Als Gogo mit dem gemieteten Wagen zurückkam, luden Sabrina und die anderen Frauen die Sachen auf und Peter und Gogo wuchteten das Sofa runter. Es passte nur um die Ecken des Hausflurs, wenn man es an einer Seite aufrichtete. Anschließend hieß es auf einmal: der Küchenschrank, ein angebliches Erbstück von Sabrinas Oma, müsse auch noch mit. Peter war vollends bedient.
Sabrina, Ramona und Gogo fuhren mit im Laster in die neue Wohnung, die im Hinterhaus des letzten Hauses in der Selchower Straße in Neukölln lag. Beate, Lise und Peter nahmen die U-Bahn. Lise plauderte über ihr Medizinstudium, das sie wegen des Numerus Clausus, in Italien angefangen hatte. Nach der Zwischenprüfung war sie nach Berlin gekommen. Beate lief vor Eifersucht rot an.
Sie asteten alles in den zweiten Stock. Das Sofa passte nicht durch den Hausflur und musste auf der Straße stehen bleiben.
Sabrina räumte eine Geschirrkiste aus, stellte Bier hin und schmierte Schmalzbrote.
Gogo plusterte sich auf und führte die Frauen herum. Mit einer Hand zwirbelte er seine dunklen Locken, mit der anderen veranschaulichte er tückische Renovierprobleme und wie sie sie gemeistert hätten. Vom schattigen Hof dudelte arabische Musik herauf.
Als Beate mit Ramona tuschelte, fragte Peter Lise, ob sie beim Studium auch mit Leichen hantieren müsse. Sie nickte und ihr schmaler, kirschroter Mund wurde etwas dicker. Sie fragte, warum er sich dafür interessiere.
„Keine Ahnung, als Künstler vielleicht“, antwortete Peter unsicher, „oder weil ich mich gerade mit dem ‚Nichts‘ beschäftige. Ich habe noch nie einen toten Körper gesehen und das finde ich nicht richtig. Der Tod gehört zu unserem Alltag, aber ich fühle mich davon abgeschirmt.“ Lise lachte kratzig auf.
„Komm mich doch mal in der Pathologie besuchen. Ich frag‘ mal, ob Gäste erlaubt sind. Aber ich denke, das ist okay.“ Sie schrieb ihm ihre Telefonnummer auf.
„Ich hab‘ gehört, ihr wollt eine Band aufmachen“, wechselte sie das Thema.
„Dieses Projekt steckt noch in den Kinderschuhen“, sagte Peter.
„Vielleicht kann ich ja bei euch singen. Ich habe leider nicht allzu viel Zeit, aber ab und zu mal, fände ich das toll“, sagte sie. Beate und Ramona unterbrachen ihr Gespräch und starrten sie an, als wäre sie ein Zombie.
„Warum nicht“, sagte Peter belustigt.
„Super. Ich geh‘ dann mal“, rief sie und sprang auf. Gogo brachte sie raus.
„Sie hält es nirgends länger aus als nötig“, sagte er, als er wiederkam und Beate bekräftigte, dass sie auf keinen Fall in der Band singen wolle, wenn Lise auch mitmache. Worauf Peter von der Chance sprach, durch Gastmusiker viel lernen zu können, was Beate vollends auf die Palme brachte. Ramona, die einen Streit verhindern wollte, muckierte sich, dass sie zwar Schlagzeug spielen wolle, aber keins hätte. Die Übungsraumsuche wäre ja wohl bisher auch erfolglos gewesen.
„Es hatt' sich ja auch niemand darum gekümmert“, mischte sich Gogo ein.
Beate und Ramona brachen auf. Sabrina kommandierte Gogo in die Küche ab, um weitere Kisten auszuräumen. Peter hatte sich in einen der unendlich tiefen und unendlich unbequemen Sessel fallen lassen, wo er die Arme, um sie auf die Lehne zu bekommen, fast ausrenken musste. Sabrina überraschte ihn mit der Frage, ob er mit ihr ins Kino gehen wolle.
