Rawanni und die Mafiosi. Emma Baro. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Emma Baro
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844288339
Скачать книгу
wenn dir eine einfache Schlafstatt genügt." Mally legte mütterlich den Arm um ihre Schulter: "Und morgen besorgen wir dir noch etwas Warmes zum Anziehen, denn deine Sachen sind doch reichlich dünn."

      "Ich danke euch, ihr seid wirklich meine Rettung."

      Mally schob Rawanni in eine der kleinen Bretterbuden, in denen bereits drei Kinder und eine weitere Frau schliefen. Sie wies auf ein Bettgestell mit einer dünnen Matratze. "Hier kannst du schlafen. Es ist wenigsten einigermaßen warm und trocken."

      Rawanni blickte auf den kleinen Ofen in der Ecke, der genügend Wärme verbreitete. Sie war froh und dankbar, nicht ungeschützt auf der Straße schlafen zu müssen, und nahm dafür auch diese schlichte Unterkunft in Kauf. Es machte ihr nichts aus, denn als Kind war sie schließlich auch mit wenig Komfort ausgekommen.

      Am nächsten Morgen lernte Rawanni den Rest der Großfamilie kennen, deren Mitglieder sich aus den verschiedensten Gründen zusammengefunden hatten. Die Leute waren ihr auf Anhieb sympathisch.

      Mally sorgte mit ihrer fürsorglichen Art und ihrem Organisationstalent dafür, dass das Zusammenleben dieser kleinen Gruppe, die aus zehn Erwachsenen und drei Kindern bestand, fast reibungslos funktionierte. Jeden Tag beschafften Mally und die anderen Frauen Essensreste, sodass immer eine warme Mahlzeit zubereitet werden konnte. Die Männer erbettelten Geld von den Passanten, um weitere notwendige Dinge kaufen zu können.

      Mally besaß mit 45 Jahren immer noch ein sehr attraktives Gesicht, jedoch war ihre Figur nach ihrer ersten Geburt in die Breite gegangen, aber gerade das verlieh ihr etwas Mütterliches. Sie hatte ihren Mann und ihre zwei Kinder bei einem Verkehrsunfall verloren, hatte monatelang im Krankenhaus gelegen, während die Ärzte um ihr Leben kämpften. Als sie körperlich genesen war, bekam sie ihr Leben nicht wieder in den Griff, denn sie hatte den Verlust ihrer Familie nicht verkraften können. Eine Arbeit fand sie auch nicht mehr und ihr fehlte die Kraft etwas zu ändern, so ließ sie sich hängen und landete schließlich auf der Straße. Erst Red hatte sie wieder aufgerichtet und ihr gezeigt, dass das Leben sogar als Obdachlose lebenswert sein konnte. Mit ihm hatte sie eine neue Liebe gefunden. Bei allen war sie sehr beliebt und jeder konnte sie um Rat fragen. Sie spendete allen Trost, die ihn brauchten.

      Red war 46 und lebte seit zehn Jahren auf der Straße, nachdem seine Frau ihn verlassen hatte. Er fing damals an zu trinken und verlor dann Job und Wohnung. Inzwischen hatte er sich mit seinem neuen Leben arrangiert und wollte gar nicht mehr zurück in sein altes.

      Arnie war 35 und ein hartgesottenes Raubein mit weichem Herz — wie Mally ihn beschrieb. Er hatte als Kfz-Mechaniker gearbeitet und auch an Autorennen teilgenommen, bei denen er sogar einige Preise gewonnen hatte. Nach einem selbst verschuldeten Unfall, bei dem ein Kind zu Tode gekommen war, wurde er zu mehreren Jahren Gefängnis verurteilt, danach saß er auf der Straße.

      Charly, der Älteste unter ihnen, war einst sehr wohlhabend gewesen, aber seine Spielsucht hatte ihn in den Bankrott getrieben. Seine Ehe zerbrach daran. Er hatte sich mit Alkohol getröstet und der Weg auf die Straße war dann nicht mehr weit gewesen.

      Auch die anderen wiesen ähnliche Schicksale auf, warum sie hier gelandet waren.

      Charly erzählte allen von Rawannis mutigem Eingreifen und obwohl sie vehement protestierte, schmückte er die Geschichte erheblich aus, während alle an seinen Lippen hingen. Er konnte schon immer gute Geschichten erzählen und niemand wusste, ob sie wahr oder erfunden waren, aber das spielte auch keine Rolle.

      Vormittags ging Mally mit Rawanni zu einer Kleiderkammer, wo sie eine dicke Jacke, zwei Pullover, zwei Hosen, Unterwäsche und warme Stiefel bekam.

      Danach zeigte sie ihr die beeindruckende Stadt. In den Schaufenstern waren die teuersten Artikel ausgestellt; Prunk-Paläste mit kostbar verzierten Fassaden und Türen aus Messing, bewacht von Portiers in Uniformen, protzten neben einförmigen rotbraunen Brownstone-Häusern. Restaurants, Theatersäle, Boutiquen — überall ein Meer von Konsumgütern in den Auslagen. Und dann das gewaltige Finanzzentrum an der Wall Street … hier regierte das Geld. Rawanni wurde schwindelig von diesen vielen Eindrücken und ihr wurde noch stärker bewusst, wie dicht Arm und Reich in diesem Moloch beieinanderlagen.

