Seelenblau. Manu Brandt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Manu Brandt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738055207
Скачать книгу

      Manu Brandt

      Seelenblau

      Roman

       Kapitel 1

      In der inneren Stille hört jede Bewegung des Denkens auf

      und das Herz beginnt zu sprechen.

      Die Einsamkeit festigt die Liebe,

      macht sie demütig und einzigartig.

      «Mia?«

      »Hm?«

      »Bist du schon wach?«

      »Hm.«

      Langsam schaute ich unter meiner Bettdecke hervor und blinzelte Thomas an, der neben mir lag. In ein paar Minuten würde der Wecker klingeln. Wir waren meistens kurz vor seinem schrillen Weckruf bereits wach, doch letzte Nacht hatte ich erst gar kein Auge zubekommen. Wie immer, wenn mir zu viele Gedanken durch den Kopf gingen, was in letzter Zeit häufiger vorkam, als mir lieb war. Ich sehnte mich danach, eine Nacht durchzuschlafen und mich nicht von einer Seite auf die andere zu wühlen, begleitet von der Angst, Thomas damit zu wecken und ihm sagen zu müssen, was mich beschäftigte. Er wusste um meine Schlafstörungen, wenn mich etwas bedrückte und er ließ mich nicht eher in Ruhe, bis ich ihm Rede und Antwort gestanden und meinen Frust von der Seele geredet hatte. Doch dieses Mal konnte ich nicht mit ihm darüber reden.

      Draußen begann es zu dämmern und die Vögel sangen mittlerweile ihr Morgenlied. Der Frühling konnte für mich gar nicht schnell genug kommen. Ich hasste den kalten Winter, auch wenn unser Skiurlaub dieses Jahr wirklich toll gewesen war. Wir hatten uns eine kleine romantische Holzhütte in der Schweiz gemietet. Dort lag richtiger Schnee und nicht solch ein Matsch wie hier in Deutschland. Wir waren über Weihnachten dort geblieben – nur Thomas und ich. Weit weg von all dem Familienstress, der zu Hause auf uns gewartet hätte.

      Ich stellte den Wecker aus, bevor er klingeln konnte und mein Blick fiel auf den Ring, den ich seit Heiligabend trug.

      »Willst du meine Frau werden?« Natürlich wollte ich. Ich musste nicht überlegen, denn bereits seit Monaten wünschte ich mir, dass Thomas mich das fragen würde. Ich malte mir unsere Zukunft in den buntesten Bildern aus: Wir würden uns ein Haus mit großem Garten kaufen, zwei Mal im Jahr in den Urlaub fahren und später auch Kinder bekommen. Ein perfektes Familienleben, wie es sich wohl jede Frau wünschte. Für mich war das alles so klar, dass ich es gar nicht hinterfragte. Bis jetzt.

      »Soll ich uns Frühstück machen oder willst du wieder erst im Büro essen?«, fragte mich Thomas, während er aufstand und die Vorhänge öffnete.

      »Büro.« Ich zog die Decke wieder über meinen Kopf und wollte noch ein paar Minuten liegen bleiben. Ich war tierisch müde und auf die Arbeit hatte ich erst recht keine Lust. Seit einiger Zeit wurden immer mehr Leute bei uns entlassen. »Sparmaßnahmen« wie es immer so schön hieß. Nur wurden die Aufträge leider nicht weniger und mussten trotz der Entlassungen abgearbeitet werden. Es fiel mir nicht gerade leicht, mir unter Stress neue Werbeslogans einfallen zu lassen. Also saß ich mit Lisa bis spät in die Nacht am Schreibtisch und wir versuchten, aus unseren ausgedörrten Hirnen noch etwas Brauchbares heraus zu quälen – letzte Nacht leider erfolglos. Lisa und ich waren eigentlich ein eingespieltes Team. Wir schafften es immer wieder, uns aufzumuntern, wenn es nicht gut lief, um vielleicht noch einen winzigen Geistesblitz hervorzurufen. Meistens war es jedoch Lisa, die mich aufbauen musste, da ich oft zu schnell aufgab. Das machte sie in den Jahren, in denen wir bereits zusammen arbeiteten, zu meiner besten Freundin.

      »Ich muss auch schnell los. Wir haben heute Morgen eine wichtige Besprechung. Drück mir die Daumen, dass es klappt.« Thomas zog meine Decke herunter und drückte mir einen Kuss auf die Stirn. Wenn er das machte, fühlte ich mich immer wie ein kleines Kind, dessen Vater sich von ihm verabschiedete und einen schönen Schultag wünschte.

      Thomas hatte seit Jahren hart gearbeitet, um sich als stellvertretender Geschäftsführer bewerben zu können. Heute sollte nun das Gespräch stattfinden, welches ihm den Aufstieg ermöglichen sollte – oder eben nicht.

