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Obwohl sich Marianne offensichtlich gefreut hat Gerd zu sehen, fällt ihm auf, dass sie sich ihm ebenso schnell wieder verschließt. Was macht er nur ständig falsch? Weshalb lehnt sie ihn plötzlich so massiv ab? Er würde es sofort ändern, wenn er nur wüsste was.
Leider wagt er nicht sie zu fragen. Er weiß, er würde eine Abfuhr erhalten. Daran liegt ihm jedoch nicht.
„Wo wollten Sie außer Sonnenbaden noch hin radeln?“, will er stattdessen wissen.
„Nach Hause“, antwortet Marianne einfach, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt.
„Haben Sie nicht Lust mit mir Kaffee zu trinken?“, schlägt er vor, „wir könnten unser Wiedersehen feiern.“
„Na, ich weiß nicht“, zögert sie wieder einmal. Kann sie denn nie von Haus aus eine klare Antwort geben und in diesem Fall nein sagen? Immer dieses Vielleicht, Aber und es ist egal. Langsam geht ihr das auf die Nerven. Sie muss lernen Entscheidungen zu treffen. Das sollte sie sich aneignen. Diese Kraft und Willensstärke muss sie finden.
„Wenn Sie es nicht wissen“, meint er entschieden, „dann heißt das für mich Ja. Wir können gemeinsam nach Immenstadt radeln. Dort gehen wir Kaffee trinken. Einverstanden?“
„Ja“, gibt Marianne klein bei. Was hat sie sich schon wieder eingebrockt?
„Das heißt, ja gern“, verbessert er sie lächelnd und pufft sie mit dem linken Ellenbogen leicht in den rechten Oberarm.
„Ja, gern“, spricht Marianne gehorsam nach. Als sie es ausgesprochen hat hätte sie sich in den Hintern beißen können. Sie ist wirklich vollkommen bescheuert und willenlos. Ein amorphes Stück Fleisch! Ist sie schon immer so gewesen? Oder hat die Dominanz Franzis sie zu dem gemacht, was sie jetzt ist? Marianne weiß es nicht. Kann sein, dass es ihr bislang nur nicht bewusst war. Auf jeden Fall muss sie sich dringend ändern. Sonst kann sie jeder über den Tisch ziehen.
Scheinbar zufällig lässt er den Arm von der Lehne der Bank auf ihre Schultern gleiten und rückt näher zu ihr hin. Marianne erlaubt es ihm und entfernt sich nicht. Eine Weile sitzen sie da und lassen sich von der Sonne wärmen. Jeder hängt seinen Gedanken nach. Die Stille ist durchaus nicht störend.
Nach einiger Zeit sagt Gerd leise und sanft: „Du hast mir gefehlt, Marianne. Für mich ist das nicht nur ein Hirngespinst oder eine Eintagsfliege. Aber lassen wir das! Ich freue mich ungemein, dass du nachher mit mir Kaffee trinken gehst.“
Hat er mich geduzt? Ich glaube ja. Nein, ich habe mich nicht verhört. Marianne antwortet jedoch nichts darauf. Sie will nicht zugeben, dass es ihr im Grunde genommen genauso ergeht. Er hat ihr gefehlt. Wie soll sie ihm all ihre Lügen erklären? Da gibt es nichts zu erklären. Das wäre zu kompliziert. Was sie getan hat ist schlichtweg unverzeihlich! Aber spätestens, wenn sie umzieht hat dieser Spuk ein Ende. Denn er wird schnell bemerken, dass keine Kinder da sind, dass kein davongelaufener Mann vorhanden ist und so weiter. Spätestens, wenn die Lügen aufkommen, ist die Sache beendet bevor sie begonnen hat. Aber so weit darf Marianne es nicht kommen lassen. Das ist zu peinlich. Sie muss sich nach dem heutigen Kaffee trinken endgültig verabschieden.
Schade, er wäre so ein netter Mann. Ja, doch, wenn sie es ehrlich zugibt, er gefällt ihr sogar sehr gut.
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Weshalb ist sie nur immer so introvertiert, schießt es Gerd durch den Kopf. Sie kann geistreich und unterhaltsam sein. Manchmal zeigt sie sich von ihrer Sonnenseite, doch die meiste Zeit ist sie ihm gegenüber kratzbürstig und abweisend. Wie soll er das verstehen? Er hatte immer schon Schwierigkeiten bei der weiblichen Psyche durchzublicken, doch diese Frau ist ein besonders harter Brocken.
