Der Kristall. Bärbel Junker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bärbel Junker
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738015522
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öffnete sie wachsam die Tür. Rowan, der dachte die Hexe sei zurückgekommen, riss erstaunt die Augen auf. „Wer bist du denn?“, stieß er verblüfft hervor.

      „Das ist aber eine seltsame Begrüßung. Wir sind gekommen, um dich zu befreien“, sagte Osiac kopfschüttelnd.

      „Seid bloß vorsichtig. Hier schleicht ´ne Schwarze Hexe rum“, warnte Rowan.

      „Nicht mehr“, winkte Osiac grinsend ab.

      „Mein Name ist Rowan“, sagte der Fremde, nachdem Samiras ihre Namen genannt hatte. „Wie seid ihr hierhergekommen?“ Rowan stand auf und massierte seine Handgelenke, nachdem Osiac die Fesseln durchgeschnitten hatte.

      „Das ist eine lange Geschichte“, erwiderte Samiras. „Und du? Wie konnte dich die Hexe gefangen nehmen?“

      „Das verdammte Weib hat mich überlistet. Aber das passiert mir bestimmt nicht wieder. Dabei wollte ich nur meine Vorräte ergänzen.“

      „Das kannst du jetzt in Ruhe tun“, erwiderte Samiras. „Das Haus steht leer. Deine Sachen findest du dort bestimmt auch.“

      „Hauptsache ich finde meinen Hengst Wotan“, sagte Rowan besorgt.

      „Vielleicht ist er in dem alten Stall dort hinten.“ Sie traten nach draußen, wo Tolkar auf sie wartete, da er nicht in die niedrige Hütte gepasst hätte.

      „Ein Troll! Zum Teufel, was geht hier vor?!“, keuchte Rowan und prallte erschrocken zurück. Er griff zu seinem Schwert. Doch da war nichts, keine Waffe, die hatte die Hexe.

      „Stopp, Rowan! Das ist Tolkar, mein treuer Freund und Gefährte“, rief Samiras.

      Tolkar war ruhig stehengeblieben. Jetzt sah er Samiras voller Zuneigung an. Stopp! Er ist mein treuer Freund und Gefährte, hatte sie gerufen. Es machte ihn glücklich. Er würde sein Leben für sie geben.

      Rowan, der sich wieder beruhigt hatte, steckte zwei Finger zwischen die Lippen und pfiff. Der Klang wirbelnder Pferdehufe antwortete ihm. Freudig wiehernd stürmte der Hengst Wotan mit wehender Mähne auf seinen Herrn zu. Rowan streichelte liebevoll den muskulösen Hals des dunkelbraunen Hengstes, der seinen Kopf zutraulich auf seine Schulter legte.

      „Na, mein Alter“, murmelte er glücklich. „Du hast aber auch ganz schön abgenommen. Da müssen wir uns wohl gemeinsam wieder aufpäppeln.“ Als hätte er es verstanden, pustete ihm der Hengst freudig ins Ohr.

      „Und was hast du jetzt vor?“, fragte Samiras, die den Fremden auf Anhieb sympathisch fand.

      „Ich hole meine Sachen und mache mich wieder auf den Weg“, erwiderte Rowan. „Dieses Hexenweib hat mich schon lange genug aufgehalten. Ich bin euch sehr dankbar. Durch ihren Tod, von dem du mir erzähltest, waren zwar die magischen Fesseln gefallen, aber die Lederriemen allein hätten schon genügt. Mein Wotan und ich wären wahrscheinlich verhungert und verdurstet. Ihr habt was gut bei mir. Vielleicht findet sich ja die Gelegenheit mich zu revanchieren.“

      Rowan sah Samiras nachdenklich an. Wie schön und grazil sie ist, dachte er. Die schönste Frau, die ich je gesehen habe. Der Bruder sieht aber auch sehr gut aus. Na ja, kein Wunder, wo sie doch Zwillinge sind. Aber eine seltsame Gruppe ist es schon. Was sie wohl vorhaben? Und was wollten sie von der Hexe, die plötzlich in Flammen aufgegangen ist? Seltsam! Äußerst seltsam! Ach, was soll´s. Schließlich geht es mich ja nichts an.“

      „Wir müssen weiter“, sagte Samiras in seine Gedanken hinein. „Alles Gute, Rowan. Vielleicht sieht man sich ja mal wieder.“ Sie gab ihm die Hand und nachdem Osiac sich ebenfalls verabschiedet hatte, ging sie mit ihm und Tolkar davon.

      Rowan fand in dem Stall Wotans Sattel, Zaumzeug und was noch dazugehörte. Nachdem er den Hengst mit Wasser und Futter versorgt hatte, sattelte er ihn und führte ihn vor das Haus. Dort schlang er die Zügel um einen Pfosten.