      Mein Kopf brummte bereits vor dem Aufstehen. Kein Wunder, nach dieser schlaflosen Nacht mit all den Gedanken. In unserer Beziehung drehte sich alles um die Arbeit. Entweder stand seine Arbeit und seine Beförderung im Mittelpunkt oder wir diskutierten über meine Arbeit und darüber, wie wir die Aufträge mit weniger Leuten schaffen könnten. Thomas gab mir Ratschläge, die ich meinem Chef weiterleiten sollte, was ich aber nie tat. Ich wollte mich nicht wichtig machen oder als Klugscheißer dastehen. Erst recht nicht vor meinem Chef. Wirklich Feierabend hatte deshalb keiner von uns beiden mehr. Auch wenn wir keine Arbeit mit nach Hause nahmen, in unseren Köpfen war sie ein ständiger Begleiter. Die wenigen Urlaube, die wir machten, genoss ich deswegen um so mehr. Wenn mein Kopf frei von allen Problemen war, erinnerte ich mich gerne an die Zeit zurück, in der ich Thomas kennengelernt hatte. Das war eigentlich noch gar nicht so lange her. Zwei Jahre waren seitdem erst vergangen.

      Kurz vor meinem 18. Geburtstag hatte ich ihn auf einer Party getroffen. Thomas war mir sofort aufgefallen, denn er war nicht dermaßen besoffen wie die anderen Männer und ich konnte mich super mit ihm unterhalten. Seine braunen Augen waren mir von der ersten Minute an sehr vertraut, als würde ich sie schon ewig kennen. Er war durchtrainiert, hatte starke Arme, in denen ich mich sicher fühlen sollte. Seine kleinen blonden Locken ließen ihn jünger wirken, als er war – damals schon sechsundzwanzig. Mit dieser Frisur erinnerte er mich an die Engelsstatue, die in der Kirche stand, in die meine Oma mich jedes Jahr zu Weihnachten geschleppt hatte. Ich glaubte fest daran, meinen persönlichen Engel gefunden zu haben.

      Nach unserem ersten Kennenlernen auf der Party ging alles ziemlich schnell. Wir trafen uns jeden Tag, unternahmen viel miteinander und verstanden uns einfach blendend. Es war so, wie ich mir eine glückliche Beziehung immer vorgestellt hatte. Nach ein paar Wochen zogen wir bereits zusammen und waren seitdem unzertrennlich. Sehr zum Unmut meiner Eltern, aber da ich mittlerweile volljährig war, war mir ihre Meinung zu meiner Beziehung egal. Ich wollte meinen eigenen Weg gehen und meine eigenen Entscheidungen treffen. Meine eigene Familie gründen. Meine Eltern waren immer zu fürsorglich gewesen, hatten mich in einen goldenen Käfig gesperrt, damit mir ja nichts passiert und hielten mich unter ständiger Aufsicht. In der Pubertät fiel es mir deshalb sehr schwer, flügge zu werden, da mich meine Eltern ungern mit Freunden weggehen ließen. In meiner Großmutter fand ich schließlich eine Verbündete. Ich übernachtete fast jedes Wochenende bei ihr und konnte mich auf diese Weise mit meinen Freundinnen treffen, ohne dass meine Eltern etwas davon mitbekamen.

      Mit meiner Oma hatte ich eine Menge Spaß. Sie ließ mir vieles durchgehen, was meine Eltern sicher zur Weißglut getrieben hätte. Sie war die lockerste alte Dame, die mir je begegnet war, und ich fragte mich oft, ob sie wirklich die Mutter meiner Mutter sein konnte.

      Oma wünschte mir einfach nur alles Glück der Welt, als ich zu Thomas zog. Ich konnte mich mit meinen Eltern unterhalten, ohne dass es gleich in Streit ausartete, aber wirklich warm wurden wir nie wieder miteinander.

      Zwei Jahre war das erst her. Es kam mir wie zwei Jahrzehnte vor.

      Ich schlug die Decke zurück und setzte mich auf. Langsam wanderte mein Blick durch das Schlafzimmer. Nein. In zwei Jahrzehnten hätte es hier mehr von mir geben müssen. Das Schlafzimmer sah aber noch genauso aus wie an dem Tag, an dem ich eingezogen war. Keine persönliche Note von Mia. Nur Thomas. Die Wände waren in einem hellen Cappuccino-Beige gestrichen. Die Wand hinter dem Bett in einem sehr dunklen Braun. Ich mochte diese Farben überhaupt nicht. Die langen Vorhänge waren hellgrau und auch der Teppich war mit seinem Mausgrau nicht sehr farbenfroh. Überhaupt fehlten mir hier Farben. Die restliche Wohnung war zwar modern eingerichtet, aber nur in Weiß gehalten. Weiß, wohin man nur schaute: weiße Möbel, weiße Wände und kalte weiße Fliesen als Bodenbelag. Da die Wohnung im Dachgeschoss lag, sah man nur das Hellblau des Himmels durch die Fenster – oder das Grau, wenn es regnete. Nicht einmal grüne Bäume, geschweige denn bunte Blumen, waren zu sehen. Unsere Wohnung lag zudem noch auf der zur Straße gelegenen Seite. Selbst wenn ich aus dem Fenster nach unten blickte, war alles grau. Nur die vorbeifahrenden Autos malten ab und zu Farbtupfer in die graue Suppe.

      Ich versuchte mit ein paar bunten Kissen auf dem weißen Sofa etwas Farbe in die Wohnung zu bringen. Aber