Beate und er trödelten die Straßen Zehlendorfs entlang. „Na, hat man auch mal gesehen“, kommentierte sie den Stadtteil. Sie nervte Peter damit aufzuzählen, warum ihre Eltern gemein waren und warum sie ausschließlich auf langhaarige Männer abfuhr. Das alles interessierte ihn überhaupt nicht. Es war ihm sowieso nicht ersichtlich, warum sie darauf bestanden hatte mitzukommen, wie konnte sich jemand nur so langweilen.
Der Verkäufer, ein junger Technikfreak, sein Zimmer roch ungelüftet und war vollgepackt mit Keyboards und Gitarren beachtete sie kaum, sondern fummelte an einem Effektgerät. Aber Peter hatte ein gutes Gefühl, als er die 500 Mark abzählte.
Zu Hause probierte er das Gerät gleich aus. Er stöpselte das Kabel in die Stereoanlage, stellte es auf einen Stuhl, drückte Tasten, Knöpfe und modulierte Töne.
„Das ist ja nur Lärm“, stöhnte Beate. „Ich dachte, damit kann man Musik machen.“
„Muss man sich mit beschäftigen“, erwiderte Peter gereizt, „die Gebrauchsanweisung lesen und so.“
„Ich geh‘ dann jetzt“, sagte sie eingeschnappt und verschwand. Peter klimperte abwesend eine schräge Melodie und dachte darüber nach, was sie jetzt wohl machen würde: Glotzen, Haare färben, betrinken oder mit einer Rasierklinge den Arm aufschneiden.
Er führte Gogo den Synthesizer vor. Sie tranken scheußliches Berliner Bier aus bauchigen Drittelflaschen
Nach einem Halt bei einem Kebabfritzen begossen sie das Instrument und sprachen über die Band und wie sie heißen könnte. ‚Atome’, ‚Rotkehlchen’ oder ‚getrocknetes Brot’ schlug Peter vor. Gogo verwarf alles, hatte aber selber keine Idee. In dem nachfolgenden Vakuum wünschte Peter sich Tobias herbei, mit dem so etwas nie passiert war.
„Nun wird es vorangehen“, wiederholte Peter immer wieder. „Es kann doch gar nicht so schwer sein, dufte Musike zu machen.“
Gogo brummte. Sie tranken und spielten die ganze Nacht Pool Billard.
Im Morgengrauen traf Peter vor der Haustür den Typ aus dem ersten Stock.
„Hey Baldinger“, grüßte der ihn beim Nachnamen. „Hallo Padberg“, gab Peter zurück. Sie grinsten beide breit. Padberg war dürr und gelb im Gesicht. Er hatte gerötete Augen und seine blonden Haare waren schändlich verschnitten. Peter öffnete mit seinem Durchsteckschlüssel die Tür. Wie jedes mal, seit Padberg eingezogen war, verabredeten sie, dass Peter ihn bald mal besuchen käme.
An diesem Abend aber klopfte Peter bei Padberg im ersten Stock. Verschlafen und in Rippunterhose öffnete der: „Ach, du bist es. Komm rein. Sind wir irgendwie verabredet? Ich kann mich an nichts mehr erinnern.“
Er schritt zurück in sein Bett, das mit der Kopfseite an der Wand stand, genau an der Stelle an der auch Peters Matratze drei Stockwerke höher war.
„Wie spät ist es denn?“ fragte er.
Peter las den digitalen Wecker auf dem Tisch ab: „Halb fünf.“
„Oh Schreck. Da muss ich ja wohl aufstehen.“ Er schaltete mit einer Fernbedienung einen kleinen Farbfernseher an, setzte sich in einen Korbsessel, neben dem Bett und fing an, einen Joint zu drehen. Peter setzte sich auf einen der Stühle. Über einem Öl-Radiator hingen Socken und es roch streng nach Schlaf, Wäsche und kaltem Marihuanarauch.
„Heizt du gar nicht mit Kohlen?“ fragte Peter.
„Kann man das?“ fragte Padberg verwundert und sagte: „Bestes Gras, Acapulco Gold. Nur die Blüten, da kommt kein normales Dope mit.“
Er kokelte das Hütchen an der Spitze ab, schnippte es weg, entfachte das Gras und inhalierte tief. Dann reichte den Joint Peter. Der sog daran. Es war wie ein Hammerschlag gegen das Innere seines Gehirns. Flirrende Punkte. Lust. Schrille Menschen, das DDR-Sandmännchen. Es musste wohl Padmann sein. Wo war er nur? Wo war der Mann? Der Pad, der Patt, der Pack. Schallendes Gelächter. Zerschmetterndes blaues Glas. Sprühende blaue Funken, weich wie Brüste.
