Seelenblau. Manu Brandt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Manu Brandt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738055207
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gemeinsamen Haus sollte alles anders werden. Das hatte er mir versprochen. Dort würde ich alles einrichten dürfen. Bis dahin bat er mich, dass er noch seine weiße Wohnung genießen dürfe – und das braune Schlafzimmer. Braun. Ich musste mich schütteln und schlurfte ins Bad. Der Blick in den Spiegel zeigte nichts Gutes. Diese Augenringe würde ich nicht mehr mit Make-up verbergen können. Ich sprang schnell unter die Dusche, um wach zu werden. Vergebens. Ich wickelte mich in ein Handtuch und schaute wieder in den Spiegel, in der Hoffnung der Anblick hätte sich verbessert.

      »Siehst du scheiße aus. So kannst du nicht unter Leute gehen.« Ich kramte meine Tasche mit dem Make-up hervor. Ich mochte es nicht, mich zu schminken, aber man sah es in der Firma gerne, wenn die Frauen etwas zurecht gemacht herumliefen.

      Dabei fand ich meine grünen Augen auch ohne Lidschatten schön. Zum Glück waren meine Wimpern sehr dicht, sodass ich getrost auf Mascara verzichten konnte. Darum beneidete mich Lisa immer.

      »Das ist voll ungerecht. Ich muss mir Tonnen von Farbe ins Gesicht schmieren und du schaust auch ohne Make-up wunderschön aus.«

      Wunderschön? Nein. Wunderschön war ich nicht. Ich war immer zu blass und wurde ständig gefragt, ob es mir gut ginge. Etwas zu klein geraten war ich auch, aber auf hohen Schuhen zu laufen gab ich schnell auf. Das war nun wirklich nicht meine Welt. Ich war sehr schlank und sportlich, dadurch war ich einfach nur etwas kleiner und nicht auch noch mollig. Meine Haare fand ich immer zu dunkel. Sie waren fast schwarz.

      Mit der Zeit wuchsen sie mir bis über die Schulter, was ich gar nicht schlecht fand. Nur im Frisieren war ich eine absolute Niete und so blieb es entweder bei einem Pferdeschwanz oder etwas Geflochtenem. Aber selbst dafür hatte ich heute keine Zeit mehr. Ich zog mir schnell eine schwarze Stoffhose und eine weiße Bluse an und rannte die Treppen hinunter. Die Firma, in der ich arbeitete, lag nur zwei Straßenbahn-Haltestellen weiter.

      »Guten Morgen Frau Stern. Haben Sie ausgeschlafen? Es ist nach acht!«

      Mein Chef plusterte sich dermaßen auf, dass ich dachte, seine Hemdenknöpfe würden jeden Augenblick abplatzen. Sein Bierbauch allein spannte das Hemd bereits fast bis zum Zerreißen. Seine Glatze versuchte er mit herüber gekämmten Haaren zu verbergen, wodurch er noch schmieriger aussah, als er ohnehin war.

      »Guten Morgen Herr Riedberg«, antwortete ich aufgesetzt freundlich. »Tut mir schrecklich leid. Ich muss vergessen haben den Wecker zu stellen, als ich um zwei Uhr nachts von der Arbeit kam. Soll nicht wieder vorkommen.« Ich schlüpfte schnell in Lisas und mein Büro und schlug die Tür zu, bevor er etwas erwidern konnte.

      »Siehst du scheiße aus.« Lisa schaute mich über ihren Monitor hinweg an und grinste breit. Sie sah kein bisschen besser aus. Ihre Brille saß etwas schief und ihre langen roten Locken standen in alle Himmelsrichtungen ab. Die Sommersprossen kamen auch langsam wieder zum Vorschein, je mehr die Frühlingssonne schien. Lisa war wie ich eine Sonnenanbeterin. Sie trug trotz der frischen Temperatur bereits einen sommerlichen Rock mit einer dünnen geblümten Bluse und einer Strickjacke. Ihre dicken Winterstiefel verrieten, dass ihr wohl doch etwas kalt war.

      Ihr Anblick hatte immer etwas Beruhigendes auf mich. Sie kümmerte sich nicht um Mode und zog das an, was ihr gefiel, auch wenn der Chef ihre Outfits für nicht allzu vorzeigbar hielt. Aber Lisa hatte keinen Kundenkontakt und so kniff Herr Riedberg ein Auge zu, denn Lisa leistete gute Arbeit, auf die er nicht verzichten konnte. Erst recht nicht nach den vielen Kündigungen.

      »Danke, gleichfalls«, erwiderte ich auch mit einem Lächeln und ließ mich in den Schreibtischstuhl fallen.

      Lisa schob sich die Brille zurecht. »Du siehst aus, als hättest du gar nicht geschlafen. Habt ihr Streit zu Hause?«

      Streit. Thomas und ich hatten uns noch nie gestritten. Ich glaubte mittlerweile, dass Thomas gar nicht streiten konnte. Er blieb immer sehr ruhig und brachte mich mit seinen sachlichen Argumenten zur Weißglut, was mich nur noch wütender machte. Wenn ich sauer war, dann wollte ich mich mit allem Drum und Dran streiten. Ich wollte ihn anschreien und wollte von ihm angeschrien werden, aber er wurde nie laut. Vielleicht war er als Kind in einen Topf voll mit Baldrian gefallen.

