Rawanni und die Mafiosi. Emma Baro. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Emma Baro
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844288339
Скачать книгу
an, ohne den Blick von Rawanni zu nehmen, "wäre diese Kleine nicht etwas für uns?"

      "Das würde ich meinen, Greg", grinste Perky und strich sich aufreizend mit den Fingern durch seine halblangen schwarzen Haare. Dabei leckte er sich vielsagend über die Lippen.

      Beide bewegten sich betont cool auf Rawanni zu. Der Obdachlose war vergessen.

      "Ich will keinen Ärger mit euch", versuchte sie die Lage zu entschärfen, doch sie erkannte sofort, dass die beiden in ihr ein neues Opfer gefunden hatten: Sie schnitten ihr den Rückweg ab.

      Rawanni bemerkte den verängstigten Blick des Obdachlosen, der sich tiefer in die Ecke duckte und die Szene beobachtete. Offenbar hatte er Schmerzen.

      Greg umkreiste sie und spielte mit ihren Haaren, wickelte eine Strähne um seinen Finger. Rawanni war aufs Äußerste konzentriert. Sie blieb ruhig stehen, aber ihr Körper spannte sich wie ein Bogen kurz vor dem Abschuss, jederzeit bereit den erwarteten Angriff abzuwehren.

      "Was ist, willst du uns nicht ein wenig beglücken?", gluckste Perky.

      "Nein", erwiderte sie immer noch in ruhigem Tonfall. "Geht nach Hause statt hilflose Bettler zu verprügeln."

      "Hey, die Kleine will uns Vorschriften machen." Perky baute sich dicht vor ihr auf und sah in ihren Augen ein unheimliches Feuer lodern.

      Sie roch seinen Atem, der ihr biergeschwängert und nach Tabak stinkend entgegenwehte. Sie fixierte ihn eindringlich, wendete den Blick nicht von ihm ab, behielt aber aus dem Augenwinkel heraus auch Greg im Auge.

      Perky war leicht verunsichert und trat einen Schritt zurück. Diese Frau hatte keine Angst. Warum? Er wusste es in dem Augenblick, als er ihren Arm packte und sich selbst in der nächsten Sekunde auf dem Boden wiederfand.

      Greg griff von hinten an. Er rang nach Luft, als er von harten Fußtritten und Schlägen getroffen gegen den Müllcontainer krachte.

      Perky hatte sich inzwischen wieder erhoben und ließ ein Klappmesser aufschnappen, doch schon sah er ihren Fuß auf sich zugeschossen kommen. Das Messer flog in hohem Bogen durch die Luft. Er konnte Rawannis blitzschnellen Bewegungen mit den Augen gar nicht folgen, geschweige denn rechtzeitig reagieren. Immer wieder schlug er hart gegen eine Wand oder Müllcontainer. Zwischendurch attackierte sie Greg, der gegen ihr Können keine Chance hatte.

      Perky kniete schließlich japsend vor ihr, die Lippe war aufgeplatzt, seine Rippen schmerzten. Benommen kroch er auf allen vieren über die Steine. Beide rappelten sich wieder auf, während Rawanni sie kühl taxierte. Perky stufte ihre Chancen als schlecht ein und hob die Hände zum Zeichen seiner Aufgabe. Greg tat es ihm gleich und beide trotteten geschlagen davon.

      Rawanni hob das Messer auf und steckte es ein, dann wandte sie sich dem Obdachlosen zu und hockte sich vor ihn. Er blickte sie mit vor Schreck geweiteten Augen an.

      "Ist alles in Ordnung?", fragte sie und lächelte ihn an, um ihn zu beruhigen.

      Er nickte, noch immer ergriffen von dem, was er eben gesehen hatte.

      "Wie heißen Sie?", fragte sie mit sanftem Tonfall.

      "Äh … Charly."

      Seine extreme Alkoholfahne raubte ihr fast den Atem. Die ergrauten Haare lugten stumpf und verfilzt unter einer schwarzen Strickmütze hervor und reichten weit über den Mantelkragen. Der Wollmantel und die Baumwollhose wiesen zahlreiche Flicken auf, die aber alle sorgfältig aufgenäht waren. In seinem ausgemergelten Gesicht zeigten sich tiefe Furchen. Er mochte um die 60 sein, was bei seinem dichten grauen Vollbart schwer zu schätzen war.

      "Ich bin Rawanni", stellte sie sich vor und erfasste zum Gruß seine Hand, die in einem Handschuh steckte, dessen Fingerspitzen fehlten.

      Er hielt ihre Hand fest und betrachtete sie. "Du hast sehr geschickte Hände", meinte er mit einem Lächeln. "Ich danke dir. Diese Typen hätten mich vielleicht totgeprügelt. Es wäre nicht das erste Mal, dass einer von uns auf diese Weise draufgegangen ist. Dich hat der Himmel geschickt."

