Rußatem. Hubert Wiest. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hubert Wiest
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783742798442
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Das schafft höchstens Neid und gefährdet die Arbeitsmoral“, erklärte Bomil.

      Cassaio reckte seinen Daumen in die Höhe.

      Als die dreckige Transportkapsel aus dem Fünften im Stadion hielt, fühlten sich Quinns Hände ganz feucht an.

      Acht verwahrloste Gestalten schlichen hustend aus der Transportkapsel.

      „In Zweierreihen aufstellen“, kommandierte Cassaio und wies ihnen mit gezogenem Egalisierer den Weg.

      Die Gesichter der Menschen sahen gespenstisch aus. Ihre Haut war eingefallen und grau, fast abgestorben. Greisenhafte Falten hatten sich tief eingegraben. Und ihre Augen glotzten stumpf zu Boden. Ein Geruch nach verbrannter Kohle, Schwefel und Schweiß umgab sie. Nur einer von ihnen stach heraus. Wie die anderen hielt er seinen Kopf vorneüber gebeugt, als fehlte ihm die Kraft, sich aufzurichten. Aber sein zwingender Blick wollte so gar nicht dazu passen. Sein Humpeln wirkte aufgesetzt. Die Bewegungen waren viel zu geschmeidig. Der Typ war wohl kaum älter als Quinn.

      „Verdiente Arbeiter aus dem fünften Industrie-Ring, willkommen zu eurer zweistündigen Luftkur in Jaikong. Atmet langsam und ruhig. Ihr bekommt ausreichend frische Luft. Niemand muss sich beeilen. Passt auf, dass ihr keinen Sauerstoffschock erleidet.“

      Als ginge es um ihr Überleben sogen alle die Lungen voll bis in die Spitzen, pressten die Luft sofort wieder heraus und nahmen hektisch den nächsten Zug.

      „Folgt mir in den Kurbereich 41“, befahl Cassaio und ging voran. Die Kadetten sicherten die Gruppe mit gezogenen Egalisierern von allen Seiten ab. Das hatten sie immer wieder trainiert. Trotzdem raste jetzt Quinns Puls. Der erste Einsatz war etwas komplett anderes als die Übungsspielchen. Diese Typen aus dem Fünften sahen total eklig aus, husteten die ganze Zeit. Immer wieder spuckten sie aus. Quinn sah den jungen Typen an. Warum hatten sie ihn wohl in den Fünften geschickt? Und dann drängte sich ein Gedankenfetzen an seine ehemalige Schulfreundin dazwischen. Er hatte sich verboten, ihren Namen zu denken. Sonst würde er sich nie auf seine neue Aufgabe konzentrieren können. Das Mädchen aus der Schule war im dritten Industrie-Ring gelandet. Das war etwas völlig anderes. Das konnte man auf keinen Fall mit dem Fünften vergleichen. Sie würde bestimmt bald in den zweiten Industrie-Ring aufsteigen, dann in den ersten und von dort zurück nach Jaikong.

      Cassaio öffnete die Gittertür zum Kurbereich 41. Die acht Gestalten humpelten hinein. Für einen Augenblick blickte der junge Typ Quinn unverhohlen an, als würde er ihn abscannen.

      Cassaio verschloss die Tür hinter ihnen. Erschöpft ließen sich die Leute auf die Klappstühle fallen. Sie rangen nach Sauerstoff.

      Cassaio ließ die Kadetten an den vier Seiten des Käfigs Position beziehen und den Kurbereich sichern. Regungslos sollten sie dastehen. Das war ein öder Job. Quinn wäre lieber mit seinem Egalisierer durch Schlamm gerobbt oder hätte sich einen Häuserkampf mit Phunks geliefert, aber doch nicht so eine Langweilerveranstaltung.

      Die zwei Stunden waren fast um, da sagte Cassaio: „Kadetten, ich muss noch die Registrierungsformalitäten in der Kurverwaltung erledigen. Euer Einsatzbefehl lautet: Sicherung des Kurbereichs 41. Kirk übernimmt das Kommando.“

      Die Kadetten nickten wie Erstklässler. Bomils Kopf glühte knallrot. Quinn ärgerte sich, dass ausgerechnet Kirk das Kommando bekommen hatte.

      Die Menschen aus dem Industrie-Ring hockten immer noch auf den Klappstühlen und hechelten nach Luft. Zwischen gierigem Schnappen und Saugen wollte das Röcheln nicht verstummen. Klar, so viel frischen Sauerstoff auf einmal vertrugen sie nicht.

      Quinn bewegte konzentriert seine Zehenspitzen, damit sie nicht einschliefen.

      Plötzlich schwoll das Röcheln eines alten Mannes zu einem Würgen an. Er versuchte aufzustehen. Seine knochigen Finger umklammerten die Stuhllehne. Der magere Körper wurde hin und her geschüttelt. Er krümmte sich. Dann fiel der alte Mann auf die Knie, wälzte sich auf dem Boden.

