Tödliche Geschwister. Jo Caminos. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jo Caminos
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738076936
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Etwas Mayonnaise hing ihr zwischen den Zähnen, aber so etwas hatte sie noch nie gestört.

      „Dafür sorgst du schon selber“, meinte Sandra nur. „Was kann ich dafür, dass du immer am Essen bist? Ich habe seit heute Mittag nichts mehr zwischen die Zähne bekommen. Und auf Trockenbrot habe ich echt keine Lust. Ich föhne jetzt meine Haare fertig. Iss du dein Sandwich, und störe mich die nächste halbe Stunde nicht. Nägel muss ich auch noch lackieren.“

      „Dann mach dich mal hübsch. Ist bei mir sowieso zwecklos.“ Sheila legte den Rest des angebrochenen Sandwichs achtlos auf den Teller zurück. Sandra hatte die Tür zum Badezimmer hinter sich geschlossen. Der Föhn machte einen Heidenkrach. Sandra sang ziemlich laut und falsch irgendeinen Song. Es klang ziemlich schräg, aber so war Sandra eben. Sheila erhob sich ächzend von der Couch und trat ans Fenster. Ihr Spiegelbild ekelte sie an. Fett, überall Fett … Langsam wurde es draußen dunkel. Es war Zeit, die Zelte hier abzubrechen. Sandra wurde langsam lästig. So etwas konnte Sheila nicht ausstehen. Es war schon einige Zeit her, dass sie jemanden ins Jenseits befördert hatte. Als sie Sandra vor zwei Jahren kennengelernt hatte, war sie der Meinung gewesen, ihren seltsamen Trieb endlich im Griff zu haben, aber offensichtlich hatte sie sich geirrt. Wie auch …, dachte sie, so etwas vergeht nie. Das ist ganz tief in dir drin. Für einen Moment glaubte sie, wieder Stimmen zu hören. Ein Wispern nur. Tue es endlich! Tue es endlich! Sheilas Gesicht glich einer Maske. Vor ihrem inneren Auge erschien Sandra - es war zu der Zeit, als sie sich kennenlernten. Sandra war unglaublich charmant. Ich mag dich, sagte sie irgendwann. Sheila glaubte ihr - damals. Das war vorbei. Sandra war nicht zu trauen. Sie war nur auf sich selbst fixiert, brauchte jemand, der sie aushielt, das war alles.

      Sandra hatte nur mit ihr gespielt, dessen war sie sich mittlerweile sicher. Ihre Freundin stand nun einmal auf Männer. Da waren alle weiteren Versuche zwecklos, sie bekehren zu wollen. Aber Sandra würde leiden. Ja, das würde sie. Einmal zu oft hatte sie so getan, als wäre sie an ihr - Sheila - interessiert, dabei war es doch immer nur um die Monatsmiete gegangen. Sandra war permanent blank: zu viele Klamotten, zu viel Modeschmuck, zu viel Chaos bei ihren finanziellen Planungen … Ja, die Zeit war gekommen, Sandra Domenico eine Lektion zu erteilen. Heute, nach dem Kino. Oder während der Vorstellung. Oh ja, der Gedanke gefiel Sheila. Während der Vorstellung würde sie Sandra die Kehle durchschneiden. Ganz genüsslich. Guck mal, Schatz - Überraschung … Ein schneller Schnitt im Dunkeln, wenn das Publikum gebannt auf die Leinwand starrte. Danach würde sie sich aufs Klo verdrücken und warten, bis man Sandras Leiche entdeckt hätte. Wenn die ersten Schreie erklangen, würde sie in den Kinosaal zurückrennen und entsetzt schreien, lauter als alle anderen. Man musste ja so tun, als wäre man völlig durch den Wind, wenn der besten Freundin, die Kehle durchgeschnitten worden war, nicht wahr? Wenn alles so lief, wie sie es sich ausmalte, würde sie regelrecht aus den Latschen kippen. „Meine Sandra ist tot. Meine geliebte Sandra! Meine beste Freundin …“ Oh großes Geheul, oh süßer Schmerz.

      Sheila griff nach dem Rest des Sandwichs und biss herzhaft hinein. Fett, fetter, am fettesten - na und? Die Vorstellung, jemandem die Kehle durchzuschneiden, machte sie immer so unglaublich hungrig. Wie sollte man da auf Diät bleiben …?

      2. Kapitel

      „Sheila, Sandra, huhu!“

      Die dicke Frau, zu der die Stimme gehörte, schmiegte sich an einen hageren Mann und winkte begeistert. Sie hieß Trish Mulligan, trug ein Designerkostüm, das ihre Rundungen nicht unbedingt vorteilhaft zur Geltung brachte, und war Inhaberin einer gut gehenden Werbeagentur und darüber hinaus eines der geschwätzigsten Weiber der Stadt. Zumindest dachte Sheila so über die Unternehmerin. Sie mochte Trish nicht. Vielleicht lag es daran, dass Sandra ständig bei Trish herumhing und um einen Job bettelte. Sandra hatte irgendwann einmal Grafikdesign studiert - behauptete sie zumindest, allerdings hatte Sheila noch nie ihr Diplom zu Gesicht bekommen.

