Zwiebelsuppe à la Jules. Louis Geras. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Louis Geras
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738041088
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er sich von der Richtigkeit seiner Annahme, dass dies seine Wohnung sei, überzeugt hatte - wieder in den Vorraum, von dem aus alle Türen offen standen und starrte - ohne die einzelnen Räume zu betreten - in jene, die seltsam leer und verwaist vor ihm lagen, hinein.

      Er starrte auf leeren Wände, an denen tags zuvor noch dekorative Gemälde und Fotos gehangen hatten, betrachtet eingehend die nackten Glühbirnen, die von der Decke baumelten und schob mit seinen Schuhen die Staubwülste am zerkratzten Parkett hin und her, die nach dem Entfernen der Möbel zurück geblieben waren.

      Der Abend und die Nacht nach der Entleerung seiner Wohnung endeten in einer miefigen Bar am anderen Ende der Stadt. Dort wachte er auch am nächsten Morgen auf, als ihn der Wirt äußerst unhöflich, aber dafür umso resoluter, auf die Straße beförderte.

      Alex zog die Decke über den Kopf. Er rümpfte die Nase, als er den intensiven Geruch nach sich selbst wahrnahm und fragte sich, wann er sie zuletzt neu überzogen hatte. Doch in diesem Punkt blieb er sich die Antwort schuldig.

      Danach fiel er in einen unruhigen Schlaf aus dem er kurz vor dreiundzwanzig Uhr wieder erwachte.

      Sein Magen knurrte und die Blase drückte. Daher kroch er unter der Decke hervor und taumelte schlaftrunken ins Bad, wo er sich demonstrativ vor die Toilette stellte, die Klobrille nicht anhob und hinein pinkelte.

      Er starrte ins Halbdunkel und lauschte dem Plätschern. Er hasste es zu stehen. Er saß lieber, aber seit Christina weg war, tat er es aus Trotz. Sie hatte sich immer darüber aufgeregt, wenn einer seiner Freunde sich nicht hinsetzte. Und nun tat er es…. und fand es bescheuert.

      Als würde dies daran, was geschehen war, etwas ändern.

      Nachdem er sich die Hände gewaschen hatte - er war auf dem Weg zum Waschbecken über einen Haufen mit schmutziger Wäsche gestolpert und hatte sich sein Knie an der alten Holztruhe angeschlagen - humpelte er in die Küche und setzte seine Vorbereitungen für das Risotto fort, welches er vor mehreren Stunden begonnen hatte, jedoch in einem Anflug von Trennungsschmerz unvollendet zurückgelassen hatte.

      Die Zwiebel war inzwischen ausgeraucht und so entsorgte er sie in den Kompost – der übrigens auch dringend hinausgebracht gehörte – wie Alex unschwer am Geruch erkannte.

      Gegen Mitternacht saß er dann mit einem Teller gefüllt mit Risotto Frutti di Mare vor sich am Tisch und aß. Oder eigentlich aß er nicht. Vielmehr stocherte er eher lustlos darin herum, obwohl - davon war er wirklich überzeugt - es köstlich schmeckte. Er hatte Hunger, aber alleine zu essen, war frustrierend. Außerdem erinnerte das Risotto ihn an Christina – sie hasste Risotto. Er zwang sich einige mit Risotto gefüllte Löffeln zu essen, um es ihr zu zeigen - schob letztendlich aber den Teller zur Seite.

      Jules

      Schließlich hielt Alex es in der stillen Wohnung nicht mehr länger aus. Seufzend erhob er sich, zog sich an und verließ die Wohnung. Unnatürlich laut fiel die Tür ins Schloss und zerriss die Stille im Vorhaus. Alex rannte die Stufen hinunter, hinaus auf die Straße.

      So früh am Morgen waren nur wenige Leute unterwegs. Während er die Straße mit raschen Schritten entlang eilte, vorbei an dunklen Auslagefenstern und stummen Häusern, war er froh kaum jemanden zu begegnen.

      Hin und wieder öffnete sich eine Lokaltür. Die letzten Gäste – berauscht von Alkohol, Liebe, Hass oder Verzweiflung - wankten heraus. Schlugen lallend eine Richtung ein, in die sich ihr Leben bewegte. Oder sie suchten die Richtung, drehten sich unentschlossen im Kreis, bis sie vollkommen verunsichert vorwärts tappten. Oft nicht weiter, als bis zur nächsten Tür, die noch nicht verschlossen war, oder zu einer Bank, auf die sie sich legen konnten.

      Alex zog seinen Kopf ein. Einerseits verabscheute er diese Männer, andererseits konnte er sie verstehen. In den ersten zwei Monat nach Christinas Verlust, hatte er sich auch jeden Tag betrunken. Doch meistens endete er auf der Toilette, wo er über der Klomuschel hing und alles, was er zuvor in sich hinein geschüttet hatte, wieder darin entleerte. Es erschien ihm sogar, dass es wesentlich mehr war. Irgendwann sah er schließlich ein, dass er dafür nicht geeignet war.

