»Ja, genau. Ist das ein Problem? Ich meine, könnte der Richter sagen, weil ich das so lange geduldet habe, sei es jetzt kein Scheidungsgrund mehr?« Sie reißt die Augen auf und starrt mich an. Mrs Rutherford ist 57 Jahre alt, trägt die grauen Haare hochgesteckt und ist nicht geschminkt. Ich kann sie mir nicht in einem Kostüm vorstellen. Schon gar nicht in einem Klingonen-Kostüm. Ich glaube, dieser Fall schafft es locker auf die Liste der zehn kuriosesten Scheidungsfälle Englands, und das will was heißen.
»Das könnte tatsächlich ein Punkt sein, aber ich glaube, kein Richter dieses Landes würde erwarten, dass Sie zu Hause in einem Klingonen-Kostüm herumlaufen und sich mit ihrem Mann ausschließlich auf Klingonisch unterhalten. Ist das überhaupt eine Sprache? Wo kann man die denn lernen?« Ich beiße mir heftig auf die Lippe und versuche, so ernst wie möglich zu gucken.
»Im Internet! Mein Mann hat auch jede Menge Bücher darüber. Ich glaube, er ist inzwischen sogar richtig gut darin.«
»Was macht Ihr Mann beruflich?«, frage ich der Ordnung halber und ergänze meine Notizen.
»Er ist Programmierer. Eigentlich ist er Elektriker, aber er hat sich vor einigen Jahren selbst umgeschult, sozusagen. Als er arbeitslos war, vertiefte er sich in sein Hobby und saß Tag und Nacht vor seinem Computer. Seit drei Jahren hat er eine feste Anstellung. Zum Glück!«
»Ich kann Sie sehr gut verstehen, Mrs Rutherford. Aber warum kommen Sie erst jetzt? Wieso haben Sie das zwei Jahre lang mitgemacht?«
Sie zuckt mit den Achseln und sieht an mir vorbei durchs Fenster. »Ich weiß nicht. Ich dachte, es wäre eine Phase und würde irgendwann vorbeigehen. Ich meine, jeder hat doch mal so eine Phase im Leben, oder nicht?« Sie schaut mich wieder an.
Ich hebe vorsichtig die Schultern. »Ja, vielleicht ... ich weiß nicht ...« Oh verdammt, was soll ich dazu sagen? Muss sie denn wissen, dass sie zu gutgläubig war? Dass sie mir leidtut? Nein, sie erlebt genug Mist, da braucht sie keinen überheblichen Rat von einem Anwalt. »Doch, ich glaube, jeder Mensch hat solche Phasen. Da haben Sie ganz recht. Aber wenn er immer noch keine Anstalten macht, etwas zu ändern, sollten Sie jetzt an sich denken und ihm ein Ultimatum stellen. Ich werde Ihnen dabei helfen, aber ich sehe ehrlich gesagt keine Probleme, die einer raschen Scheidung im Weg stehen könnten.«?
»Ich war nie berufstätig. Wir haben vier Kinder, der Jüngste wohnt noch zu Hause und macht eine Ausbildung. Daher weiß ich nicht ...«
»Keine Sorge, Mrs Rutherford. So wie die Sache liegt, wird Ihr Mann Ihnen Unterhalt zahlen müssen. Das Haus gehört Ihnen beiden?«
»Ja, wir haben den Kaufvertrag damals gemeinsam unterschrieben. Vor dreißig Jahren. Ich ...« Sie beginnt zu schluchzen. Mein Herz zieht sich zusammen. Ich hasse weinende Frauen. Ich fühle mich unwohl in ihrer Anwesenheit, vor allem, wenn ich nicht helfen kann. Langsam strecke ich den Arm aus, um sie nicht zu verschrecken, und greife nach ihrer Hand. Sie schnieft unterdrückt.
»Dreißig Jahre. Das muss man sich mal vorstellen. Und dann so was. Wegen einer dämlichen Fernsehserie kann man doch nicht sein ganzes Leben auf den Kopf stellen! All unsere Freunde haben sich von uns abgewendet, niemand kommt mehr zu Besuch. Weil keiner Lust hat, diese verrückte Sprache zu lernen und Hank sich weigert, in seiner Freizeit eine andere zu sprechen. Ich verstehe das einfach nicht! Wir hatten nie solche Probleme, dreißig Jahre lang nicht. Und jetzt ...«
»Vielleicht kommt er zur Besinnung, wenn Sie ihn verlassen«, sage ich ruhig. »Ziehen Sie vorübergehend aus. In ein Hotel, zu Ihrer Familie, einer Freundin ... Wenn er allein ist, merkt er vielleicht, dass Sie ihm fehlen und kann wieder die richtigen Prioritäten setzen. Manchmal vermisst man jemanden doch erst, wenn er gar nicht mehr da ist. Wenn man glaubt, ihn verloren zu haben.«
Wieso muss ich ausgerechnet jetzt an Lilly denken? Auch sie hatte ich verloren geglaubt – fünf lange Jahre. Dann war sie plötzlich wieder da, und jetzt werde ich sie nie wieder loslassen, das ist sicher. Der Gedanke an die schönste Frau der Welt löst Wärme in mir aus. Und ein im Moment leider höchst unpassendes Zucken in unteren Körperregionen, das ich mir dringend verkneifen sollte.
