Den Trinker und den Schläger hatte man am Sonntagmorgen entlassen, während man Diego ein nahezu ungenießbares Frühstück aus angetrocknetem Brot und grauer Scheibenwurst gebracht hatte. Das Mittagessen aus Kartoffelbrei und Dosengulasch war kaum besser, und Diego hatte ernsthaft überlegt, ob er nicht doch lieber seinen Anwalt anrufen sollte.
Schließlich hatte man ihn am späten Nachmittag wieder zu den Vernehmungsräumen geführt, und jetzt saß er abermals allein in einem der grau gestrichenen, fensterlosen Zimmer mit Spionspiegel. Der Detective ließ auf sich warten.
Als Larence endlich kam, breitete er zunächst schweigend einige schmale Heftordner vor sich aus und blätterte mit dem Ausdruck größter Wichtigkeit ein wenig darin herum.
„Wir haben da einige neue Erkenntnisse“, ließ er Diego wissen, ohne ihn anzusehen, sprach aber nicht weiter. Vermutlich hoffte er, dass dieses Verhalten seinen Gefangenen nervös machen würde.
Diego allerdings zog es vor, ebenfalls kein Wort zu sagen. In der Haftzelle hatte er sich eine Strategie zurechtgelegt: Er würde den Detective so lange kommen lassen, bis ihm der Stoff ausging, und dann würde er zurückschlagen. Er war oft genug bei harten geschäftlichen Verhandlungen dabeigewesen, um zu wissen, wie man so etwas macht.
Schließlich wurde dem Detective das im Zimmer lastende Schweigen zu viel. „Gestern haben Sie ausgesagt ...“, begann er und tat so, als müsse er Diegos Angaben in seinen Unterlagen suchen, „... dass sie keine sexuellen Kontakte zu Alicia Moss hatten.“
„Das stimmt.“ Diego begriff sofort, dass Larence etwas gefunden hatte, das gegen diese Aussage sprach, sonst wäre er niemals so direkt auf sein Ziel losgegangen. „Zwischen Alicia und mir hat es niemals einen engen körperlichen Kontakt gegeben.“
„Wenn Sie von ihr sprechen, dann nennen Sie sie mit ihrem Vornamen. Was soll ich davon halten?“ Offenbar hatte Larence sich entschieden, doch noch einen kleinen Umweg zu machen, bevor er mit den neuen Erkenntnissen herausrückte.
„Wir hatten uns vom ersten Moment an darauf geeinigt, uns mit Vornamen anzureden“, gab Diego gleichmütig zurück. „Das ist heute unter jüngeren Leuten so üblich, wissen Sie?“
Larence ging in keiner Weise auf die Spitze in Diegos Worten ein. „Vom ersten Moment an“, wiederholte er versonnen. „Vom ersten Moment an ...“ Er lehnte sich behaglich auf seinem Stuhl zurück und musterte Diego aus leicht zusammengekniffenen Augen. „Und haben Sie beide sich auch vom ersten Moment an darauf geeinigt, zusammen in einem Bett zu schlafen? Ist das auch so eine Sache, die heute zwischen jüngeren Leuten üblich ist?“
„Sie haben Spuren von Alicia in meinem Bett gefunden“, stellte Diego fest.
„Allerdings haben wir das!“ Larence gab seine lässige Pose auf und beugte sich ein Stück weit über die Tischplatte. „In Ihrem Bett waren verschiedene Haare, die laut Grobanalyse genau zu denen passen, die wir in der Wohnung von Miss Moss gefunden haben. Ich bin mir sehr sicher, dass die gentechnische Untersuchung dasselbe Ergebnis erbringen wird.“
Diego nickte leicht. „Das denke ich auch! Was mich allerdings wundert ist, dass Sie mir hier eine Sache für neu verkaufen wollen, von der Sie schon lange wissen. Schließlich war es genau das, worum es im Greek-Theatre gegangen ist. Ich habe es Alicia untersagt, sich noch einmal in meiner Abwesenheit in mein Zimmer zu schleichen.“
„Und da hat sie sich dann in ihr Bett gelegt? Ganz alleine? Das sind doch alles faule Ausreden! Wer soll Ihnen das denn glauben?“
„Jeder, der logisch denken kann“, gab Diego ungerührt zurück. „Wäre es wirklich zu sexuellen Kontakten gekommen, wären da noch mehr Spuren zu finden gewesen. Offenbar war da aber nichts. Auch die Untersuchung der Fahrzeuge hat nichts ergeben. Stimmts? Sie hat nicht in meinem und ich nicht in ihrem Wagen gesessen.“
„Jetzt warten Sie mal ...“, begann Larence, aber Diego unterbrach ihn sofort.