      Besonders gefiel ihr der Central Park, diese grüne Insel inmitten von Wolkenkratzern, in dem man sich wie in einer anderen Welt fühlen konnte. Auf den großzügigen Rasenflächen konnte man bei schönem Wetter herrlich ausspannen. Außerdem war der Park hervorragend dazu geeignet sportlichen Aktivitäten nachzugehen, was von vielen New Yorker offenbar intensiv genutzt wurde, denn überall waren Jogger, Radfahrer und Inline-Skater unterwegs — natürlich auch jede Menge Spaziergänger.

      Die Suche nach einem Job gestaltete sich schwieriger als erwartet. Die Arbeitslosenquote war hoch und jede freie Stelle schnell wieder besetzt. Immer neue Einwanderer drängten nach und suchten nach Arbeit. Besonders waren die Stellen begehrt, für die keine Ausbildung erforderlich war.

      Von Zeit zu Zeit ging Rawanni auch bei Abbes Nachtklub vorbei, achtete aber darauf nicht gesehen zu werden. Sie war sich immer noch nicht im Klaren darüber, wie sie ihn packen sollte. Zur Polizei konnte sie nicht gehen und freiwillig würde er wohl kein Geständnis ablegen. Es schien ein hoffnungsloses Unterfangen zu sein. Musste sie ihn tatsächlich ungestraft davonkommen lassen und sich in ihr Schicksal fügen?

      Einmal sah sie, wie er seinen Klub verließ; er humpelte auf einen Stock gestützt zum Wagen. Sie musste ihn erheblich am Knie verletzt haben. Der Mann, der ihm die Wagentür aufhielt, war sein Bodyguard Wes. Der hatte seine Verletzungen also gut überstanden. Aber wenn er hier war, dann wusste Abbe inzwischen auch, dass sie seinen Vater getötet hatte. Wie würde er reagieren, wenn er sie zu fassen bekam? Das war ein Grund mehr, ihm nie wieder zu begegnen.

      Der Hass auf ihn würde vielleicht niemals aufhören. Manche Nächte hatte sie sich in den Schlaf geweint. Mally und die anderen halfen ihr über die schlimmste Zeit hinweg, aber sie konnte ihnen nichts über die Gründe ihrer Trauer erzählen, damit musste sie allein fertig werden.

      Kapitel 2

      November 1990

      Oft begleitete Rawanni Mally auf ihren Rundgängen, bei denen sie Reste von Restaurants und Lebensmittelgeschäften organisierte. Man kannte Mally und ihre nette fröhliche Art; nirgendwo wurde sie abgewiesen. Dabei trafen sie eines Tages einen jungen Mann in sportlicher Kleidung und Turnschuhen. Sie schätzte ihn um die 30.

      "Hey, Mally", begrüßte er sie mit einem herzlichen Lächeln und umarmte sie freundschaftlich. "Wie läuft das Geschäft?"

      "Könnte nicht besser sein", antwortete Mally und klopfte ihm bei der Umarmung kameradschaftlich auf den Rücken. "Al, darf ich dir Rawanni vorstellen? Sie wohnt seit Kurzem bei uns. — Rawanni, das ist Detective Al Lawson, der netteste Polizist von New York."

      Ein kalter Schauer lief über ihren Körper und verursachte eine Gänsehaut. Ihr Puls beschleunigte sich.

      "Du schmeichelst mir, Mally". Sein Lächeln war ungemein attraktiv, aber es schien eher Rawanni zu gelten, als er ihre Hand ergriff. "Schönen guten Tag", sagte er höflich und hielt ihre Hand länger als üblich. Er bemerkte ihr kurzes Zögern.

      "Guten Tag", entgegnete Rawanni knapp und zog ihre Hand zurück.

      Obwohl ihr Kopf in einen dicken Schal eingehüllt war, zog ihr Gesicht ihn magisch an, besonders diese dunklen großen Augen. Sekundenlang verharrte er wie gebannt, bis Mally sich räusperte.

      "Wir müssen wieder, Al. Alle warten auf das Essen."

      "Äh … ja, natürlich. Ach warte … " Er fingerte aus seiner Hosentasche eine Zwanzigdollarnote hervor und steckte sie in Mallys Jackentasche. "Alles Gute."

      "Danke, Al. Wir seh'n uns."

      Sie gingen weiter und Rawanni drehte sich kurz um. Er stand noch immer da und blickte ihnen nach. Verdammt, hoffentlich hat er mich nicht erkannt. Möglicherweise hatten alle Polizeistationen ihr Fahndungsfoto erhalten und er würde es jetzt überprüfen.

      "Mmmmh", schwärmte Mally. "Das ist vielleicht