Sachsen-Anhalt, wie es glänzt und dämmert. Annette Riemer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Annette Riemer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752928648
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Blankenburg. Zum einen ist es – gerade weil so unspektakulär – tatsächlich ein Erholungsort. Hier zieht nichts ernsthaft an den Nerven, die Seele kann sich entspannen. Zum anderen gibt es etwas nördlich der Stadt die Reste der Burg Regenstein zu besichtigen. Diese hochmittelalterliche Festung wurde in den Felsen gebaut. Man wandelt durch künstliche Höhlen, die ineinander übergehen und von denen heute niemand mehr weiß, was Kapelle, was Rittersaal, was Schlafgemach war. Hier darf man träumen von alten Geschichten, die man aus Kinderbüchern kennt. Hier spuken die Harzer Sagen um Teufel und Düsternis. Hier ist Blankenburg geradezu märchenhaft.

      Braunsbedra

      Diese Stadt ist ganz düster. Seit knapp zwanzig Jahren gibt es sie inzwischen, durch zahlreiche Eingemeindungen der nicht weggebaggerten Tagebausiedlungen ist sie auf knapp 11.000 Einwohner gewachsen und erstreckt sich um den östlichen Teil des Geiseltalsees, dieses größten künstlichen Sees Deutschlands, der jetzt Naherholungsgebiet werden soll. Für Braunsbedra springt dabei ein Hafen heraus, neue Siedlungen sollen entstehen und durch den Zuzug finanzkräftiger Neubürger wird dann die ganze Wirtschaft hier unten im Saalekreis explodieren. Ganz bestimmt.

      Aber der Boom boomt in Zeitlupe. Die meisten Siedler, die sich ein Häuschen mit Seeblick kreditfinanziert errichten, kommen aus Braunsbedra selbst, sind den ewiggleichen Platten entflohen, die sich über die ganze Stadt verteilen. Dort, zwischen den drei- und vierstöckigen Häuserzeilen, wo hinter jedem Fenster eine Kummeroma sitzt und in jeder Tür eine rauchende Jogginghose steht – da ist es richtig finster, da boomt überhaupt nichts.

      Auch das Stadtzentrum scheint mehr auf Verfall als auf Aufschwung eingerichtet zu sein. Am Marktplatz, der eigentlich gar kein Platz ist, sondern von einer zweistöckigen Passage überdeckt wird, sitzen der Optiker und der Bestatter, die Kurzzeitpflege und die Tagespflege, das Rathaus direkt gegenüber der Fußpflege. Im einzigen Café im Karree heißt die Kellnerin „Garmen“ und wird von jedermann geduzt, auch von den beiden Polizistinnen, die bei ihr mit „Ma‘ ma‘ ein Eis“ den drögen Dienst auflockern. Und die trotz gefunktem Einsatzkommando warten, bis „Garmen“ beide Portionen zurechtdrapiert hat. „Nee, bei mir keene Sahne, die jehd jleich off de Hüfde“, sagt die dünnere Polizistin noch, dann trotten sie gemütlich Richtung Einsatzwagen.

      Schaurige Aussicht über die Stadt: Direkt an der Landstraße steht das Seniorenhaus „Geiselblick“ mit Blick auf ebenjene Hauptverkehrsader und die Gnadenkirche dahinter. Dort liegen alle Vermeldungen auch in Russisch aus. Alte Gewohnheit oder fromme Spätaussiedler? Niemand, den man fragen könnte.

      Und der Typ am Bahnhof weiß auch nichts. Er wartet zwanzig Minuten, bis der Zug kommt, um dann den Bahnsteig in Richtung Stadt zu verlassen. So ähnlich scheint es hier mit dem Aufschwung zu sein: ein Warten, ein desillusioniertes Hoffen – und die einmalige Gelegenheit zum Fortkommen zieht ungenutzt an Braunsbedra vorbei.

      Burg

      Burg sei eine „ansehnliche Stadt, von der trotzdem niemand nichts weiß“, bemerkte Theodor Fontane in seinen Erinnerungen Von zwanzig bis dreißig. Und Fontane musste es wissen, denn er verbrachte im „Herbste 1840“ drei Monate in Burg, wo er am Markt in der Adler-Apotheke arbeitete und sich bei „Skat- und Kegelpartie“ derart langweilte, dass er zum Satiriker wurde. In seinen acht bitterbösen Gedichten auf Burg heißt es etwa: „Einem riesgen Stall voll Schafen gleicht fürwahr die ganze Stadt.“

      Doch lassen wir den alten Mann mit seinem Groll beiseite und betrachten die „Stadt der Türme“, als die sich das offizielle Burg rühmt, unvoreingenommen. Und da macht die mit mehr als 20.000 Einwohnern einzige wirkliche Stadt im Jerichower Land enorm neugierig: Die unübersehbaren Türme deuten auf eine alte, gewesene Stadtmauer hin, ein gigantischer Roland symbolisiert altes Stadt- und Marktrecht, die übergroßen Kirchen verweisen auf einen gewissen Wohlstand der Burger Bürger von einst.

      Doch leider lässt sich über diese Vermutungen hinaus kein tieferer Einblick in die Geschichte der Stadt gewinnen, denn die historischen Ausstellungen in den diversen Türmen werden vom Heimatverein verwaltet, dessen Mitglieder – hier unglücklicherweise – allesamt in Lohn und Burger Knäckebrot stehem, sodass Besichtigungen nur nach Anmeldung irgendwann abends möglich sind. Offene Kirchen gibt es in Burg nicht und die Gedenkstätte für Carl von Clausewitz, diesen alten preußischen Militärstrategen aus Burg, öffnet nur für ganze vier Stunden im Monat. Der originale Kopf des Rolands wird im Standesamt versteckt gehalten, der ausgestellte Stadtplan davor ist verkohlt und unleserlich.

      Auch bezüglich der jüngeren Geschichte schwächelt Burg: Am Bahnhof steht noch ein vergessener sowjetischer Panzer rum, kein Buchladen der Stadt führt Literatur von oder über die Schriftstellerin Brigitte Reimann, dem zweiten bekannten Kind der Stadt.

      Und wie verhält es sich mit der Gegenwart? Die Schartauer Straße ist die Flaniermeile der Stadt, hier gibt es bei jedem Metzger Pferdefleisch zu kaufen – und das Kaufhaus Boulevard, eine Mischung aus Wühltisch und Müllhalde.

      Trost findet sich nur in Saskias Altstadt-Café, einem Familienunternehmen gleich gegenüber vom Standesamt. Weil dort selbst gebacken wird. Und sich die Kellnerin zur Not (und wenn wenig los ist) auch mal an den Tisch lehnt und ganz überzeugend meint, dass doch alles nicht so schlimm und Burg eigentlich recht schön sei. Es gäbe da beispielsweise eine alte Gerberei zu besichtigen. Optimistisch schreiten wir los und stellen vor dem Museum fest, dass es nur mittwochs geöffnet hat. Und eben grad nicht Mittwoch ist. Alles andere wäre in Burg auch irgendwie komisch gewesen.

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