Die Bauern. Anton Tschechow. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anton Tschechow
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752951813
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Frau sich vor Angst verzerrte. Ihre Tochter, das Mädchen, das auf dem Ofen gesessen hatte und so gleichgültig schien, fing plötzlich laut zu weinen an.

      »Was heulst du, du Cholera?« schrie sie Fjokla an, ein hübsches, ebenso starkes und breitschultriges Weib. »Er wird dich doch nicht umbringen!«

      Nikolai erfuhr vom Alten, daß Marja sich fürchtete, mit Kirjak im Walde zusammenzuleben, und daß er, wenn er betrunken war, immer herkam, um sie zu holen, und dabei großen Skandal machte und sie erbarmungslos prügelte.

      »Ma–arja!« erklang es dicht vor der Türe.

      »Rettet mich, ihr Lieben, um Christi willen!« lallte Marja. Sie atmete dabei so, wie wenn man sie in sehr kaltes Wasser tauchte. »Rettet mich, ihr Lieben ...«

      Alle Kinder, die in der Stube waren, begannen zu heulen, und auch Sascha fing zu weinen an. Nun ertönte ein trunkenes Husten, und in die Stube trat ein großer, schwarzbärtiger Mann in Pelzmütze; da sein Gesicht im trüben Scheine des Lämpchens nicht zu sehen war, machte er einen sehr schrecklichen Eindruck. Es war Kirjak. Er ging auf seine Frau zu, holte mit der Faust aus und schlug sie ins Gesicht; sie aber gab keinen Ton von sich, war vom Schlage wie betäubt und hockte sich nur hin; aus ihrer Nase kam sofort Blut.

      »Diese Schande, diese Schande,« murmelte der Alte, auf den Ofen kriechend, »vor den Gästen! Diese Sünde!«

      Die Alte aber saß schweigend da und schien an etwas zu denken; Fjokla wiegte ihr Jüngstes ... Kirjak, der sich wohl des schrecklichen Eindrucks, den er machte, bewußt und damit zufrieden war, packte Marja bei der Hand, schleppte sie zur Tür und brüllte dabei, um noch schrecklicher zu erscheinen, wie ein Tier; in diesem Augenblick erblickte er aber die Gäste und blieb stehen.

      »So, ihr seid da ...« sagte er, seine Frau loslassend. »Mein lieber Herr Bruder mit Familie ...«

      Er bekreuzigte sich vor dem Heiligenbilde, riß seine trunkenen, roten Augen weit auf und fuhr schwankend fort:

      »Mein lieber Herr Bruder mit Familie sind also ins Elternhaus gekommen ... aus Moskau. Moskau ist ja die ältere Hauptstadt und die Mutter aller Städte ... Entschuldigen Sie ...«

      Er ließ sich auf die Bank vor dem Samowar nieder und begann laut schlürfend den Tee aus der Untertasse zu trinken. Alle schwiegen ... Er trank an die zehn Tassen, sank dann auf die Bank hin und begann sofort zu schnarchen.

      Nun gingen alle schlafen. Nikolai bekam als Kranker einen Platz auf dem Ofen neben dem Alten; Sascha legte sich auf den Fußboden, und Olga ging mit den anderen Weibern in die Scheune.

      »Ach, meine Liebe,« sagte sie, sich auf das Heu neben Marja legend, »Tränen helfen nicht viel! Du mußt eben dulden. Auch in der Heiligen Schrift steht geschrieben: wer dich auf die rechte Backe schlägt, dem biete die linke dar ... Ja, meine Liebe!«

      Dann erzählte sie leise in singendem Tonfalle von Moskau und von ihrem Leben als Dienstmädchen in einer Pension.

      »In Moskau sind die Häuser groß und aus Stein,« erzählte sie. »Und es gibt so viele Kirchen: vierzigmal vierzig, meine Liebe, und in den Häusern wohnen lauter Herrschaften, und die sind so hübsch und so anständig!«

      Marja erzählte, daß sie noch nie in Moskau gewesen war, selbst in der nächsten Kreisstadt nicht; sie konnte weder lesen noch schreiben, verstand nicht zu beten und kannte nicht einmal das Vaterunser. Sie und die andere Schwägerin, Fjokla, die etwas abseits saß und zuhörte, waren stumpfsinnig und konnten nicht viel verstehen. Beide liebten ihre Männer nicht; Marja fürchtete ihren Kirjak; sie zitterte, so oft sie mit ihm allein war, vor Angst und bekam in seiner Nähe immer Kopfschmerzen, da er stark nach Schnaps und Tabak roch. Und Fjokla antwortete auf die Frage, ob sie sich ohne ihren Mann nicht langweile, geärgert:

      »Daß ihn der Teufel!«

      So sprachen sie eine Weile und verstummten ...

      Es war kühl, und in der Nähe krähte immer ein Hahn, der sie nicht einschlafen ließ. Als das bläuliche Morgenlicht durch alle Ritzen eindrang, stand Fjokla leise auf und ging hinaus; dann hörte man sie auf ihren bloßen Füßen fortrennen.