Ohne Zeitgefühl kam er langsam wieder zu sich.
„Kennst du eigentlich die Leute, die hier wohnen? Ich kenn‘ nach mehr als zwei Jahren, immer noch niemand“, sagte Padberg, der resistent auf das Marihuana schien.
„Hast du noch keine Bekanntschaft mit der Hauswartsfrau gemacht?“ fragte Peter mit schwerer Zunge. Weiterhin schaffte er es nicht seine Mundwinkel zu kontrollieren, die immer noch nach oben drifteten.
„Schon, schon, aber sonst?“
„Neben der Hauswartsfrau wohnt eine Gans, die...“
„Nee, das mein ich nich! Ich mein die Frau im dritten“, unterbrach ihn Padberg.
„Ach so! Sag das doch gleich! Franka heißt sie. Ich hab‘ mal ihre neurotische Katze gepflegt. Ihre Wohnung ist dufte groß und hell, viel besser als unsere Löcher. Sie hat überall auf Wäscheleinen und in Gläsern komische Kräuter. Der Gestank ist penetrant. Irgendwie säuerlich, vergammeltes Essen, Katzenklo und Kräuter gemischt. Ach ja, und überall Sexwäsche. Nicht mein Typ die Tante. Studierst du eigentlich?“
„Ach Blödsinn, ich bin eingeschrieben für Filmtheorie, aber nur so, wegen der Versicherung und meiner Eltern und arbeite nachts als Kassenfuzzi im ‚Passagenkino‘. Immer wenn ich genug Geld zusammen habe, verreise ich. Bald muss ich wieder weg. Noch so einen Winter wie diesen, ertrage ich nicht. Nie ist es hell und diese Kälte, das hält man doch nich aus!“
„Und wohin fährst du denn so?“
„Australien oder Asien.“
„Wow.“
„Pack‘ mal die rein“, sagte er und reichte Peter eine CD. Angewidert von CDs nahm Peter die Plastikscheibe mit zwei Fingern und platzierte sie in der Mini-Stereoanlage.
„Stark! Ein Traum“, kommentierte Padberg die Funkmusik, die erklang. „Ich sehe Südseeinseln und rieche den besten Kiff der Welt. Den gibt es übrigens in Thailand, wusstest du das?“ Peter schüttelte den Kopf und sah auf den Bildschirm des Fernsehers, der ohne Ton lief. Er versuchte an den Lippen einer Nachrichtensprecherin abzulesen, worum es ging, aber die Schlagzeile, die hinter ihr eingeblendet wurde, zeigte, dass er ganz falsch gelegen hatte.
„Ich muss jetzt los ins Kino. Kannst ja später auch kommen. Ich lass‘ dich so rein“, sagte Padberg lasch.
„Was läuft denn? Das ist doch nen Kommerzkino, oder?“
„Schon. Wir spielen gerade ‚die nackte Kanone‘. Ist ganz lustig.“
„Hm. Weiß nich‘, das ist bestimmt Schrott.“
„Ach komm‘, ich geb‘ dir auch nen Bier aus.“
„Mal sehen, was so anliegt.“
Zurück in seiner Wohnung schüttete Peter eine Büchse Rindfleisch in einen dampfenden Nudelhaufen, rührte alles mit Ketchup bei schwacher Hitze um, streute Parmesankäse darüber, nahm den Topf mit ins Zimmer, setzte sich auf die Kante seiner Matratze, stellte den Topf auf ein Brettchen neben sich, aß und sah eine Serie. Bald wechselte er zu den Nachrichten, indem er den Knopf mit dem Zeh drückte.
Hinterher kochte er Wasser im Kochendwassergerät in der Küche, goss damitTee auf, drückte Zitronensaft hinein, ließ den Rest des Wassers in das emaillierte Blechwaschbecken ein, mischte kaltes hinzu, spülte seinen Teller und den Topf, befreite die Spiegelkachel vom Kondenswasser und rasierte sich nass.
Wütend darüber, dass der Tag schon wieder vorbei war, legte er ‚Evol‘ von ‚Sonic Youth‘ auf, drehte die Lautstärke hoch, las Parmenides in deutscher Übersetzung und ärgerte sich noch mehr, weil er kein Altgriechisch gelernt hatte.
Er las, ohne das Gelesene in den Kopf zu bekommen, zündete ein Räucherstäbchen an, fing noch einmal