      »Nein, alles ok«, log ich. Normalerweise konnte ich mit Lisa über alles reden, doch dieses Mal fiel es mir ungewohnt schwer, ihr mein Herz auszuschütten, was ich selbst nicht richtig verstand.

      »Ok? Meine Liebe, du wirst heiraten. Du solltest auf Wolke Sieben schweben. Und danach siehst du nun wirklich nicht aus. Arbeit hin oder her. Dich beschäftigt doch schon seit Wochen etwas.«

      Lisa kannte mich einfach zu gut. Sogar besser als Thomas. Vielleicht lag es daran, dass ich mit ihr mehr Zeit verbrachte als mit ihm, denn Thomas sah ich nur spät abends nach dem Feierabend oder am Wochenende. Lisa hingegen sah ich von Montag bis Freitag den ganzen Tag lang. Ich wusste, dass Lisa hartnäckig war. Sie würde nicht aufgeben, ehe ich ihr nicht irgendwas sagte, was ihre Besorgnis wenigstens einen Hauch minderte. Also atmete ich tief ein und versuchte mein Gefühlschaos annähernd zu beschreiben.

      »Ich fühl mich … ich habe das Gefühl …«, ich wusste nicht, wie ich das, was in mir vorging, in Worte fassen sollte.

      »Du bekommst doch nicht etwa kalte Füße? Mia, so einen Mann wie Thomas findest du nicht an jeder Straßenecke. Heute wird er zum stellvertretenden Geschäftsführer befördert, da bin ich mir sicher. Im Sommer bekommst du deine Traumhochzeit und danach kannst du dein Traumhaus nach deinen Wünschen einrichten. Ihr werdet genug Geld haben und sicher auch bald ein paar kleine Kinder. Er liest dir doch jetzt schon jeden Wunsch von den Augen ab.«

      »Lisa, genau das ist das Problem.«

      »Dass du einen gut aussehenden Mann heiraten wirst, der Geld verdient und dich liebt?« Lisa musterte mich ungläubig. Sie sah aus wie eine Lehrerin, wenn sie die Stirn runzelte. Wenn sie das tat, glaubte ich, dass sie die Antworten auf ihre Fragen bereits wusste. Sie unterstellte mir jedoch etwas anderes, nur um die Wahrheit von mir zu hören. Ich vermutete, dass sie das tat, damit ich selbst endlich glaubte, was ich dachte und fühlte, indem ich es aussprach. Irgendwie wusste Lisa, was in mir vorging, ohne dass ich etwas sagen musste.

      »Dass ich all das jetzt schon tun werde«, murmelte ich schließlich.

      »Wann willst du es denn sonst tun? Wenn du eine alte Rosine bist?«

      Das liebte ich an Lisa. Sie schaffte es immer mir ein kleines Lächeln auf die Lippen zu zaubern, auch wenn es mir schlecht ging. Und gleichzeitig bohrte sie geschickt weiter, damit ich mich ja nicht aus ihrer Befragung herauswinden konnte.

      »Nein. Aber ich hab doch noch gar nicht richtig gelebt. Ich arbeite nur noch und zu Hause ist es so … so langweilig geworden. Ich fühle mich mit zwanzig wie eine alte Rosine!«

      Trotz meines verzweifelten Blickes lachte Lisa laut auf und beugte sich über ihren Monitor. »Du hast kalte Füße. Das wird wieder. Wenn wir erst mit der Planung der Hochzeit angefangen haben, wirst du dich freuen. Mia, stell dir nur mal das Kleid vor. Du in einem langen, weißen Kleid. Oh, das wird richtig romantisch!«

      Lisa war gar nicht mehr zu bremsen. Anstatt sich auf die Arbeit zu konzentrieren, fing sie plötzlich an meine Hochzeit zu planen. Von den Blumenkindern über den Blumenschmuck bis hin zur Band, die spielen sollte. Sie wollte mich ablenken. Doch auch wenn sie es gut damit meinte, sie erreichte nur das Gegenteil. In mir wurde die Angst Thomas zu heiraten immer größer, genauso wie die Zweifel, die mich seit letzter Nacht zermürbten. Ich drehte meinen Verlobungsring hin und her. Er war mir schwer geworden.

       Kapitel 2

      Ein Freund kommt wie der Frühlingswind

      mit dem Duft von Blumen

      und dem sanften Licht des Himmels.

      Er hält sich an der Schwelle zu deiner Seele auf, immer freudig und wohlwollend.

      Es roch nach leckerem Essen, als ich die Tür zu Thomas’ Wohnung aufschloss. Nach meinem Lieblingsessen.

      Ich hatte pünktlich Feierabend machen können, aber auch nur, weil Herr Riedberg fand, dass ich krank aussehe. Also schickte er mich nach Hause, bevor