Die Bauern. Anton Tschechow. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anton Tschechow
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752951813
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die Matwejitschows und die Iljitschows, um sich über ihre Verwandten, die in Moskau dienten, zu erkundigen. Alle Bauernjungen von Schukowo, die zu lesen verstanden, wurden immer nach Moskau gebracht und dort zu Kellnern und Gasthausdienern ausgebildet (während das jenseits des Flusses liegende Dorf lauter Bäckergesellen lieferte); so war es seit langem, seit der Zeit der Leibeigenschaft eingeführt, als ein gewisser sagenhafter Luka Iwanowitsch, ein ehemaliger Bauer von Schukowo, Oberkellner in einem der Moskauer Klubs wurde und ausschließlich seine Landsleute in Dienst zu nehmen pflegte; sobald aber diese einen gewissen Einfluß erlangten, ließen sie ihre Verwandten nachkommen und verschafften ihnen Stellungen in Gasthäusern und Restaurants; seit jener Zeit wurde Schukowo von den Bewohnern nicht anders als »Lakaiendorf« genannt. Nikolai war mit elf Jahren nach Moskau gekommen und verdankte seine Karriere einem Mitglied der Familie Matwejitschow, Iwan Makarytsch, der damals als Logenschließer im Etablissement »Eremitage« angestellt war. Nun sagte er salbungsvoll, sich an die Matwejitschows wendend:

      »Iwan Makarytsch ist mein Wohltäter, und ich muß Tag und Nacht für ihn zu Gott beten, denn ihm habe ich es zu verdanken, daß ich ein anständiger Mensch geworden bin.«

      »Väterchen,« sagte mit weinerlicher Stimme eine großgewachsene Alte, die Schwester des Iwan Makarytsch, »er läßt aber gar nichts von sich hören!«

      »Im Winter diente er im Theater Aumont, und in dieser Saison soll er irgendwo in einem Gartenetablissement draußen vor der Stadt angestellt sein ... Alt ist er geworden! In früheren Zeiten pflegte er im Sommer täglich an die zehn Rubel heimzubringen, jetzt ist aber das Geschäft überall still, und der Alte hat es recht schwer.«

      Die alten und die jungen Weiber blickten auf die mit Filzstiefeln bekleideten Füße und das bleiche Gesicht Nikolais und sprachen traurig:

      »Auch du bist kein Verdiener mehr, Nikolai Ossipytsch! Hast nicht mehr die Kraft ...«

      Und alle liebkosten Sascha. Sie war schon zehn Jahre alt, aber klein und sehr schmächtig und sah wie eine Siebenjährige aus. Unter den anderen sonnenverbrannten, schlecht geschorenen, mit langen verschossenen Hemden bekleideten Mädchen nahm sie sich mit ihrer weißen Hautfarbe, den großen dunklen Augen und dem roten Bändchen im Haar drollig aus, wie ein kleines, wildes Tier, das man draußen im Felde gefangen und in die Stube gebracht hätte.

      »Sie kann auch schon lesen!« prahlte Olga mit einem zärtlichen Blick auf die Tochter. »Lies uns mal vor, Kind!« sagte sie, das Evangelium vom Brett holend. »Lies, und die Rechtgläubigen werden zuhören.«

      Das Evangelium war alt, in schwerem Ledereinband mit abgeriebenen Ecken, und es roch auf einmal so, als ob in die Stube Mönche getreten wären. Sascha hob die Brauen und begann laut mit singender Stimme:

      »Da sie aber hinweggezogen waren, siehe, da erschien der Engel des Herrn dem Josef im Traum und sprach: Stehe auf und nimm das Kindlein und seine Mutter ...«

      »Das Kindlein und seine Mutter,« wiederholte Olga, ganz rot vor Erregung.

      »Und fliehe ins Ägyptenland und bleibe allda, bis ich dir sage ...«

      Beim Worte »allda« konnte sich Olga nicht mehr beherrschen und begann zu weinen. Auch Marja mußte, als sie sie ansah, schluchzen; dann schluchzte auch die Schwester Iwan Makarytschs. Der Alte begann zu husten und herumzukramen, um seiner Enkelin etwas zu schenken; er fand aber nichts und winkte nur mit der Hand. Als die Vorlesung zu Ende war, gingen die Nachbarn gerührt und mit Olga und Sascha über die Maßen zufrieden, nach Hause.

      Dem Sonntag zu Ehren blieb die Familie den ganzen Tag zuhause. Die Alte, die der Mann, die Schwiegertöchter und die Enkelkinder »Großmutter« nannten, bemühte sich alles selbst zu machen: sie heizte selbst den Ofen ein und bereitete den Samowar, sah sogar um die Mittagszeit nach dem Vieh und jammerte hinterher, daß man sie mit Arbeit zugrunde richte. Und sie paßte immer auf, daß niemand ein Stück zu viel nehme und daß der Alte und die Schwiegertöchter nicht müßig herumsäßen. Bald kam es ihr vor, daß die Gänse des Gastwirts in ihren Gemüsegarten gekommen seien, und sie lief mit einem langen Stecken in der Hand aus der Stube und schrie eine halbe Stunde lang gellend bei ihrem Kohl, der ebenso mager und krank war wie sie selbst; bald schien es ihr, daß eine Krähe ihre Kücken überfallen wolle, und sie stürzte sich fluchend über die Krähe. Sie schimpfte und brummte vom Morgen bis zum Abend und erhob oft solches Geschrei, daß die Leute auf der Straße stehen blieben.