      „Oh Gott, komm, verschwinden wir ins Kino, das ist Trish Mulligan“, drängte Sheila. Sie zog an Sandras Ärmel, doch es war bereits zu spät. Zielstrebig kam die ziemlich rundliche Trish auf sie zu, den hochgewachsenen, etwas knochig wirkenden Mann im Schlepptau.

      „Schaut ihr euch auch Lunatics on Highway 61 an?“ Trish wirkte etwas außer Atem. Sie legte die Hand auf die Brust und seufzte. „Immer diese Rennerei. Ich dachte schon, wir wären zu spät. Ich hasse es, mich durch die Reihen zwängen zu müssen, wenn der Film schon läuft.“ Sie sah mit glänzenden Augen zu dem Mann an ihrer Seite.

      „Das ist Eugene. Meine neueste Eroberung - seit einigen Monaten. Sag schön Guten Abend, Eugene!“

      Der Mann nickte Sheila und Sandra kurz zu. „Hi …“

      Sheila fiel auf, dass Sandra etwas indigniert die Brauen hob.

      Die beiden erwiderten den Gruß, kamen aber nicht dazu, weitere Höflichkeitsfloskeln auszutauschen, da Trish wie ein Wasserfall weiterredete. „Also die Kritiken für Lunatics on Highway 61 sind ja megageil. Ich hätte ja nicht gedacht, dass Earl Goldstein noch einmal eine Hauptrolle an Land ziehen würde, nach dem intellektuellen Quatsch, den er da mit den anderen Filmen abgeliefert hat.“ Wieder rang sie nach Atem. „Aber bei Lunatics hatte er wohl den richtigen Riecher. Na ja, er soll ja seinen Agenten gewechselt haben. Was so etwas doch ausmachen kann … Die haben sogar eine Warnung für den Film herausgegeben! Denkt nur! Fast wie damals beim Exorzist. Wer unter Herzproblemen leidet, sollte sich den Film keinesfalls anschauen. Und um die Story gibt es einen Hype wie seinerzeit bei Psycho. Alle Kinobesucher werden gebeten, nichts über die Handlung zu verraten …“ Trish atmete kräftig durch. Ihr Begleiter legte ihr den Arm um die Schulter und lächelte sie an.

      „Psycho?“, fragte Sandra.

      „Der Film mit der berühmten Duschszene. Bates Motel. Janet Leigh. Hitchcock … Klingelt es jetzt?“, hakte Trish nach, die nicht glauben konnte, dass es jemanden gab, der den Film nicht kannte.

      „Ach den alten Schwarzweißschinken meinst du“, begriff Sandra schließlich. „Ich fand den gar nicht so schlimm.“

      „Wo habt ihr Plätze?“, fragte Trish übergangslos. Sie schmiegte sich an Eugene, der sie kurz auf das linke Ohr küsste.

      „Drittletzte Reihe“, erwiderte Sheila etwas mürrisch. Sie konnte diese blöde Trish nicht leiden. Es war Zeit, hier den Abgang zu machen. Nachher käme Trish noch auf die Idee, vorzuschlagen, nach dem Film etwas gemeinsam unternehmen zu wollen. Das passte ihr überhaupt nicht ins Konzept. Immerhin wollte sie Sandra nachher noch die Kehle durchschneiden. Und dafür brauchte sie keine Zuschauer, zumindest nicht, wenn es geschah. Später, das war etwas anderes …

      „Wir sitzen ganz hinten“, meinte Trish. „Da fällt es nicht auf, wenn wir fummeln. Nicht wahr, Eugene, Schätzchen?“ Sie kicherte wie ein Teenager.

      Eugene - Schätzchen - erwiderte nichts.

      Für einen Moment erschien es Sheila, als hätte sie in seinen Augen etwas all zu Vertrautes bemerkt, ein gewisses Funkeln.

      Stimmen, Gewisper. Dunkle Augen, tief und unergründlich.

      Aber das musste ein Irrtum sein. Er schien sie nachdenklich anzusehen. Sheila runzelte die Stirn. Ein seltsames Gefühl stieg in ihr hoch. Das kann nicht sein!, durchfuhr es sie, ergriff Sandra bei der Hand und wollte sie mit sich ziehen, als Sandra meinte - natürlich musste sie immer so einen Mist sagen - man könne sich nach dem Film ja vielleicht noch auf ein Bier zusammensetzen. Sheila schluckte, doch ihr Gesicht blieb ausdruckslos. Gerne hätte sie Sandra jetzt schon in die Mangel genommen. Ein Fäustchen aufs Äuglein - und dann eine fette Rechte voll in den Magen, damit die blöde Schlampe so richtig zum Kotzen kam. Ja, ja, das wäre gut, das wäre schön! Eine Stimme in Sheila frohlockte vor Erregung. Sie konzentrierte sich, musste im Hier und Jetzt bleiben - vorläufig. Noch war es nicht so weit. Aber bald. Oh, mein Messerchen, oh du, mein geliebtes Messerchen …

      „Gute Idee. Das wollte ich eben auch vorschlagen. Ach, Sandra - wir müssen uns auch noch über deinen Job unterhalten. Ich glaube, ich habe da was