      „Hilfe! So helft ihm doch! Lasst ihn nicht sterben!“, schrie der junge Mann aus dem Käfig. Seine Stimme zitterte ängstlich. Ohne zu zögern schob Quinn seinen Egalisierer zurück ins Holster, schloss die Tür auf und rannte zu dem alten Mann.

      „Halt!“, kommandierte Kirk.

      Aber Quinn hockte schon neben dem alten Mann und nahm sein Handgelenk. Durch die ledrige Haut spürte er den Puls kaum.

      „Sein Puls ist höchstens noch bei dreißig! Holt einen Arzt!“

      Ein ersticktes Röcheln drang aus der Kehle des Mannes.

      „Pass auf, dass du dich nicht ansteckst“, rief Bomil von draußen.

      Da legte sich eine Hand auf Quinns Schulter. Quinn fuhr herum. „Danke, dass du hilfst“, sagte der junge Mann, der jetzt direkt neben ihm stand. „Meinst du, er kommt durch?“

      Quinn zuckte mit den Schultern. Er hatte seinen Kurs in Notfallmedizin noch nicht abgeschlossen. Woher sollte er das wissen.

      „Ich heiße Kenji“, sagte der junge Mann.

      „Qu…“, wollte Quinn sagen, dann verbesserte er sich: „Kadett A38179.“

      Kenjis Hand lag immer noch auf Quinns Schulter. Quinn wandte sich zur Seite. Er hatte Angst, angesteckt zu werden. „Wie lange bist du schon dort draußen?“, murmelte Quinn. Keine Ahnung, warum er das fragte.

      „Seit vier Jahren. Gleich nach dem Abschluss haben sie mich rausgeschickt, null Punkte in Aeronautik, null Punkte in Mathe. Das war’s. Dabei wollte ich Schauspieler werden. Ich war gut, verdammt gut, aber sie haben mich raus in den Fünften geschickt.“

      Das Wort Schauspieler ließ Quinn zusammenzucken. Kalana, schoss es ihm durch den Kopf. Verzweifelt versuchte er, diesen Gedanken aus seinem Gehirn zu verbannen. Er durfte nicht an sie denken. Er musste sich auf seine Aufgabe konzentrieren.

      Endlich kamen ein Arzt und Sanitäter herbeigeeilt. Cassaio war bei ihnen. Erleichtert wich Quinn zur Seite. Die Sanitäter hoben den Mann auf die Trage. Der Arzt streifte dem alten Mann eine weiße Atemmaske über, regulierte die Einstellungen am Computer, bis sich die Krämpfe des Mannes langsam lösten und er sich wieder aufrichten konnte.

      Schweigend ging Quinn zu den anderen Kadetten zurück.

      „Was wollte der Typ von dir?“, fragte Kirk.

      „Nichts, hat nur erzählt, dass er schon vier Jahre draußen ist.“

      „Na und? Hat er nicht anders verdient. Warum hat er keinen ordentlichen Abschluss gemacht? Jeder hat die gleiche Chance. Niemand wird benachteiligt.“

      „Ihre Zeit ist um! Bringt sie zurück in die Transportkapsel“, kommandierte Cassaio. Kenji und ein anderer stützten den alten Mann auf dem Weg zurück in die Transportkapsel. Ein letztes Mal sogen sie ihre Lungen begierig voll Sauerstoff.

      Nach der Schicht verschwand Quinn sofort in seinem Zimmer. Er hatte keine Lust, mit den anderen im Gemeinschaftsraum herumzuhängen. Quinn ließ die Schnalle seines Gürtels erleichtert aufschnappen. Heute wollte er die Kadetten-Uniform so schnell wie möglich ausziehen. Als er den Gürtel in den Schrank hängen wollte, fiel es ihm sofort auf. Sein Egalisierer war weg. Er steckte nicht mehr im Holster. Das durfte nicht wahr sein. Aber je länger er darüber nachdachte, umso klarer wurde ihm, wer den Egalisierer genommen hatte. Es konnte nur dieser Kenji aus dem Fünften gewesen sein! Er hatte ihm auf die Schulter geklopft, ihn dabei berührt.

      „Alles klar?“, fragte Kirk, der plötzlich neben ihm stand.

      Nervös drehte sich Quinn um. Er knetete seine Finger. Ängstlich schüttelte er den Kopf.

      „Nein, mein Egalisierer ist weg. Wurde mir wahrscheinlich geklaut. Heute Nachmittag beim Einsatz. Der junge Typ.“

      „Mann, in deiner Haut möchte ich nicht stecken. Da hast du ein echtes Problem. Würde mich nicht wundern, wenn du von der Schule fliegst und dann ab in einen Industrie-Ring.“

      „Ich kann doch nichts dafür.“

      Kirk