      Ihren Alten behandelte sie gar nicht freundlich und nannte ihn bald Faulenzer, bald Cholera. Er war ein unsolider, unzuverlässiger Bauer, und hätte wohl, wenn sie ihn nicht ständig antriebe, überhaupt nicht gearbeitet, sondern ständig auf dem Ofen gesessen und geredet. Er erzählte seinem Sohn lange und ausführlich von den Feinden, die er angeblich hatte, beklagte sich über die Kränkungen, die ihm die Nachbarn tagtäglich zufügten, und es war furchtbar langweilig, ihm zuzuhören.

      »Ja,« erzählte er, sich an die Hüften fassend. »Ja ... Eine Woche nach dem Fest der Kreuzeserhöhung verkaufte ich mein Heu zu dreißig Kopeken für das Pud, aus freien Stücken. Ja ... Gut ... So fahre ich des Morgens mit dem Heu, rühre keinen Menschen an, da sehe ich, zur unglücklichen Stunde, wie aus dem Wirtshaus der Dorfälteste Antip Ssedjelnikow kommt. ›Wo willst du mit dem Heu hin?‹ sagt er und haut mir eine herunter.«

      Kirjak hatte aber nach dem gestrigen Rausche fürchterliches Kopfweh und schämte sich vor seinem Bruder.

      »Was der Schnaps alles macht. Ach du, lieber Gott!« stammelte er, seinen schmerzenden Kopf schüttelnd. »Verzeiht es mir, um Christi willen, lieber Bruder und liebe Schwester, ich bin selbst nicht froh darüber.«

      Dem Sonntag zu Ehren kaufte man im Wirtshause einen Hering und kochte aus dem Heringskopf eine Suppe. Um die Mittagsstunde setzten sich alle an den Samowar und tranken so lange Tee, bis der Schweiß kam und sie alle anschwollen. Nach dem Tee aßen sie die Suppe, alle aus einem Topf. Aber den Hering selbst tat die Alte auf die Seite.

      Abends brannte der Töpfer am Abhang seine Töpfe. Unten auf der Wiese tanzten die jungen Mädchen einen Reigen und sangen Lieder. Die Burschen spielten Ziehharmonika. Auch drüben, jenseits des Flusses brannte ein Feuer und tönte Mädchengesang, der aus der Ferne schön und harmonisch erschien. Im Wirtshause und vor dem Wirtshause lärmten die Bauern; sie sangen mit trunkenen Stimmen, alle durcheinander, und fluchten so, daß Olga jeden Augenblick zusammenfuhr und sagte:

      »Mein Gott, mein Gott ...«

      Sie staunte darüber, daß das Fluchen für keinen Augenblick verstummte und daß die Alten, die doch an den Tod denken sollten, lauter und schlimmer als alle fluchten. Die Kinder und die jungen Mädchen hörten aber ganz ruhig zu, und es war ihnen anzusehen, daß sie es von der Wiege her gewohnt waren.

      Mitternacht war vorüber, die Feuer auf dieser wie auf der anderen Seite waren schon erloschen, aber unten auf der Wiese und im Wirtshause vergnügte man sich noch immer. Der Alte und Kirjak kamen beide betrunken, sich an den Händen haltend und einander mit den Schultern anstoßend, zur Scheune, wo Olga und Marja schliefen.

      »Laß,« redete der Alte auf seinen Sohn ein. »Laß ... Sie ist ein stilles Weib ... Eine Sünde ist es ...«

      »Ma–arja!« schrie Kirjak.

      »Laß ... Eine Sünde ist's ... Sie ist ein ordentliches Weib.«

      Sie standen eine Minute vor der Scheune und gingen dann weiter.

      »Ich liebe die Blumen des Feldes!« begann der Alte plötzlich mit hoher, durchdringender Tenorstimme zu singen. »Ich liebe der Wiesen Duft!«

      Dann spuckte er aus, schimpfte unflätig und ging ins Haus.

      4

      Die Großmutter stellte Sascha beim Gemüsegarten hin und befahl ihr, aufzupassen, daß die Gänse nicht hereinkommen. Es war ein heißer Augusttag. Die Gänse des Wirtes, die von hinten hereinkommen konnten, waren jetzt aber anderweitig beschäftigt: sie pickten vor dem Wirtshause, friedlich schnatternd, Haferkörner auf, und nur der Gänserich reckte den Hals, wie wenn er sehen wollte, ob nicht die Alte mit dem Stecken käme; und die anderen Gänse, die von der anderen Seite kommen konnten, weideten