»Kannst du ja auch nicht. Die Wand ist ja eben erst eingestürzt.«
»Das sieht ja wie Gefängniszellen aus.«
»Waren es ja wohl auch. Hier wurden wohl von unseren Vorfahren Leute gefangen gehalten.«
»Warum?«
»Wahrscheinlich waren das Verbrecher. Und die wurden
zur Zwangsarbeit hier gehalten. Damals, im Krieg oder schon vorher.«
Die letzte Zelle auf der rechten Seite war verriegelt.
»Schau hier! Die Zelle ist verschlossen. Alle anderen sind offen. Da steckt was dahinter.«
Matiss suchte ein Eisen um die Tür aufzubrechen.
Seine Schwester, die sonst ohne Angst und Skrupel war, riet zur Vorsicht.
»Pass bloß auf!«
Matiss schüttelte den Kopf.
»Meinst du, da drinnen lebt noch einer?«
Matiss schlug mit dem langen, verrosteten Eisenrohr gegen das Türschloss. Nach einpaar heftigen Schlägen brach der Riegel entzwei.
Als die Tür offen stand, bemerkten sie, dass der Raum luftdicht gegen Feuchtigkeit abgedichtet gewesen war. Sie leuchteten mit der Taschenlampe in den Raum hinein. Hier gab es keine Spinnweben.
Sie konnten kaum fassen, was sie dort vorfanden. Es standen auf Holzbalken unzählige Gemälde namhafter Maler, deren Wert Vanessa als Kunststudentin sofort erkannte, nachdem sie die, mit Ölpapier geschützten Objekte freigelegt hatte.
»Hier stehen Millionen!
»Meinst du wirklich, die alten Schinken sind so viel wert?«
»Darauf kannst du dich verlassen. Das Problem sind allerdings die Besitzverhältnisse.«
»Wie? Können wir die nicht einfach so verkaufen?«
»Einfach so bestimmt nicht. Das sind alles berühmte
Maler! Aber es gibt Möglichkeiten. Über Agenturen in den Staaten wird immer wieder mal ein Van Gogh oder Monet, ein Paul Gaugin oder ein Kandinski versteigert oder unter der Hand an Saureiche, denen es egal ist, woher die Bilder kommen, verkauft.«
»Woher kommen die Bilder eigentlich?«
»Das ist sicherlich beschlagnahmte Nazibeute. Die Besitzer sind wohl mittlerweile verstorben oder damals umgebracht worden. Und hier hat man die Sachen untergebracht. Versteckt. Die gelten als verschollen! Verstehst du? So wie das Bernsteinzimmer.«
»Und unsere Vorfahren haben da mitgemischt?«
»Sieht so aus. Aber genaugenommen stammen wir beide ja gar nicht aus dieser Familie. Wir haben Zirkusblut in unseren Adern.«
»Was machen wir mit dem Schatz?«
»Die, die das Zeug hier versteckt haben, sind sehr wahrscheinlich nicht mehr am leben. Aber bei solchen Kostbarkeiten gibt es ein öffentliches Interesse an der Sache.«
Während Matiss seinen Blick nachdenklich über die vielen Bilder wandern ließ, sah seine Schwester sich mit wachsender Begeisterung die Gemälde, Drucke, Radierungen und Stiche genauer an.
»Schau hier! Ein Henri Matisse! Hier ein Picasso! Hier ein Chagall, dort ein Emil Nolde, ein Franz Marc. Schau nur, ein Max Liebermann. Es ist ein Wahnsinn! Das sind Millionen!«
»Wenn wir sie verkaufen könnten! Du sagtest aber eben, das es nicht so einfach geht!«
»Es gäbe noch eine Möglichkeit, das alles zu Geld zu machen. Ich habe da einen Vorschlag. Du wolltest doch sowieso eine Tierpraxis eröffnen. Du richtest dich hier häuslich ein. Und das sofort. Du sicherst die Bilder und verschließt den Raum wieder. Ich kümmere mich um deren Verkauf. Nach und nach werden wir dann ein Bild, eins nach dem anderen, zu Geld machen. Aber nicht hier in Deutschland. Das geht nur von Übersee aus. Ich reise nach Amerika und bereite dort die Wege. Ich kenne Leute, die uns verkaufen helfen. Einverstanden?«
»Woher kennst du solche Leute?«
Vanessa hatte ein mitleidiges Lächeln auf den Lippen.