      Danach kam die Phase, wo er tagelang zu Hause gesessen war mit einen T-Shirt – Christinas Lieblings-T-Shirt von Donna Karan, welches immer noch intensiv nach ihren Parfum duftete - vorm Gesicht, welches er jedoch gelegentlich als Taschentuch verwendet um Tränen und Rotz abzuwischen. Schließlich in einen Anfall von aufkeimender Wut hatte er es zerrissen und in den Mülleimer gestopft.

      Immer wieder hatte er sich gefragt, wie Christina ihm das antun hatte können? Nicht genug, dass sie ihn betrogen hatte. Nein. Sie hatte es auch noch mit einem seiner besten Kumpel getan. Und … als wär das noch nicht genug- musste sie es vor allen seinen Freunden und Kollegen tun. Ausgerechnet während einer Firmenfeier, bei der seine großartige Marketing-Idee, welche einen hochkarätigen Etatabschluss mit einen Großkunden ermöglicht hatte, gefeiert werden sollte.

      Aber das war noch nicht das Schlimmste! Den Todesstoß versetzte sie ihm, als er sie erwischte und zur Rede stellte und es ihr vollkommen egal war. Sie warf ihm, während sie sich den Rock zurecht schob, einen gelangweilten Blick zu, als wäre er ein lästiger Köter, der sie anbellte und fing zu lachen an. Die brutalen Wahrheiten, die sie ihm anschließend vor allen seinen Kollegen ins Gesicht schleuderte – (Sie hatte es mit ziemlich jeden seiner Freunde und Kollegen getrieben.) – zerstörte jede Illusion von Freundschaft, Liebe und Gemeinschaft, die er je gehabt hatte und waren sicher der Auslöser für seine momentane Situation.

      Selbst jetzt konnte Alex ihr höhnisches Gelächter noch laut und deutlich hören, während er abwechselnd dunkle und beleuchtet Gehsteigflächen, wie ein Getriebener, durchhastete. Seit damals war er irgendwie ständig auf der Flucht.

      Er schüttelte sich um die düsteren Gedanken abzuwerfen und zog seine Jacke enger um seine Schultern. Es fror ihn, obwohl es nicht wirklich kalt war. Wenn er so weiter machte, drehte er noch vollständig durch.

      Der ganze Tag war eine einzige Katastrophe gewesen. Er brauchte dringend etwas zum Trinken. Etwas Härteres. Etwas… das seine Probleme leichter machte. Er vertrug etwas Handfestes, schließlich war er kein schwuler Schwächling, der nichts verkraftete.

      Er bremste ab und blieb wie angewurzelt stehen. Dachte über diesen Gedanken nach und fuhr sich mit beiden Händen mehrmals über sein müdes Gesicht.

      An der nächsten Ecke wusste er ein Bistro, welches um diese Zeit noch geöffnet hatte und, wenn der Chef gute Laune hatte, konnte er vielleicht sogar noch etwas zum Essen bekommen. Das ‚Jules‘ - so hieß das Bistro - war nicht besonders groß, aber es verströmte ein fremdländisches Flair, das mit seinen Besitzer - einen Franzosen - zu tun hatte. Im Gegensatz zu den meisten umliegenden Bars, ging es hier etwas ruhiger zu.

      Leise Musik, ein französischer Chanson, klang ihm entgegen, als er die Tür aufdrückte. Der Geruch von Zigarettenqualm und Alkohol umhüllten ihn. Seine Augen gewöhnten sich rasch an das dezente Dunkel, das hier herrschte. Ein wenig Verruchtheit schien in der Luft zu liegen. Einige Tische waren besetzt. Der Großteil aber war schon verwaist. Nur noch die leeren Gläser mit Rändern von rotem Lippenstift erinnerten an die intimen vergangenen Stunden. Die abgestandene Luft roch nach Tabak, Alkohol und menschlichen Ausdünstungen. Der hintere Teil des Bistros war so düster, dass Alex nur Schemen erkennen konnte. Sehr beschäftigte Schemen, deren Bewegungen keine Fragen offen ließen.

      Trotzdem wählte Alex einen der Tische im Hintergrund. Er wollte niemanden sehen und auch nicht gesehen werden.

      Ein verliebtes Pärchen saß zusammengekuschelt am unteren Ende des Tresens, ihm gegenüber. Knutschte intensiv. Die Hände der Beiden schienen überall und nirgends am Körper des jeweils anderen zu sein.

      An einem Nebentisch sammelte eine einsame Gestalt leere Gläser zu Gruppen, die in Reih und Glied vor ihm Habt-Acht standen, entleert in den verflossenen Abend- und Nachtstunden.

      Der