Ich habe nichts sagen können. Das geht mir oft so. Da bin ich zu. Ich kann mich nur mit jemand unterhalten, wenn es sich ergibt. Nicht, wenn ich es mir vornehme. Oder wenn der andere es will.
Die Direktorin hat dann auch gleich gesagt, was Sache ist. Dass es nicht so weiter geht. Ich da oben. Die anderen da unten. Und dass doch alle Menschen sich an irgendwelche Regeln halten müssten. Und. Und. Und. Von wegen Gemeinschaft und so. Es hat wieder einmal ungeheuer nach Bratwürsten und Sonnenöl gestunken.
Sie muss es selber gerochen haben. Es ist ihr davon schlecht geworden. Ich hätte ihr gern geholfen, dass es ihr wieder besser geht. Aber sie hat die Wut in den Bauch bekommen. Sie hat mir gedroht. Wie meine beiden Alten. Und all die anderen, wenn ich es ihnen nicht recht mache.
Nun habe ich gleich gar nichts mehr sagen können. Sie auch nicht. Frau Wendisch kam leicht ins Schwanken. Ich wollte ihr das Blatt aus dem Schiffstagebuch geben, das ich immer noch nicht ans Schwarze Brett gepinnt hatte. Doch entweder war ich zu langsam, oder sie zu schnell. Sie ist schon wieder auf ihr Rad gestiegen und weggefahren. Auf der Landstraße habe ich sie eingeholt. Kennen Sie Sevilla im April? Waren Sie schon mal in Indien? habe ich fragen wollen. Aber ich habe dann doch meine ganze Kraft in die Pedale gelegt.
Ich bin gerade noch zur rechten Zeit zum Abtransport gekommen. Meine beiden Alten meinten, ich könnte schon, wenn ich nur wollte. Und dass ich wollte, dafür würden sie sorgen. Schließlich seien sie meine Eltern.
Jetzt schreien die Katzen. Der Mond ist voll da. Irgendwo, weit weg heult ein Hund.
Er segelte nach Westsüdwest, sie legten etwa zehn Seemeilen pro Stunde zurück, manchmal auch zwölf und eine Weile sieben; in den ganzen vierundzwanzig Stunden brachten sie neunundfünfzig Meilen hinter sich. Er sagte den Leuten allerdings nur vierundvierzig. An diesem Punkt konnten es die Leute nicht länger aushalten. Sie beklagten sich über die lange Reise; aber der Admiral ermutigte sie, so sehr er konnte, und weckte bei ihnen Hoffnungen auf die Vorteile, die ihnen zufallen könnten. Und er fügte hinzu, es sei zwecklos, sich zu beklagen, denn er habe den Weg nach Indien einmal eingeschlagen und müsse ihn nun fortsetzen, bis er das Land mit Hilfe unseres Herrn gefunden habe.
Fünfter Oktober. Achtzehn Uhr fünfundzwanzig.
Drei - zwei - eins - null. Aufnahme! Aufnahme!
Heute war der Schulrat in unserer Schule. Mit ihm sind eine Menge Leute gekommen.
Ich bin am Tagebau. Am Stausee. Der Kahn ist voll Wasser. Heute lasse ich ihn untergehen. Ich will dabei sein, wenn der große Neptun ihn auf Grund holt. Das Segel habe ich aufgezogen. Die Flagge gehisst. Nun muss ich nur noch warten.
Ich wollte heute nicht auf den Baum steigen. Ich hatte mir fest vorgenommen: Heute bleibst du unten. Warum eine Extravorstellung geben, wenn der Zirkus Generalprobe hat.
Als ich am Morgen auf den Schulhof kam, hat der Baum mich gewaltig angezogen. Ich habe mir die Augen zugehalten und den Befehl gegeben: Vorbei! Aber da ist was Verrücktes passiert. Ich habe an all die Leute denken müssen: den alten Hausmann, die Direktorin, Panzer, Christa Mällmann, Rappke und sogar an meine beiden einbalsamierten Alten. Und keiner hat verlangt, dass ich unten bleiben soll. Sie haben getan, als wüssten sie von nichts. Sie waren stumm und taub. Jeder war wie erstarrt. Das war ziemlich böse. Eine Welt aus Stein.