Selbstverständlich wagt er nicht, sie zu fragen. Was kann er unternehmen um sie besser zu verstehen. Sicherlich würde sie ihn hier auf der Bank sitzen lassen und verschwinden. Freilich, er weiß, wo sie wohnt, doch sie würde alles unternehmen, damit er ihr nicht mehr zu nahe kommt. Sie würde erneut alles blockieren. Schade eigentlich!
„Du bist heute besonders schweigsam“, stellt Gerd irgendwann fest um die Stille zu unterbrechen.
„Ja“, entgegnet Marianne, „die Sonne macht mich faul, schläfrig und schweigsam.“
„Was ist nur mit dir los?“, forscht er nach, während er ihr zärtlich mit der rechten Hand über die Wange streicht. „Du hattest dich ganz offensichtlich gefreut, mich zu sehen und plötzlich verschließt du dich wieder wie eine Auster. Ich werde einfach nicht schlau aus dir. Hilf mir doch bitte.“ Jetzt hat er es doch gesagt.
Wie soll sie ihm helfen, wenn sie selbst nicht mehr schlau aus sich wird, ja, noch nie geworden ist. Darauf will sie an diesem schönen Sonntag nicht eingehen und mit Gerd schon gleich gar nicht diskutieren. Sie kennt ihn nicht und er sie nicht. Dabei soll es bleiben!
„Da gibt es nichts zu helfen“, sagt sie deshalb hart und schaut demonstrativ in die andere Richtung. „Seit unserem letzten Treffen hat sich nichts geändert.“
„Das glaube ich nicht“, bleibt er beharrlich, „lass uns doch einfach Zeit. Ich möchte dich gerne näher kennen lernen.“
„Es hat keine Zeit zu geben oder zu lassen“, erwidert sie störrisch. „Das ist nun mal so. Ich will daran nichts ändern. Weshalb lässt du mich nicht einfach in Ruhe?“ Auch Marianne ist automatisch ins Du verfallen, so als wäre das völlig normal.
„Wollen wir weiterfahren?“, schlägt Gerd wie aus heiterem Himmel vor. Es ist besser das Gespräch jetzt nicht fortzuführen.
Sofort erhebt sie sich. Er hat gerade noch Zeit seinen Arm von ihrer Schulter zu ziehen. Schon steht sie!
Wenn sie radeln, kann wenigstens kein Gespräch aufkommen. Also ist es besser, sie fahren. Sie ärgert sich, dass sie für den Nachmittagskaffee zugesagt hat. Was soll sie nur mit ihm reden?
„Fährst du voraus?“, sagt er nur. „Ich halte mich an dein Tempo.“
„Weshalb?“, fragt Marianne erstaunt, „sehe ich so aus als würde ich langsam radeln?“
„Ehrlich gesagt, nein“, gibt er zu. „Das letzte Mal als wir zusammen geradelt sind, herrschten widrige Umstände. Ich passe mich dir gerne an.“
„Wenn du meinst“, sagt sie nur. Schon steigt sie auf Rad und fährt los.
Marianne hat es nicht besonders eilig nach Immenstadt zu kommen. Je später sie ankommen, desto weniger Zeit bleibt für den Kaffee und desto weniger lästige Fragen werden ihr gestellt. Das ist auch gut so! Soll Gerd sich doch wundern, weshalb sie so langsam radelt. Es ist ihr egal.
„Wir können gerne nochmals eine Pause einlegen, wenn es dir zu viel wird“, schlägt Gerd ihr vor. Anscheinend ist sie zu langsam geradelt. Soll sie jetzt ja oder nein sagen? Ist es besser hier nochmals bei einer Bank anzuhalten. Oder sind sie besser in einem Café aufgehoben? Marianne weiß es nicht. Jeder Halt kann unangenehme Fragen bedeuten.
Schließlich stoppt Marianne kurz. Sie hält das Rad am Lenker fest, wartet bis Gerd neben ihr steht und sagt: „Wenn ich gewusst hätte, dass ich zu langsam radle, wäre ich gern schneller gefahren. Ein Wort von dir hätte genügt.“
„Gut“, meint er und geht nicht weiter auf ihre Worte ein. „Da wir beide abgestiegen sind, können wir uns kurz hier auf die Bank setzen. Wer weiß, wann der nächste Sonnentag ist.“
„Möchtest du etwas trinken?“, fragt sie Gerd. Sie hat noch Wasser in ihrer Flasche.
„Hast du etwas zum Trinken dabei?“, will er überrascht wissen. „Das finde ich toll.“
„Ja, weißt du“, belehrt Marianne ihn, „wenn ich eine weitere Strecke radle, nehme ich zur Vorsorge immer Proviant mit.“
„An