Nach dem Eis. Malte Kersten. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Malte Kersten
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742752208
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seinen Aufenthalt in Holland. Plötzlich fiel mir die vertauschte Speicherkarte wieder ein. Wo war die eigentliche Speicherkarte? Das hatte ich ganz vergessen, Frau Lund mitzuteilen.

      Diese wenigen Fakten begannen in meinem Kopf sich zu verschiedenen Mustern zusammenzusetzen. Vielleicht war dies der Zeitpunkt, an dem mein Ehrgeiz mir signalisierte, dass wir mit unserem logisch geschulten Verstand ein wenig Licht in das Leben beziehungsweise das Ende von Herrn Oster bringen könnten. Ich konnte mir zwar nicht vorstellen, dass wir die Fakten besser anordnen konnten als die Polizei, doch vielleicht würde es uns gelingen, weitere Puzzlestücke zu sammeln, an die die Polizei zunächst nicht herankam oder zunächst nicht dachte. Ich hatte Frau Lund versprochen, den Namen des Kollegen aus Leiden herauszufinden, vielleicht könnte ich noch weitere Informationen über Herrn Oster aus Leiden bekommen?

      Was wollte Oster mit den Fotos anfangen? Mir fiel wieder das defekte Bild ein, welches wir noch nicht ansehen konnten. Hatte ich auch vergessen, Frau Lund zu erzählen. Johann hatte inzwischen sicher herausbekommen, ob das Bild noch zu retten war.

      Ich nahm das Handy und rief ihn an. Die Frau von gegenüber blätterte um und streifte mich mit einem vorwurfsvollen Blick. Ich nahm mir vor, nicht so laut zu sprechen. Die Hintergrundgeräusche im Café waren zwar etwas laut, doch konnte ich den Freiton einigermaßen deutlich hören. Johann ging nicht ran, war wahrscheinlich nicht mehr am Arbeitsplatz. Daher versuchte ich es bei Katja. Sie war sicher noch bei der Arbeit und vielleicht war Johann bei ihr, um das Ergebnis seiner Forschung ihr mitzuteilen. Sonst rufe ich Johann zu Hause an, dachte ich, als ich dem Freiton lauschte und darauf wartete, dass Katja sich meldete.

      „Ja?“, kam es etwas unwirsch, als sie den Hörer abnahm.

      „Hallo ich bin es“, gab ich fröhlich zurück. „Wobei störe ich dich denn?“

      „Entschuldige, ich bin einfach sehr geschafft, ich wollte gerade meine Sachen zusammenpacken und für heute Schluss machen. Es hatte heute alles nicht geklappt. Manchmal glaube ich, der Anteil, den ich für den Mülleimer ausarbeite, ist deutlich größer als der Anteil für meine Doktorarbeit.“

      „Ja, ich weiß, nicht immer hat man einen guten Tag. Ich kenne solche Tage.“ Um ehrlich zu sein, fast ausschließlich, fügte ich im Stillen hinzu.

      „Ja, wahrscheinlich. Aber was wolltest du, ich will nämlich gleich abschließen.“

      Johann war nicht in ihrem, in unserem Büro. Daher würde ich seine anderen Nummern durchprobieren müssen.

      „Oh, mir fällt gerade ein, hatte ich fast vergessen“, warf Katja eilig ein, „ich hatte dir schon einen Zettel auf den Tisch gelegt. Der Dekan möchte dich sprechen. Frau Fuchs hatte angerufen, es klang sehr dringend.“

      Neuigkeiten von der Polizei konnten es wohl nicht sein.

      „Wie dringend?“

      „Na, dringend eben. Frau Fuchs sagte etwas wie ›Ach Gott, warum ist er denn nun nicht am Arbeitsplatz’“, (verstellte Stimme in höherer Lage), „oder so ähnlich. Sie wirkte sehr angespannt. Du weißt ja, wie Herr Elster sein kann. Frau Fuchs musste ihm nun sagen, dass sie dich nicht erreichen konnte. Aber ich denke, jetzt hat es auch keinen Sinn mehr dort anzurufen.“

      Was auch genau meine Meinung war.

      Nach dem Telefonat suchte ich nach der Nummer von Johann in meinem Handy. Hatte ich ihn nun unter seinem Vor- oder Nachnamen abgespeichert? Oder überhaupt nicht? Na, egal. Ich legte das Telefon weg. Was konnte Elster von mir wollen? Ein wenig unbehaglich war mir beim Gedanken, dass ich der Grund für diese Aufregung sein könnte. Aber vielleicht hatte Frau Fuchs etwas übertrieben.

      Ich beschloss, die Regenpause zu nutzen, um nach Hause zu gehen und zog meinen Mantel an.