Noch nie ist es mir so schwergefallen, auf den Baum zu kommen. Ich habe gespürt, wie auch ich zu Stein werden sollte. Da habe ich mich hochgearbeitet. Stück für Stück. Als ich oben war und ins Grün sah, wusste ich, dass ich es richtig gemacht hatte. Was auch passieren würde.
Auf dem Schulhof herrschte inzwischen Panik. Alle schwirrten wild durcheinander. Da war noch was im Gange. Der alte Hausmann versuchte auf den Baum zu klettern! Mein Lehrer!
Zuerst dachte ich, er will mich herunterholen. Aber dann wusste ich, er will wie ich auf den Baum. Der alte Mann. Ich hatte so etwas geahnt. In der letzten Zeit. Manchmal hatte er sich verhalten, als wollte er auf der Santa Maria anheuern. Auf dem Admiralsschiff. Als Decksmann. Oder so was. Er getraute sich nur nicht, mit dem Admiral zu reden. Vielleicht sollte ich ein gutes Wort für ihn einlegen.
Und nun versuchte mein Lehrer in den Ausguck zu gelangen. Ich betete zum großen Neptun, dass er es ihn schaffen lässt.
Aber der alte Hausmann fiel immer wieder vom Baum. Ich konnte ihm nicht helfen. Unmöglich. Christa Mällmann und Rappke kamen mit einer Leiter, ausgerechnet die beiden.
'Hier bin ich!' habe ich gerufen. 'Kommen Sie hierher!'
Und dann saß der alte Hausmann neben mir. Auf dem Baum. Mein Lehrer. Er hat geschwitzt. Und gezittert. Seine Stimme war ganz dünn.
'Sehen Sie nur', habe ich gesagt.
Mit einem Mal hat der alte Hausmann gelacht. Es war, als wäre eine Quelle aufgebrochen und sprudelte nun über. Auch ich musste lachen.
Keine Ahnung, was da unten los war. Aber es rührte sich was.
Er segelte in Richtung Westsüdwest, und sie hatten hohen Seegang, der stärker war, als sie ihn auf der ganzen Reise erlebt hatten. Sie sahen Sturmschwalben und eine frische grüne Binse, die nahe am Schiff vorübertrieb. Die Leute von der Pinta sahen ein Schilfrohr und einen Stock, und sie fischten aus dem Wasser einen anderen kleinen Stock auf, der anscheinend mit einem Eisenwerkzeug bearbeitet worden war, und noch ein Stück Rohr und anderes Grünzeug, das auf der Erde wächst, und ein kleines Brett. Die Männer von der Karavelle Nina entdeckten noch andere Anzeichen nahen Landes und dazu einen Zweig, an dem Hagebutten hingen oder etwas Ähnliches. Bei diesen Anzeichen atmeten sie auf, und alle waren voller Freude. Sie fuhren an diesem Tag bis zum Sonnenuntergang siebenundzwanzig Meilen. Nach Sonnenuntergang segelte er weiter auf seinem ursprünglichen Kurs nach Westen...
Der Kahn ist untergegangen. Der große Neptun hat es so gewollt.
Dreiundzwanzig Uhr zehn.
Karlchen trommelt. Mit aller Kraft. Bum - bum, bum - bum - bum, bum - bum ...
Aufnahme! Aufnahme! Aufnahme! Wer mich hören will!
Es ist Nacht. Ich heiße Hans Schorn. Bin Schiffsjunge auf der Pinta. Ich bin, wo die Erde aufhört und die Wellen schlagen. Ich sitze im Ausguck und sehe ins Grün. Und bald werde ich dem Admiral zurufen: Mein Indien!"
TÖDLICHES GRÜN
Eine Ferienidylle
Der Geiger auf dem Dach
- nach einem Bild von Marc Chagall -
Es steht ein Geiger auf dem Dach,
der hat ein Grüngesicht,
doch dahinter siehst du nicht.
Die Nacht ist still und wach.
Zum Tanz streicht er die Geige,
es schaut ein Dreigesicht,
sieht her und keines spricht.
Vögel sitzen weiß im Blaugezweige.
Es spielt der Geiger in die Nacht,
da kommt wer in den Kreis herein;
erkennst ihn nicht, ist nur der Schein,
nun geht er wieder, und er lacht.
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