauk natürlich keinesfalls, aber noch viel weniger wollte er sich auf diesen entsetzlichen Richtblock strecken lassen.

      "Euer Publikum wird ungeduldig, Herr", mahnte der Richter, und tatsächlich flogen aus der Menge schon die ersten Steine auf den armen Llauk, der doch nur versuchte, schnell noch seinen Frieden mit allen Göttern dieser Welt zu machen.

      Endlich wurde es den Herren Vollstreckern zu viel. Llauk war gerade dabei, dem Wassergott der Steppenvölker von Ostwelt seine Referenz zu erweisen, da packten sie ihn einfach und schleiften ihn zum Richtblock.

      Llauk war ein junger Mann von eher schwächlichem Körperbau, und doch waren sechs starke Wärter nötig, um den schmächtigen Stoffmacher rücklings auf den Block zu binden, so dass seine nackte Bauchdecke ungeschützt vor den Augen des Henkers lag.

      Die Menge johlte und applaudierte.

      Llauk zerrte verzweifelt an seinen Fesseln.

      In einem Holzkohlebecken lagen die Haken bereit.

      Voller Entsetzen sah Llauk, wie zwei kräftige Dramilen sich Handschuhe aus grobem Leder überstreiften, je