„Hm“, stutzte er, „was für ein Film denn?“
„Was Erotisches!“ sagte sie und zog eine Strickjacke über ihr ärmelloses T-Shirt.
„Nur wir beide?“ fragte er mit faltiger Stirn.
„Was ist schon dabei?“ sagte Sabrina. „Gogo geht doch auch mit anderen Frauen aus. Wir sind da ganz tolerant.“
„Trotzdem komisch, wenn wir zusammen in einen Sexfilm gehen“, sagte er.
„Ach, zier dich nicht. Ich mein ja kein Porno“, erwiderte sie. „Schräge erotische Filme machen mir Spaß. Mein Lieblingsfilm ist ‚Deep Throat‘. Den hab ich schon drei mal gesehen. Ist echt fun. Gogo hat mir erzählt, dass du letzte Woche ‚Im Reich der Sinne‘ warst.“
Es stimmte, er hatte bis spät Thomas von Aquin gelesen und war dann, um abzuschalten, in ein nahe gelegenes Off-Kino gegangen.
Er versprach sich die Sache zu überlegen.
Als der Wecker um halb 8 klingelte, konnte Peter es nicht fassen. Er quälte sich aus dem Bett, machte sich fertig und verfluchte Vorlesungen, die um 9 anfingen.
Im U-Bahnhof Karl-Marx-Straße wurde träges, ja kriechendes, grünliches Licht von gelbgrünen Kacheln reflektiert. Plakatwände zeigten Baumarktwerbung, Zigarettenwerbung, Zahncremewerbung. Er überflog die Schlagzeilen der Zeitungen am Kiosk. Mäuse rannten vor einer einfahrenden Bahn davon. Gedränge. „Zurückbleiben.“ Er las einige Zeilen in Goethes ‚Wahlverwandtschaften‘. Aber: einer stank bestialisch nach Fäkalien, eine schrie betrunken und zahnlos, ein Kind ließ ihren Keks fallen, kriegte dafür eine gescheuert und schrie wie am Spieß.
Steinert war in eine WG in der Zossener Straße gezogen. In der anderen Wohnung hatte er es keine fünf Monate ausgehalten. Natürlich hatte Peter geholfen. Er hatte davon zwei Tage Muskelkater gehabt, da Massen von Bücherkisten aus dem vierten Stock in den vierten Stock gebracht werden mussten.
An der Station Gneisenaustraße stieg er aus und ging nach vorne raus. Die hohen Altbauhäuser standen weit auseinander und eine weißliche Morgensonne flutete die Straßenmitte. Ganz euphorisch über so viel Licht klingelte er. Als nichts geschah, drückte er noch mal länger den Klingelknopf und überlegte, ob es wohl Sinn mache hochzurufen. Endlich ertönte der Summer - aber zu kurz, er verpasste ihn und musste erneut klingeln. Als wieder der Summer ging, stemmte er sich rechtzeitig gegen die riesige Haustür.
Oben trat er ein. Steinert grinste mit einem Mund voller Zahncreme aus dem Badezimmer.
„Hi“, sagte Peter irritiert und ging in die Küche. In der Spüle stapelte sich dreckiges Geschirr. Ein mit Kippen und Asche überquellender schwerer Porzellan-Aschenbecher mit einem Henkel, den mit roter Schnörkelschrift das Wort ‚Stammtisch‘ zierte, stand mitten auf dem runden Plastiktisch. Peter ließ sich auf einen Klappstuhl plumpsen.
Steinert trug nur eine karierte Boxershorts und strich sich über die kahle Brust.
„Na“, grinste er und zog aus dem Geschirrberg zwei Tassen hervor. Er spülte sie nicht, das wäre ihm auch gar nicht geglückt, ohne vorher den Berg zu verkleinern, und setzte Wasser auf.
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