„Es geht noch weiter! – Niemand hat Alicia und mich auf dem Parkplatz gesehen. Es gibt keine Blutspuren an mir, keine an meiner Kleidung und keine an meinem Wagen. All ihre Untersuchungen haben nichts ergeben, außer ein paar schwarzen Haaren in meinem Bett, die nicht von mir sind.
„Und wo kommen die denn wohl her?“
„Ich denke, dass das so eine Art Liebeszauber sein sollte.“
„Eine interessante Sichtweise“, meinte Larence, aber Diego ließ ihn wieder nicht weiterreden.
„Ich habe es jetzt satt, mich Ihren Anschuldigungen zu stellen! Eine halbe Stunde gebe ich Ihnen Zeit, die Sache zu überdenken. Danach werde ich von meinem Recht Gebrauch machen, die hiesige Anwaltskanzlei unserer Reederei anzurufen. Soweit ich weiß, haben die auch Leute, die sich mit Strafrecht auskennen. Ich gehe jede Wette darauf ein, dass ich dann innerhalb einer Stunde wieder auf freiem Fuß bin – und Sie dürfen dann mal erleben, wie laut die wirklich großen Hunde bellen.“
„Einen Strafrechtler zu beauftragen ist sicher eine gute Idee.“ Diegos Ton passte Larence überhaupt nicht, das war ihm deutlich anzumerken, aber so schnell gab er nicht auf. „Merken Sie langsam, dass wir dabei sind, Ihnen auf die Spur zu kommen?“
„Keineswegs“, entgegnete Diego freundlich, „aber es interessiert mich doch sehr, ob das, was Sie hier mit mir veranstalten, nicht den Tatbestand der Freiheitsberaubung erfüllt. Falls ja, könnten wir die Anzeige doch gleich hier ausarbeiten.“
Larence war die Anspannung anzusehen. Die Sehnen an seinem Hals traten deutlich hervor. „Sie verdammter, arroganter ...“
„Schluss jetzt!“, fuhr Diego mit schneidender Stimme dazwischen. „Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder Sie lassen mich innerhalb der nächsten halben Stunde freiwillig gehen, oder etwas später, dann aber mit einem Riesentheater drum herum. Sie haben die Wahl.“
Larence saß Diego mit zusammengekniffenen Lippen gegenüber und wusste nicht, wie er reagieren sollte. Langsam schwand die Röte des Ärgers aus seinem Gesicht und wurde von der Blässe der blanken Wut abgelöst. „Schätze, Sie haben sich gerade einen Freund fürs Leben gemacht!“, stieß er schließlich rau hervor.
„Und ich schätze, dass die ersten drei Minuten vorbei sind“, gab Diego ungerührt zurück. „Verzaudern Sie es nicht unnötig. So eine Dienstaufsichtsbeschwerde ist kein Spaß, wenn sie von einem fähigen Anwalt eingereicht wird. Ich will hier raus, und Sie werden mich freilassen, das wissen wir beide. Also bitte – Sie sind am Zug.“
Larence hielt den Blickkontakt noch einige Sekunden, und aus seinen Augen sprach der blanke Hass. Er war ein schlechter Verlierer, und man konnte förmlich sehen, wie es hinter seiner Stirn arbeitete. Das Fehlen von Beweisen war für ihn noch nie ein Grund gewesen, einen Verdächtigen vorschnell freizulassen, und er suchte fieberhaft nach einer Möglichkeit, das Ruder doch noch herumzureißen.
Diego hielt seinem Blick stand, und schließlich knickte der Detective ein. Unwillig stapelte er die Blätter vor sich zu einem unordentlichen Haufen und stand auf. Ohne ein Wort zu sagen, öffnete er mit seinem Schlüssel die Tür und trat auf den Gang hinaus.
Die Tür hatte Larence offen gelassen, also erhob sich auch Diego und folgte dem Detective, der mit schnellen Schritten in Richtung Zellentrakt ging. Als er beim Büro des Wachhabenden ankam, hatte der gelangweilt wirkende Cop seine Sachen schon geholt.
Diego prüfte den Inhalt der Kassette und entnahm ihr sein Handy, den Gürtel und die Patek Philippe, die man ihm abgenommen hatte.
„Glauben Sie nur nicht, dass Sie aus der Sache schon raus sind“, hörte er Larence hinter sich sagen. „Ich werde Sie im Auge behalten!“
Diego konnte sich gerade noch eine wegwerfende Handbewegung über die Schulter verkneifen. – Warum unnötig provozieren? Stattdessen drehte er sich zu dem