Operation Ljutsch. Reinhard Otto Kranz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Reinhard Otto Kranz
Издательство: Bookwire
Серия: Operation Ljutsch
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742712424
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den Totenkult eines Gottes. Das hat doch nichts mit dem Lebender Bürger zu tun. Mit Hoffnungen und Tugenden, mit menschlicher Größe oder menschlicher Schwäche, dem fundamentalen Anspruch eines jeden großen Denkmals in der Kulturgeschichte.

      Menschlicher Anspruch und menschliche Haltung waren doch in der Wende des Ostens – millionenfach multipliziert – die Triebkräfte zu Freiheit und Einheit. Das ist so alt wie die Welt. Und wird so alt wie die Welt, Oie – auch wenn die Herrscher des Kunstmarktes und ihre intellektuellen Sekundanten es beständig torpedieren.«

      »Wie war eure Idee, – was habt ihr konzipiert unter diesem Anspruch?«

      »Wir hatten so eine große, begehbare, flach aufsteigende, elliptische Naturstein-Spirale mit getreppten Flanken als Basisform geplant, die den gesamten Sockel des alten Hohenzollern-Denkmals überspannt – mit Arkaden zum Spreekanal, als Fassung, wie beim alten Denkmal.

      Auf der Basisform sollten sich – wie in der Tradition abendländischer Kreuzwege – lebensgroße, allegorische Figurenpaare in spannungsvollem Abstand und auf hüfthohen Sockeln gegenüberstehen, zwischen denen die Besucher des Denkmals wie im Dialog hinaufwandeln. Allegorische figürliche Plastik, in Bronzeguss oder Stein, jeweils im Wettbewerb ausgeschrieben und paarweise von einem renommierten, figürlichen Bildhauer bearbeitet. Allegorische Figuren von Mut und Feigheit, Treue und Verrat, Stolz und Demut, Zuversicht und Verzweiflung, Liebe und Hass, Wahrheit und Lüge, – und oben, im Zentrum, eine Allegorie der Freiheit, Einheit und Gerechtigkeit.

      Das wäre eine der Bedeutung dieses deutschen Denkmals angemessene Dimension gewesen. Eine derartige Aufgabenstellung wäre eines Rodins, Klingers oder Michelangelos würdig. Das hätte die Chance etwas Großes und universal Gültiges dieser Zeit zu werden: Die menschlichen Tugenden und Schwächen der Bürger von Berlin oder auch Deutschland, wie sie gleichzeitig für die ganze Menschheit stehen könnten – wie es sich bei Rodins Plastik der Bürger von Calais so eindrucksvoll zeigt.«

      »Sehr poetisch klingt das, und ich kann mir das gut vorstellen, Ulm. Allegorische Figuren – jede ein erhabenes Kunstwerk – im besten Sinne begreifbar, umlagert von Besuchern, in dieser poetischen Dimension, die deutsche und menschliche Geschichte trägt.

      Und den Klang kann ich hören, das Geplapper und die Gespräche der Flaneure im Licht der Tages- und Jahreszeiten. Stell dir vor, man verabredet sich an der Liebe, oder an der Treue – oder an der Zuversicht. Oder du wirst zum Verrat bestellt, oder zur Verzweiflung – das ist doch eine poetische Ansage.

      Schöne Idee Ulm und damals, in der alten Zeit, hätte ich gewusst, wie man die fähigsten Künstler an dieser Aufgabe vereint. Vor allem wie man es den Funktionären beibringt und dafür kämpft, dass es so gestaltet und umgesetzt wird.«

      »Dafür warst du ja bekannt Oie, aber heute ist alles anders. Heute muss jeder für sich kämpfen, denn dieses selbstverliebte, wuchernde System der Kunst-Erklärer fürchtet nichts mehr in der Kunst, als menschliche Maßstäbe – und Fachleute, die sich einig sind. Denn da ist kein Platz mehr, für die Kunst-Hypnotiseure der Händler und Spekulanten, für kulturell blinde Intellektuelle und diese profilneurotischen Polit-Zwerge der Jurys.«

      Der Mond war auf dem Weg in den Wald, – Ulm räusperte sich, und der Pudel ging erwartungsvoll, mit dem Schwanz wedelnd, in Stellung.

      »Jetzt machen wir den Fischzug«, flüsterte er, holte den Anker ein und ruderte mit leichten Zügen zur Boje.

      Was sie dann raus zogen, war eine Handvoll Aale, einen Hecht und ein paar kleine Barsche. – »Für Mephisto«, wie Ulm frohlockte, indem er den hechelnden Hund nach dem ersten Fischchen schnappen ließ.

      Mit dem aufzwitschernden Gesang der ersten Lerchen in der heraufziehenden Morgendämmerung merkten sie, wie lange sie geredet hatten.

      Urplötzlich kroch die Müdigkeit in ihre Knochen.