      Unterwegs kam mir der traurige Zustand unseres Kühlschrankes in den Sinn. Daher nahm ich von unserer Pizzeria an der Ecke noch eine Funghi mit nach oben. Die Aushilfe hatte heute Dienst und buk mir meine Pizza. Ich wartete am Tresen und lernte die Speisekarte auswendig. Auf halbem Weg im Treppenhaus überlegte ich, ob ich Hans auch eine hätte mitbringen sollen. Doch wie meist war er nicht zu Hause.

      Als ich die Pizza auf dem Tisch ablegte, sah ich den Zettel, den ich am Morgen geschrieben hatte. Unter meinen Zeilen las ich die Worte „eine dänische Produktion, lief vor einiger Zeit als Fernsehserie, die Kommissarin deckt einen Mord an einer Schülerin auf, spielt in Kopenhagen, war ganz gut gedreht, warum?“

      Mit einem anderen Stift war darunter noch eine Zeile gequetscht: „Eine Frau Fuchs, Dachs oder so hat angerufen, war sehr aufgeregt“.

      Daneben stand ein Päckchen Kaffee.

      Als ich am nächsten Morgen mein neues Büro betrat, war wie üblich Katja schon am Arbeitsplatz. Sie tippte den Satz noch zu Ende und sah mich dann erwartungsvoll an.

      „Was hast du denn bloß angestellt?“, fragte sie. „Frau Fuchs hat eben schon wieder angerufen. Das scheint wirklich wichtig zu sein.“

      „Das weiß ich auch nicht, sie hatte gestern wohl auch bei mir zu Hause angerufen.“

      Mir wurde etwas unbehaglich.

      „Ich kümmere mich gleich darum, ich brauche erst einmal einen Kaffee. Ist Rolf schon da?“

      Ich hatte das Päckchen Kaffee von Hans noch nicht geöffnet und war lieber gleich ins Institut gegangen. Ich hatte unterwegs ein Brötchen gekauft und eigentlich geplant, am Arbeitsplatz zu frühstücken. Doch Frau Fuchs schlug mir jetzt etwas auf den Magen.

      „Nein, weiß ich nicht. Aber ruf jetzt erst einmal den Dekan an. Es klingt wirklich wichtig.“

      Sie hatte Recht. Ich ließ mich auf meinen Stuhl fallen und schaute einen Moment unschlüssig das Telefon an. Doch dann nahm ich das Blatt Papier zur Hand, wo ich die Telefonnummern notiert hatte, und wählte die Nummer vom Dekan.

      Sofort meldete sich Frau Fuchs in ihrer beflissenen oder leicht hektischen Art.

      „Endlich melden Sie sich, Herr Elster will Sie dringend sprechen.“

      „Was ist denn los, gestern bin ich zu spät erst wieder zu Hause gewesen, da konnte ich nicht mehr zurückrufen.“

      „Das kann ich Ihnen auch nicht sagen, aber Herr Elster ist sehr aufgebracht. Ich verbinde Sie gleich, warten Sie einen Augenblick.“

      Ich lauschte lustlos der Wartemelodie.

      In die Stille hinein warf mir Katja einen fragenden Blick zu. Ich zuckte mit den Schultern.

      „Hören Sie? Herr Elster möchte gern, dass Sie eben rüber kommen, Sie sind doch jetzt am Institut?“

      „Ja, bin ich“, erwiderte ich mit noch weniger Begeisterung. „Wann soll ich denn kommen?“

      „Jetzt gleich, Herr Elster erwartet Sie.“

      Ich legte auf und sah Katja an.

      „Der Dekan will mich unbedingt sprechen. Ich habe keine Ahnung, was er will. Ich gehe mal eben rüber.“

      Ich ließ meinen Mantel am Arbeitsplatz und bereute es gleich wieder, als ich draußen durch den kalten Nieselregen zum Gebäude des Dekanats eilte. In Gedanken schon bei Elster und seinem Problem nickte ich einzelnen bekannten Studenten vor dem Kiosk zu.

      Frau Fuchs sah kaum von ihrem Schreibtisch auf, als ich anklopfte und eintrat, sie deutete auf die halb offen stehende Tür des Dekans.

      Ins Büro drang nur gedämpftes Tageslicht vom wolkenverhangenen Himmel. Alle Geräusche wurden vom dicken Teppich verschluckt. So auch beinahe ich. Ich überlegte noch, ob ich einen Bogen um den Teppich machen müsste, da meine Schuhe bestimmt nicht sauber waren. Aber sicher hatte auch Herr Elster Straßenschuhe an. Er saß an seinem Schreibtisch und blickte nicht auf, er reagierte in keiner Weise auf mein Anklopfen am Türrahmen und meinem Eintreten. Das kannte ich schon, auch wenn es das letzte Mal der tote Oster war. Elster aber schrieb etwas auf ein Papier vor ihm, sehr lebendig. Sein Gesicht wurde seitlich vom Monitor bläulich beschienen.

      Etwas unsicher,