Fred Beyer war anfangs mit seiner Kommandierung zur Panzertruppe nicht richtig glücklich gewesen, aber jetzt war er mit ihr regelrecht verwachsen. Nicht umsonst hatte sich auch sein Wunsch entwickelt, nach dem Krieg weiter bei den Streitkräften zu bleiben. Dass es dazu nicht kommen sollte war ihm schon seit einiger Zeit klar geworden, Deutschland würde den Krieg verlieren und danach keine Armee mehr haben. Dass die Ärzte ihm einen Schockzustand als Diagnose nach dem letzten Gefecht attestiert hatten konnte er aus der eigenen Sicht auf sich selbst bestätigen. Die Mediziner wussten aber nicht, dass es weder die Grausamkeit des Erlebten noch Todesangst gewesen war, die Dinge lagen ganz anders. Beyer hatte neben Anton Häber mit Fritz Kwasnik noch einen Kameraden verloren, der ihm außerordentlich viel bedeutet hatte. Die beiden Männer waren zwar grundverschieden gewesen, aber eine Eigenschaft hatte Beyer an ihnen besonders geschätzt: sie waren so sehr pflichtbewusst gewesen, dass sie ihre Aufgaben mit höchster Perfektion erledigen wollten. Ganz ähnlich war Beyers Anspruch an sich selbst, und er hatte ihn bislang gut erfüllt. Das war die eine Seite, die zweite wollte er sich immer noch nicht richtig und auch wirklich eingestehen.
Durch seinen kleinen Wuchs war Fred Beyer in der Schule zum Außenseiter gestempelt worden, aber er hatte mit dem Boxsport dagegengehalten. Nach seinen ersten Erfolgen hätte er sich aus den Mädchen seines Alters eine aussuchen können, aber er tat es nicht, und begründete es mit der ganzen Konzentration auf seinen Sport. Dass das nicht der Wahrheit entsprach wusste er. Es war die Angst vor dem anderen Geschlecht, seine trotz allem Getöse im Sport immer noch vorhandenen Minderwertigkeitsgefühle, und: er fühlte sich zu Frauen nicht wirklich hingezogen. Da er von seiner Art her recht unterkühlt war, konnte er mit der Redseligkeit der Frauen nicht viel anfangen, zumal es meist um recht belanglose Themen ging, die seiner Meinung nach eigentlich keiner größeren Diskussionen bedurften. Dieses Umständliche, das nicht auf den Punkt-kommen, um alles Banale trotzdem irgendein Gewese zu machen, das war ihm suspekt. Als er nach seiner ersten Verwundung im Lazarett von einer Krankenschwester entjungfert worden war hatte er das als einmal notwendig empfunden, um zu wissen wie es ist, aber eben auch nicht mehr. Später war er schon allein zur Triebabfuhr mit seinen Kameraden in den Puff gegangen, aber es war Schauspielerei gewesen, er wollte nicht auffällig werden. Zu dieser Zeit spürte er schon recht deutlich, dass er lieber mit Männern zusammen war. Noch nicht vordergründig im sexuellen Sinn, sondern in der Gemeinschaft. Fred Beyer war klug genug seinen versteckten Neigungen nicht nachzugeben, sie würden ihn ins Gefängnis bringen. Dennoch sah er sich die Männer um ihn herum jetzt genauer an. Anton Häber hatte er für den Inbegriff von Männlichkeit gehalten: stark, pflichtbewusst, ehrlich, schweigsam. Fritz Kwasnik war ein ganz anderer Typ gewesen. Femininer im Gestus, wortgewandt, klug, aber ebenso tüchtig in seiner Funktion wie der ehemalige Dorfschmied Häber. Beyer hatte sich beiden gegenüber diszipliniert und selbst an die Kandare genommen, es sollte rein gar nichts von seiner Orientierung ruchbar werden.
Dass gerade diese beiden Männer getötet worden waren hatte ihn zutiefst getroffen. Nach Häbers Tod hatte er insgeheim heftig getrauert, als Kwasnik gestorben war, war etwas in ihm zerbrochen. Der junge Zirkusmann liebte nach Beyers Überzeugung auch Männer, und er wäre für ihn vermutlich ein guter Partner gewesen. Das war der eigentliche Schock für Beyer gewesen, nicht die Begleitumstände um dieses Ereignis der Tötung herum. Er fühlte sich auch keineswegs in seiner Eignung als Panzerkommandant eingeschränkt und würde unbedingt dem Rat der Ärzte folgen, nämlich schnell wieder in den Kampf zu gehen. Das wäre die richtige Therapie für ihn, denn er wollte auch Vergeltung üben. Ein weiteres eigentliches Ziel seines Kampfes sah er nicht mehr, er würde es um des Kampfes Willen und aus Prinzip tun. Ob er dabei selbst auf der Strecke bleiben würde war ihm fast schon egal.
Vielleicht könnte es auch eine Erlösung sein, denn eigentlich war es unvorstellbar, dass ein schwuler Panzerkommandant mit dem Ritterkreuz um den Hals dem Heldenbild der aktuellen Zeit entsprach.
Günther Weber, 23. Februar 1945, Leipzig
Der Kasernenkomplex in der Nähe der sächsischen Großstadt lag einigermaßen versteckt in einem vorwiegend mit Kiefern bewachsenen Waldgebiet. Diese Nutzbäume waren vor einigen Jahren als Plantage angelegt worden und nicht von selbst aus der Natur heraus entstanden. So war bereits bei der Pflanzung der Setzlinge darauf geachtet worden, das damals noch in der Planung befindliche militärische Gelände so zu gestalten, dass Flächen für Verkehrswege und Gebäude freigehalten wurden. Ende der zwanziger Jahre waren dann die Bauarbeiten begonnen worden und in relativ kurzer Zeit hatte sich dort ein ziemlich ausgedehnter Bereich für die Nutzung durch die Reichswehr entwickelt. Zu dieser Zeit war den deutschen Militärs schon klar gewesen, dass zukünftige Kriege eine viel stärkere Motorisierung als die vergangenen Auseinandersetzungen erfordern würden, und dass vor allem eine Waffengattung eine wichtige Rolle spielen sollte: die Panzerwaffe. Nicht von ungefähr und fast zeitgleich mit dem Baubeginn dieses Komplexes in Sachsen hatte es eine geheime Übereinkunft zwischen der Sowjetunion und Deutschland gegeben, um bei Kasan in einer Kaserne und dem nahegelegenen Übungsgelände eine gemeinsame Panzerschule in Betrieb zu nehmen. Deutsche und sowjetische Soldaten wurden zusammen in der Theorie und der Praxis des Panzerkampfes geschult. Zum Einsatz kamen die ersten Modelle zukünftiger deutscher Kampfwagen, deren wahre Zweckbestimmung hinter Begriffen wie „Landwirtschaftlicher Schlepper“ versteckt wurden. In diesem Kontext war in Deutschland viel Wert darauf gelegt worden, ähnliche Übungsgelände im eigenen Land zur Verfügung zu haben. Der Bereich um Leipzig war für Braunkohlevorkommen bekannt. Die Deckschichten des Bodens bestanden an vielen Orten aus sandigem Material und die Gelände waren ohne größere Erhebungen fast eben. Blickte man von der Mitte Deutschlands aus über