      Beim Anlegen sichtete Oie Licht in der Küche des Hauses – Ulm versprach heißen Kaffee und sie gingen froh hinauf.

      Als sie eintraten, kam ihnen Linde mit strahlendem Lächeln entgegen. »Schön, dass du so lange geblieben bist«, umarmte sie Oie. »Ich hatte schon Sorge, du könntest bereits weg sein. Ich mache gerade Frühstück – ist aber gleich fertig. Setz dich und erzähl!«

      Dabei bewegte sie sich im körperbetonten naturfarbenen Leinenkleid barfuss und lautlos, wie schwebend, durch die Küche.

      Linde war fast so alt wie Ulm, aber man merkte ihr die Jahre weniger an. Etwas üppigere Proportionen als damals, fand er, aber immer noch dieses schöne, strahlende und offene Gesicht, umrahmt von ihren dunklen, schon grau durchwirkten Haaren, die sie als hüftlangenZopf trug.

      Oie erzählte ihr von den Projekten und Ereignissen der letzten Zeit, ohne den Vorfallauf Franzfelde zu erwähnen. Er entschuldigte sich auch, dass er bald weiter müsse, aber diesmal würde es nicht wieder zwanzig Jahre dauern, bis zum nächsten Besuch.

      Nach dem Frühstück schauten sie sich im Atelier noch Lindes jüngste Arbeiten an. Sie waren so ganz anders als die Ulms. Bodenständige Figuren in Gips und Ton, auch kleine Bronze-Güsse voller Würde in straffen Formen, die etwas von der urigen, steingehobelten Landschaft der Uckermark atmeten.

      Sie saßen auf dem Sofa des Ateliers und es schien ihm wie damals, als die beiden Bildhauer hier angefangen hatten und zuweilen – nach Tagen emsiger Arbeit – so manche Nacht durchgefeiert wurde.

      Es gab in diesen vergangenen Zeiten klassischer, künstlerischer Exklusivität und gleichzeitig versuchter, ideologischer Bevormundung eine große Gemeinschaft unter den Künstlern auf dem Lande. Man ignorierte das offizielle Propaganda-Gedöns, stand streitbar zu seiner Arbeit, sah sich die der Anderen an und diskutierte über aktuelle Vorhaben am Bau – über Bücher, Musik, Theater und Filme.

      Bei diesen Gesprächen ging es – so erinnerten sie sich – immer auch um die eigenen Maßstäbe für die weitere Arbeit vor der Kunst. Selbst in den wilden, politischen Diskussionen, die beinahe unvermeidlich waren, ging es um Anspruch und Haltung des Menschlichen – immer auch als Kontrapunkt zu den komisch-verkrampften Wort-Kapriolen der Kulturfunktionäre, in Vorahnung des heraufdämmernden Endes ihrer Deutungshoheit. Auch ging es um Produktivität, Wert und Nützlichkeit, im ästhetischen Sinne.

      So war man erzogen und so hatte man seine akademisch-handwerkliche Ausbildung erfahren – getreu der goetheschen Maxime: Vom Handwerk kann man sich zur Kunst erheben, vom Pfuschen nie.

      Noch heute war diese ewige Wahrheit wichtig für sie – da waren sie sich einig. Gemeinsam erinnerten sie sich mit glänzenden Augen: Weißt du noch? – und die Zeit verging wie im Fluge.

      Allerdings schlafften die Männer im Gespräch immer mehr ab und Ulm ruckte gegen seine Müdigkeit an. »Ich muss ins Bett, aber vorher fahre ich dich noch nach Fürstenberg zum Bahnhof.«

      Auf der Fahrt bat Oie Ulm darum, spätestens am Abend mal vorsichtig in Franzfelde vorbeizuschauen – wegen der Tierfütterung.

      »Das machen wir auch sonst schon mal, wenn Alma auf Reisen geht. Auf dem Lande hilft man sich, das ist selbstverständlich und existenziell. Aber was sage ich der Polizei, wenn da noch wer rumsteigt – nach den von dir angedeuteten Ereignissen?«

      »Du sagst am besten, dass du das mit Alma verabredet hättest, wegen der Tiere. Hier ist der Schlüssel. Oder du gehst hinten vom Garten durch die Küchentür. Das mit dem Haken kennst du ja sicher. Mich hast du auf keinen Fall gesehen. – Bitte!«

      »Kenne ich, ist schon gut«, brummelte Ulm in seinen Bart, »auch das kriegen wir auf die Reihe.«

      Sie verabschiedeten sich herzlich und verabredeten einen weiteren Besuch Oies, mit Katharina, sobald die Umstände es zuließen.

      9 Brand-Jagd

      In seiner verschlissenen Ausstattung sah Oie aus wie ein Hobby-Angler, der vom Nachtangeln an den Fürstenberger Seen kommt. Tarnweste über der Jacke, gelber Südwester und Stiefel, sperriges Angelgerät, –