»Ach Frank. Du glaubst gar nicht, was die Männer im Bett so alles erzählen. Das musst du dir nur gut merken.«
Frank Matiss war mit dem Vorschlag seiner Schwester einverstanden und Vanessa traf schon wenige Wochen darauf in New York ein.
Als das erste Bild verkauft war, konnte er mit dem Geld schon das Gebäude ausbauen lassen. Als Nächstes, nach dem Verkauf von zwei weiteren Bildern, richtete er seine Praxis mit allen notwendigen Gerätschaften ein. Er legte jedoch kaum Wert auf Kunden, also Patienten, deren Herrchen und Frauchen seine Dienste hätten bezahlen können.
Sein Konto wurde jeweils nach jedem Verkauf eines Bildes aufgefüllt. Diese traten, als ganz gewöhnliches Frachtgut, gut verpackt die Reise nach Amerika an. Sie waren als Kunstgemäldeleihgaben eines Museums deklariert und umgingen somit in Deutschland Zoll und Steuerabgaben.
Vanessa Matiss mietete sich in ein Penthouse in New York ein und zog von dort aus die Fäden. Über eine große Agentur ließ sie die Bilder versteigern und erhielt nach Abzug der Provision und den zu entrichtenden Steuern, einen jeweils hohen Betrag. Die Gemälde gingen meist an private Bieter, gelegentlich bekam auch ein Museum den Zuschlag. Ab und zu wurde auch ein Bild an einen Unbekannten verkauft, der ohne Quittung in bar bezahlte. Dabei interessierte es keinen, woher die Gemälde stammten und wer sie anbot. Man war hier in den Vereinigten Staaten, im Land der unbegrenzten Möglichkeiten.
Der Versteigerungserlös reichte Vanessa aus, um ihr ein Leben in Wohlstand zu gewährleisten. Sie hatte alles im Griff, bis zu einem Zeitpunkt, wo sie Kontakt zu Kreisen suchte, die sie lieber nicht gesucht hätte.
Im Grunde hatte sie diese Kontakte nicht von sich aus gesucht, sondern man wurde auf sie aufmerksam und hatte sie auserkoren. Es hatte sich in gewissen Kreisen herumgesprochen, dass sie im Besitz wertvoller Gemälde sei. Dass man auf sie aufmerksam wurde, hatte Vanessa jedoch nicht bemerkt und so geriet sie in den Bann gewissenloser Verbrecher.
Angefangen hatte es auf Partys, wo sie zur leichten Beute wurde. Beute, die man manipulieren und gefügig machen konnte. Begonnen hatte es ganz harmlos mit leichten Glücklichmachern wie Pillen und Kokain. Das alles wurde auf Partys großzügigerweise spendiert und so zog sie sich den weißen Schnee kiloweise durch die Nase. Sie zahlte dafür nichts. Die Partys wurden immer mehr zu Sexorgien. Bald spürte sie jedoch keinen Kick mehr und so stieg sie in Verbindung mit Alkohol auf harte Drogen um. Man überredete sie. Man machte ihr klar, dass es noch etwas Schöneres auf Erden gab. Heroin. Sie wurde abhängig. Nun benutzte man sie, um an die verbliebenen Bilder heranzukommen.
Frank Matiss erfuhr von alledem nichts. Er hatte das Haus im Steinbruch ausbauen lassen und den verborgenen Gang tief in dem Stollen zu einem ausbruchsicheren Gehege mit sechzehn Einzelzellen herrichten lassen.
Matiss hatte sich an die schöne Zeit, als der Zirkus hier verweilte, erinnert und wollte sich nun Tiger zulegen. Gleich mehrere, da es ihm finanziell gut ging und er mit seinem Schwarzgeld sowieso nicht viel anfangen konnte. Er liebte Tiger, seit er als Kind täglich mit einem gespielt hatte.
Als er die Kontaktadressen einiger Tigerhalter, in einem kleinen Koffer unter den alten Unterlagen aus der Erbmasse seiner Mutter fand, suchte er die Personen auf.
Von acht Adressen in Deutschland, Holland, Belgien und der Schweiz, existierten nur noch vier. Eine in der Schweiz, eine in Belgien und zwei in Deutschland.
Die beiden Adressen in Deutschland erwiesen sich als zuverlässige Partner für ein illegales, tierisches Geschäft.
So kaufte er nach einigen Wochen, zwei junge weibliche und zwei männliche Sumatratiger, alle im paarungsfähigen Alter.
Als er bei seinem letzten Besuch bei einem der Tierhalter einen Streit zwischen einem Pfleger und einem weiteren Angestellten mitbekam, wurde er auf die Situation aufmerksam.