»Meinen Sie wirklich, dass uns das helfen könnte?« Mrs Rutherford tupft sich eine Träne aus dem Augenwinkel und verzieht den schmalen Mund zu einem gequälten Lächeln.
»Sie haben nichts zu verlieren, oder? Wenn Sie sich scheiden lassen, sind Sie sowieso weg. Und zwar für immer. Ziehen Sie aus und stellen Sie Bedingungen. Dann hat Ihr Mann eine Chance, sich zu ändern. Einzusehen, was er Ihnen angetan hat. Wie soll er wissen, was er damit anrichtet, wenn Sie es jahrelang klaglos mitgemacht haben?«
Mrs Rutherford beruhigt sich langsam. Ihre Mundwinkel zucken. »Vielleicht haben Sie recht«, sagt sie leise. »Es ist zumindest einen Versuch wert.«
»Ich glaube, es gibt noch Hoffnung für Sie. Wenn Sie möchten, spreche ich mal mit Ihrem Mann«, biete ich ihr an.
Sie lacht leise. »Können Sie denn Klingonisch?«, fragt sie, und ihre Augen funkeln wieder.
Erleichtert stimme ich in ihr Lachen ein und lehne mich zurück. »Noch nicht. Aber ich würde es lernen, falls das wirklich notwendig ist.«
Sie zwinkert mir zu und wirkt plötzlich zehn Jahre jünger. »Danke, Mr Bennet. Ich ahne langsam, warum Sie als einer der besten Anwälte gelten. Jedenfalls sind Sie ganz bestimmt einer der Nettesten!«
Ein Lächeln unterdrückend stehe ich auf und schüttle ihre angebotene Hand. »Danke, ich gebe mir Mühe. Rufen Sie mich an, wenn Sie meine Unterstützung brauchen, okay?«
»Ja, das werde ich. Vielen Dank. Bis bald!«
Die winzige Frau dreht sich um, und der Anblick ihrer aufrechteren Haltung, der strafferen Schultern löst ein warmes Gefühl in meinem Bauch aus. Ein Fall mit Hoffnung. Neun von zehn Frauen, die zu mir kommen, sind hoffnungslose Fälle. Bei Mrs Rutherford hatte ich von Anfang an ein gutes Gefühl. Trotzdem möchte ich Mr Rutherford unbedingt kennenlernen. Ich bin entsetzlich neugierig auf diesen Mann.
»Braden?« Maggy steht mit einem Stapel Briefe in der Hand in meiner Bürotür. Ich setze mich wieder und sehe zu ihr hoch. »Ja?«
»Hier ist die Post. Und draußen wartet Mrs Wincester. Deine Lieblings-Klientin.« Maggy verzieht den rot bemalten Mund zu einem breiten Grinsen, und ich lache.
»Fünf Minuten, okay? Ich muss noch ein paar Notizen ...«
»Ist gut.« Meine Sekretärin verschwindet und zieht die Tür hinter sich zu. Mrs Wincester. Seit vier Jahren betreue ich sie, weil ihr Mann sich standhaft weigert, sich scheiden zu lassen. Er hat sie mehrfach betrogen, aber weil sie es jahrelang mitgemacht hat, bevor sie beschloss, die Ehe zu beenden, hat sie nun schlechte Karten. Noch zwei Jahre wird sie unter Umständen ausharren müssen, bevor die Ehe auch ohne seine Einwilligung geschieden werden kann. Und in dieser Zeit darf sie nicht mal eine neue Beziehung eingehen, da sie während der Ehe nicht gearbeitet hat und auf den Unterhalt ihres Ex-Mannes angewiesen ist. Kopfschüttelnd ziehe ich ihren Ordner hervor, der inzwischen den Umfang einer Jahresabrechnung hat, und lege ihn auf den Schreibtisch. Dann atme ich tief ein, um mich zu konzentrieren. Ganz oben auf dem Poststapel, den Maggy gebracht hat, liegt ein Brief, dessen Absender meinen Herzschlag beschleunigt.
Mir war klar, dass Jonathan die Scheidung von Lilly nicht einfach akzeptieren würde. Stolz und herrschsüchtig, wie er eben ist, und noch dazu ein Anwalt, der ganz bestimmt nicht sein halbes Vermögen seiner Ex-Frau nachwerfen will. Lillys Scheidung war schmutzig und es tut mir leid, dass ich ihr die miesen Details nicht ersparen konnte. Ich kann mir nur ausmalen, wie sehr es sie getroffen haben muss, vor Gericht von der Affäre ihres Mannes mit ihrer besten Freundin zu erfahren, die obendrein nun auch noch ein Kind von ihm erwartet. Aber so gern ich mich gleich darum kümmern würde, um Lillys Scheidung endlich über die Bühne zu bringen, damit sie ganz und gar mir gehören kann – dieser Brief muss leider warten. Sonst kann ich mich nicht auf Mrs Wincester konzentrieren, und die Dame