Paulo wird Studienrat und reist (2). HaMuJu. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: HaMuJu
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783847651703
Скачать книгу
in Adelheide war die Stellung, in der man Dienst versah. Dort waren die Raketen und der dazugehörige Leitbereich.

      Die Raketen standen in so genannten „Launchers“, in der Entfernung von einer Meile befand sich der Leitbereich, dessen Aufgabe es war, das Ziel zu erfassen und die Rakete dahin zu lenken. Dazu gab es verschiedene Radargeräte und einen Computer. Letzterer hatte die Größe eines LKW-Anhängers und war ein Röhren-Computer, absolut alte Technik. Ich saß am „Missile-Tracking-Radar“ und machte am Display verschiedene Tests, wie alle anderen auch. Wir versahen unseren Dienst, indem wir die Geräte testeten. Dazu blieben wir drei Schichten lang in der Stellung, um dann eine Woche lang Tagesdienst zu machen. Während meiner Zeit in Delmenhorst hatte ich mit meiner Freundin eine Wohnung im Ostertorviertel in Bremen (Alwinenstraße 49). Das war im Grunde eine schöne Zeit, ich fuhr abends immer nach Hause und hatte während des Schichtdienstes drei freie Tage.

      Oft kam ich morgens auf den letzten Drücker zum Appell. Ich hatte inzwischen auch ein Auto, einen Ford 17 m („Badewanne“). Eines Tages wurde die Grundwehrdienstzeit von achtzehn auf fünfzehn Monate herabgesetzt. Ich reduzierte sofort meine vierundzwanzig Monate Verpflichtung auf einundzwanzig Monate! Damit war natürlich die Sache mit dem Leutnant gelaufen, ich entschied mich aber irgendwann, einen Unteroffizierslehrgang zu belegen, einfach um der Langeweile des eingefahrenen Dienstes zu entgehen. Dieser Lehrgang fand in Oldenburg statt und dauerte drei Monate. Das Dasein als Unteroffizier eröffnete einem viele Freiheiten: man hatte ein Einzelzimmer und war Vorgesetzter, das hieß, es konnte einem so gut wie niemand mehr etwas sagen. Das Bett in meinem Zimmer hatte ich nie benutzt.

      Irgendwann im Juni beendete ich meine Bundeswehrzeit. Ich muss sagen, dass ich während meiner Soldatenzeit viel Glück hatte. Ich hatte von Freunden gehört, die den normalen Grundwehrdienst bei den Panzerpionieren absolvierten und von Anfang bis Ende nur Druck erfahren hatten. Die mussten aufpassen, dass sie bei der Bundeswehr nicht zerbrachen. Ich war während meiner Soldatenzeit nur ganz selten zu Hause, und wenn ich mal da war, freuten sich die Eltern, einen mal wieder zu sehen. Ich wurde vielfach gefragt, ob ich jemandem empfehlen würde, zur Bundeswehr zu gehen. Ich sagte immer, dass ich die Bundeswehr niemandem empfehlen und stattdessen immer zur Verweigerung raten würde.

      Man lernte nichts bei der Bundeswehr; die diffusen Vorstellungen von Kameradschaft, die bei den Menschen verbreitet waren, waren falsch. Es war hundertmal sinnvoller, in einer gesellschaftlich wichtigen Einrichtung als Zivildienstleistender zu arbeiten. Es war ein Fehler, dass ich nicht verweigert hatte. Nach der Bundeswehrzeit hatte ich einen Job auf einem Tennisplatz in der Nähe des Weser-Stadions. Meine Aufgabe bestand darin, die Kreidelinien an den Plätzen nachzuziehen, wenn gespielt worden war. Dazu gab es einen Kreidewagen, der natürlich immer gefüllt werden musste. So einen Kreidewagen benutzten die Platzwarte in den Leichtathletikstadien. Dort konnte man die Muttis beobachten, die nichts zu tun hatten und morgens Tennis spielten. Diesen Job machte ich den ganzen Sommer über. Ich dachte auch immer schon bei meinen Schülerjobs, die ja alle nicht so überzeugend waren, so auch dort, bei meinem Tennisjob, dass ich froh war, so etwas nicht mein Leben lang machen zu müssen. Es gab aber natürlich Arbeiter, die nichts anderes gelernt hatten und deshalb solche Jobs verrichteten. Ich glaubte, dass der Straßenbau am ehesten etwas war, was auch ein bisschen Spaß vermitteln konnte.

      Zum Herbstsemester wollte ich ein Studium aufnehmen. Das war eine sehr wichtige Entscheidung in meinem Leben. Es war allerdings lange Zeit nicht klar, was ich wo studieren sollte. Ich hatte mich für Landwirtschaft in Bonn interessiert, landete aber dann in Siegen und studierte auf Lehramt für Gymnasien.

      Wie kam ich eigentlich auf Siegen, eine Stadt, in der ich nie vorher gewesen war? Es war tatsächlich so, dass ich mir eine Karte ansah und mir die Stadt mit dem meisten Grün aussuchte, das war Siegen. Direkt nach dem Abitur ließ ich mir von der Lufthansa die Unterlagen für die Pilotenausbildung zusenden. Ich ließ davon aber ab und schrieb an die Uni Bonn, um mich nach Agrarwissenschaften zu erkundigen. Auch davon ließ ich ab und ging stattdessen an die Gesamthochschule Siegen.