      "Aber ich bin nicht geflogen", scherzte Rawanni. "Wenigstens ist mir dabei warm geworden."

      Charly sah sie ernst an. "Auch wenn du dich gut verteidigen kannst, solltest du in dieser Gegend nicht alleine und schon gar nicht bei Nacht herumlaufen."

      "Nein, aber ich kenne mich hier nicht aus. Kannst du mir vielleicht sagen, wo ich einen warmen Schlafplatz finde?"

      Charly blickte sie erstaunt an. "Du meinst einen kostenlosen?"

      "Ja, ich habe kein Geld."

      "Du siehst nicht gerade aus, als ob du auf der Straße lebst."

      "Bisher musste ich das auch nicht."

      "Du kannst bei den Nachtasylen unterkommen, aber davon würde ich dir abraten, denn dort klauen sie wie die Raben. Sogar während du schläfst rauben sie dir die Schuhe von den Füßen. Besonders sauber ist es dort auch nicht, weil viele ihre Läuse gleich mitbringen. Ich bin dort früher nur im äußersten Notfall hingegangen. Aber einigermaßen gutes Essen erhältst du da und auch Kleidung. Wie ich sehe ist deine nicht besonders warm."

      "Nein. Ich musste schnell aufbrechen."

      "Ich bringe dich erstmal zu meinen Freunden. Dort wird sich auch noch ein Plätzchen für dich finden."

      "Ich möchte aber keine Umstände bereiten."

      "Nein, das tust du nicht. Es ist das Mindeste, was ich meiner Lebensretterin als Dank anbieten kann. Komm, hilf meinen alten Knochen mal hoch."

      Rawanni schob ihren Arm unter seinen und stützte ihn. Er stöhnte vor Schmerz auf.

      Sie begleitete ihren neuen Freund zur Lower East Side, einer teils ärmlichen Gegend mit alten Mietskasernen. Manche Häuser boten als ausgebrannte Ruinen einen trostlosen Anblick, andere waren abgerissen worden und hatten hässliche Lücken hinterlassen, auf denen zwischen dem Schutt jede Menge Unkraut wucherte. Einige Anwohner hatten in Eigeninitiative liebevoll kleine Mini-Parks auf den leeren Flächen angelegt, doch zu dieser Jahreszeit blühten nur noch wenige Pflanzen.

      Auf einem dieser leeren Grundstücke hausten Charlys Freunde in selbst gezimmerten Unterkünften. Vor einem Feuer saßen einige Leute und wärmten sich.

      "Hallo, Charly", rief eine Frau mittleren Alters. "Wen bringst du denn da mit?"

      "Das ist Rawanni, meine Lebensretterin", erklärte er nicht ohne Stolz und zog damit augenblicklich alle Aufmerksamkeit auf sich.

      "Deine Lebensretterin?" Die Frau blickte ungläubig zwischen Charly und Rawanni hin und her.

      "Zwei Jugendliche haben mich verprügelt und Rawanni kam mir zu Hilfe."

      Die Frau wischte sich die Hand an ihrem Mantel ab, bevor sie sie Rawanni mit einem Lächeln reichte. "Ich bin Mally, sozusagen die Herbergsmutter. Ich sorge dafür, dass hier alles in geordneten Bahnen verläuft, wenn du verstehst, was ich meine." Sie lachte.

      "Ja", stimmte ein Mann mit roter Mähne lächelnd bei, erhob sich vom Feuer und reichte ihr die Hand. "Wenn Mally nicht die Zügel führen würde, kämen wir alle unter die Räder. Ich bin übrigens Red — wegen meinem Rotschopf." Seine gelockten Haare, die bis auf die Schultern reichten, waren in der Tat kräftig rot und schienen sich kaum bändigen zu lassen. Auch seine Bartstoppeln schimmerten rötlich.

      "Hallo, Red."

      Ein zweiter Mann war aufgestanden und stellte sich ebenfalls vor: "Ich bin Arnie, der Autospezialist."

      Rawanni ergriff auch seine dargebotene Hand. "Es freut mich, euch alle kennenzulernen."

      "Rawanni sucht eine Schlafgelegenheit", erklärte Charly. "Sie sollte nichts kosten."

      Mally sah sie erstaunt an. "Du siehst nicht so aus, als ob du dir kein Zimmer leisten könntest. Was ist denn passiert?"

      "Mein Leben wird sich künftig ändern. Ich habe niemanden an den ich mich wenden kann, außerdem bin ich fremd in dieser Stadt. Gleich morgen will ich mir eine Arbeit suchen."

      "Es