      2

      Olga ging zur Kirche und nahm Marja mit. Als sie den Fußpfad zur Wiese hinuntergingen, war es beiden lustig zumute. Olga freute sich über die freie Natur, und Marja fühlte in ihrer Schwägerin eine nahe und verwandte Seele. Die Sonne ging eben auf. Ganz tief über der Wiese schwebte ein verschlafener Habicht, der Fluß war noch dunkel, hie und da stand noch der Nebel, aber jenseits des Flusses, oben auf dem Abhang lag schon ein Lichtstreifen, die Kirche strahlte, und im Garten des Herrenhauses schrien wie besessen die Krähen.

      »Der Alte ist nicht schlecht,« berichtete Marja, »aber die Alte ist streng und haut immerzu. Mit dem eigenen Brot sind wir bis zur Butterwoche ausgekommen, jetzt kaufen wir das Mehl in der Wirtschaft. Nun schimpft sie, daß wir zu viel essen.«

      »Ach, meine Liebe! Du mußt eben dulden. Es steht auch geschrieben: kommet alle, die ihr mühselig und beladen seid.«

      Olga sprach bedächtig und singend und bewegte sich schnell und hastig wie eine Wallfahrerin. Sie las jeden Tag im Evangelium, sie las laut und singend wie ein Küster, sie verstand vieles nicht, aber die heiligen Worte rührten sie zu Tränen, und wenn sie auf gewisse unverständliche altertümliche Ausdrücke stieß, erstarb ihr Herz vor Wonne. Sie glaubte an Gott, an die Muttergottes und die Heiligen; sie glaubte, daß man keinen Menschen auf Erden kränken dürfte, weder einfache Leute noch Deutsche, weder Zigeuner noch Juden, und daß es selbst denen, die mit den Tieren kein Mitleid haben, schlecht ergehen wird; sie glaubte, daß dies alles in den heiligen Schriften geschrieben sei, und darum nahm ihr Gesicht, wenn sie irgendwelche ihr unverständliche Worte aus der Schrift anführte, einen gerührten, andächtigen und strahlenden Ausdruck an.

      »Und wo stammst du her?« fragte Marja.

      »Aus dem Wladimir'schen. Bin aber schon mit acht Jahren nach Moskau gekommen.«

      Sie kamen zum Fluß. Am anderen Ufer stand dicht am Wasser eine Frau und zog sich aus.

      »Das ist unsere Fjokla,« sagte Marja. »Sie war eben auf dem Herrenhofe drüben gewesen. Bei den Arbeitern. So ausgelassen ist sie und flucht so abscheulich ...«

      Die schwarzbrauige Fjokla mit den aufgelösten Haaren, jung und prall wie ein Mädchen, warf sich vom Ufer ins Wasser und schlug mit den Beinen so kräftig aus, daß sich um sie her Wellen bildeten.

      »So furchtbar ausgelassen!« wiederholte Marja.

      Über den Fluß führte ein schwankender Brettersteg, und unter diesem zogen im reinen, durchsichtigen Wasser ganze Scharen dickköpfiger Äschen vorbei. An den grünen Büschen, die sich im Wasser spiegelten, glänzte der Tau. Ein warmer Hauch kam gezogen, und beide fühlten sich so wohlig. Ein herrlicher Morgen! Und wie herrlich wäre wohl das ganze Leben auf dieser Erde, wenn es nicht diese Not, diese schreckliche, zwingende Not gäbe, vor der man sich nirgends verstecken kann! Sie brauchte nur auf das Dorf zurückzuschauen, und alles Gestrige erstand wieder in der Erinnerung, und der ganze Zauber des Glückes, das hier zu schweben schien, verflog in einem Augenblick.

      Sie kamen in die Kirche. Marja blieb bei der Türe stehen und wagte sich nicht weiter vor. Sie wagte sich auch nicht hinzusetzen, obwohl die Messe erst nach acht begann. So stand sie die ganze Zeit.

      Als die Vorlesung aus dem Evangelium begann, geriet das Volk plötzlich in Bewegung und machte der Gutsbesitzerfamilie Platz; zwei junge Mädchen in weißen Kleidern und breitkrempigen Hüten und ein wohlgenährter, rosiger Junge im Matrosenanzug kamen in die Kirche. Ihr Erscheinen rührte Olga; sie sagte sich gleich auf den ersten Blick, daß es anständige, gebildete und schöne Menschen seien. Marja blickte sie aber finster an und runzelte die Stirne, als ob es keine Menschen sondern Ungeheuer wären, die sie zermalmen könnten, wenn sie nicht zur Seite getreten wäre.

      Und wenn der Diakon mit seiner Bassstimme in den Gottesdienst einfiel, hörte sie jedesmal den Schrei »Ma–arja!« und fuhr zusammen.

      3