      Im Haus fand er in einer Ecke seine Habseligkeiten. Nachdem er sich wie gewohnt ausgestattet hatte, sah das Leben schon wieder weitaus angenehmer aus. Er füllte noch seine Vorräte auf, hinterließ dafür ein paar Münzen auf dem Tisch – schließlich war er kein Dieb – und schwang sich auf sein Pferd. Jetzt hatte er es eilig, denn es lag noch eine lange Suche vor ihm.

      EIN SELTSAMER ALTAR

      Währenddessen hatte sich bei Danina und Ephlor auch so einiges getan. Wie geplant, hatte die Katze Kassandra sie zu dem versteckten schmalen Eingang der Höhle geführt, die tief im Innern eines Bergmassivs lag.

      Durch einen langen tunnelartigen Gang gelangten sie in eine gewaltige Höhle, nicht von Menschenhand errichtet, sondern ein Werk der Natur. Die Wände waren von Löchern und Rissen durchsetzt, und von ihrem Dach stachen zahllose spitze Stalaktiten.

      An der linken Wand türmte sich ein Berg von Felsbrocken, vielleicht durch einen Erdrutsch aufgeworfen.

      Inmitten der Höhle stand ein Altar mit einem zylinderförmigen Aufsatz aus Glas, in dem eine schwarz glänzende, undefinierbare Flüssigkeit brodelte. An dem Gefäß, bis hin zum Altar an dessen Seiten es heruntergeflossen war, klebte eine schleimige, jetzt erstarrte Masse.

      Ephlor tastete nach seinem Medaillon, welches er an einer Kette um den Hals trug. Er hatte es von seiner Zauberin Beruna erhalten. Das Medaillon half ihm Magie aufzuspüren, aber auch selber Magie zu weben.

      „Hier knistert es ja geradezu vor Magie“, sagte Ephlor zu Danina, die wachsam neben ihm stand. „Du weißt, was das ist?“, fragte er auf den Zylinder zeigend. Danina sah ihn verständig an. „Was für eine dumme Frage! Natürlich weißt du es“, lächelte Ephlor. „Die Flüssigkeit in dem Zylinder muss eine Verbindung zu dem Dämon sein. Durch diese vermochte er mit der Hexe zu kommunizieren. Jedenfalls nehme ich das an.“

      „Sehr richtig erkannt, Elfenkönig“, dachte Danina. „Aber das ist noch nicht alles. Mit Hilfe der Flüssigkeit konnte der Dämon von sich ein Abbild entstehen lassen. Das Resultat daraus, ist die erkaltete Masse.“

      Ein klägliches Fiepen riss die beiden aus ihrer Betrachtung. Sie drehten sich um. Kassandra hatte sich vor einem Steinsockel niedergelassen, auf dem ein Käfig stand. Das jammervolle Fiepen kam von der darin eingesperrten Fledermaus. Wäre dieses klägliche Geräusch nicht gewesen, hätten sie den Käfig vielleicht gar nicht bemerkt. Schnell liefen sie hinüber. Kassandra sprang auf und sah sie auffordernd an. Doch auffordernd wozu?

      „Das ist keine Fledermaus“, sagte Ephlor und griff an sein Medaillon. „Könnte das die verwandelte Schwester von Kassandra sein?“

      Als der Name Kassandra im Raum schwebte, wurde das Fiepen noch herzzerreißender.

      „Sie ist es. Was meinst du, Danina?“

      Die Pantherin sah ihn starr an und dann … nickte sie mit dem Kopf. „Ja, es ist die Schwester“, dachte sie. „Nur, wie erhalten beide ihren menschlichen Körper zurück?“

      „Zuerst einmal holen wir die Fledermaus aus dem engen Käfig heraus“, sagte Ephlor energisch. Das war leicht getan, denn er brauchte nur einen schmalen Riegel zurückzuschieben. Die Fledermaus flatterte unbeholfen heraus und klammerte sich an einen herabhängenden Stalaktiten.

      Und was jetzt? dachte Ephlor gerade, als plötzlich der Boden unter ihm wankte. Es gelang ihm gerade noch, sich an dem Steinsockel festzuhalten, auf dem der Käfig stand. Danina hatte sich flach auf den Boden gelegt. Mein Gott, was ist das? dachte Ephlor. Ein Erdbeben? Oder weil wir den Käfig geöffnet haben? Schaudernd dachte er an die spitzen Stalaktiten über sich. Wenn die herunterkamen, würde nicht viel von ihnen übrigbleiben, woran man sie erkennen könnte.

      Ein schriller Schrei über ihm riss ihn aus seinen düsteren Gedanken. Wer hat da geschrien, dachte er verwirrt. Ich war es jedenfalls nicht. Als er hoch sah, glaubte er zu träumen. Das gab es doch nicht!

      Über ihm hing eine junge Frau in einem weißen Kleid, das sich um ihren schmalen Körper bauschte.