      Siegen

      Ich weiß noch genau, wie ich von der Autobahn abfuhr und in dem ersten Dorf nach der Hochschule fragte. Als der Befragte zu reden anfing, glaubte ich, mich in Texas zu befinden. Das Siegerländerisch hatte ich noch nie vernommen, man sprach wirklich ein amerikanisches Englisch auf Deutsch. Die Hochschule lag auf einem Berg, der eine schöne Aussicht bot. Neue Gebäude, lichtdurchflutet. Ich immatrikulierte mich.

      Ich war von da an Student in den Fächern Mathematik und Kunst für das Lehramt an Gymnasien. Mitte Oktober fing das Wintersemester an. Bis dahin musste ich eine Wohnung suchen. Ich fand eigentlich sehr schnell eine Wohnung, ich glaube, ich hatte die Adresse vom schwarzen Brett. Meine Freundin, mit der ich in Bremen gewohnt hatte, zog mit mir zusammen. Als der Studienbetrieb losging, musste man sich zunächst an die unterschiedlichen Anfangszeiten der Seminare gewöhnen. Die Anfangszeit s.t. hieß, dass pünktlich zur angegebenen Zeit begonnen wurde, die Anfangszeit c.t. hieß, Anfangszeit plus fünfzehn Minuten. Nichts fing sine tempore an, alles startete cum tempore. Also kam man eigentlich nie zu spät. Mit der Mathematik tat ich mich von Anfang an schwer. Nach zwei Wochen wechselte ich das Fach und studierte von da ab Geschichte und Kunst. Vorausgegangen war in Erlebnis, das ich nie vergessen hatte. Ich besuchte eine Vorlesung in Mathematik, die dazu diente, im Seminar Gelerntes zu vertiefen und zu festigen. Der Assistent, den wir wegen seiner Nase „Feuermelder“ nannten, schrieb alle Tafelflügel voll. Man wagte kaum, Verständnisfragen zu stellen, tat man es doch, wurde man mit strengem Blick gestraft. Als er die komplette Tafel vollgeschrieben hatte, wischte er nicht etwa das Geschriebene aus, sondern nahm rote Kreide, und schrieb an der weißen Wand weiter. Das war für mich der Moment, wo es mir angeraten erschien, das Studienfach zu wechseln. Kunst erwies sich als sehr arbeitsaufwendig. Oft fanden Abendveranstaltungen statt. Wenn andere schon in der Kneipe saßen und Bier tranken, machten wir uns auf und begaben uns an die Hochschule. Ich studierte Kunst genau vier Semester, dann wechselte ich auch dieses Fach. Ich studierte von da an Geschichte und Sozialwissenschaften. Diese Fächerkombination führte ich zu Ende und schloss mit dem ersten Staatsexamen ab. Ich schaffte es auch, in der Regelstudienzeit fertig zu werden.

      Im folgenden Sommer endete meine Beziehung zu meiner Freundin. Ich war ziemlich fertig. Mein Vater sagte: „Paulo, Frauen gibt es wie Sand am Meer!“, womit er natürlich recht hatte, wie ich aber erst später feststellte. Ich lebte sehr kurze Zeit allein, bis ein Bekannter aus Bremen nach Siegen kam, um dort zu studieren. Er zog bei mir ein. Wir machten Deckel in der Kneipe, zum ersten Mal in meinem Leben zahlte ich einen Deckel in Höhe von dreihundert Mark, allerdings mit meinem Bekannten zusammen und für drei Monate. Wir lernten Mädchen kennen und machten allerhand Unsinn. Aber wir studierten!

      Gegen Ende des Jahres wollte uns unsere Vermieterin nicht mehr haben und kündigte uns. Wir fanden sehr schnell etwas anderes, einen Altbau mit leer stehender erster und zweiter Etage. Wir nahmen die zweite. Wir hatten jeder zwei Zimmer und eine Küche. In der Küche stand ein alter Ofen, so wie wir ihn zu Hause hatten, mit Kohle geheizt. In den Zimmern gab es Ölöfen. Wir hatten im Keller ein Ölfass, von dem wir uns eine Kanne abzapfen mussten. Beim Einschütten in den Ofentank ging immer ein Tropfen daneben, das ließ sich gar nicht verhindern. Also stank es im Zimmer nach Öl. Die Öfen brannten aber gut.

      Eine Zeit lang holten wir im Sägewerk säckeweise Holzabfälle, mit denen wir unseren Küchenofen befeuerten. Dann organisierte ich zu Hause eine Tonne Kohlen. Die musste natürlich nach Siegen gebracht werden. Also liehen wir uns einen Ford Transit und fuhren schaukelnd mit einer Tonne Kohlen über die Autobahn. Als wir einmal das lange Ofenrohr säuberten, zog der Ofen noch mal so gut, und wir hatten immer eine angenehme Wärme.

      In diesem Winter reisten wir nach Österreich in das Haus von Mädchen, die wir kennengelernt hatten. Eine ganze Menge Leute versammelte sich da. Das war eine Weingegend in der Nähe von Spielfeld. Wir lernten Uwe und seine Familie kennen und erzählten von der leer stehenden Etage unter uns. Sofort war er Feuer und Flamme und zog im Frühjahr ein. So begann die Zeit der legendären Wohngemeinschaft. Lutz zog noch dazu und für eine Zeit auch noch Ulli Müller, der Hauptschullehrer war.

      Die endgültige Zusammensetzung der Wohngemeinschaft war: oben wir zusammen mit Henni, der