Voller Misstrauen geliebt. Lara Greystone. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lara Greystone
Издательство: Bookwire
Серия: Unsterblich geliebt
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742772114
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      Er schob den Lauf zurück, dort war eine drin, dann holte er das Magazin heraus – es war tatsächlich voll. Also hatte Jo die fehlende Patrone registriert und bereits ersetzt. Das war gar nicht gut, dennoch hatte sie an seinen Besuch selbst wohl keine Erinnerung, sonst würde sie hier nicht so ruhig mit ihm sitzen. Oder hatte sie nur ein gutes Pokerface? Wobei sie ja eigentlich schon zweimal gehen wollte. Und Jo hatte sich auch allein aus dem Tiefschlaf befreien können, das war alles sehr merkwürdig. Andererseits war ihm schon zu Ohren gekommen, dass es Menschen gab, die zu einem gewissen Grad dem Einfluss von Vampiren widerstanden, zum Beispiel seine Mutter.

      „Zuverlässiges Modell“, sagte er, ohne sich seine zwiespältigen Gedanken anmerken zu lassen. „Klein und leicht, gut für Frauenhände: Kaliber .22??“, fragte er, um den Schein aufrechtzuerhalten.

      „Ja. Und nur damit du’s weißt, ich kann damit auch schießen. Auf ein paar Meter würde ich ohne Probleme dein Herz oder deinen Kopf treffen“, flüsterte sie gepresst.

      „Das glaube ich dir.“

       Ich habe dich sogar schon in Aktion gesehen und du bist schnell, das muss man dir lassen.

      „Na ja, natürlich nur, solange du dich nicht bewegst“, fügte sie kleinlaut hinzu.

       Ganz genau und ich bin schneller als du.

      „Lachst du etwa über mich?“

      Er tastete verblüfft nach seinem Mund.

      „Ich grinse – tatsächlich.“ - Und es fühlte sich sogar gut an. Wann war ihm das zum letzten Mal passiert?

      Um sie abzulenken, bot er an: „Deine Pistole müsste mal gesäubert und geölt werden. Bring sie morgen mit und gib sie Walter, bevor du das Gelände betrittst.“ Er steckte ihre Pistole zurück in die Handtasche. „Brauchst du noch Munition dafür?“

      „Danke, das Reinigen wäre gut und nein, ich hab genug Patronen. Und jetzt raus mit der Sprache: Warum bist du hier, Quint? Hast du als Bodyguard nichts Besseres zu tun, als mir zu folgen? Das ist doch kein Zufall.“

      Man konnte die Wahrheit sagen, ohne etwas zu verraten, das hatte ihm sein Vater beigebracht, und mit der Wahrheit lief man langfristig nicht so schnell Gefahr aufzufliegen.

      Er legte seine Unterarme auf die Theke und fasste sein Whiskyglas mit beiden Händen.

      „Das war die Lieblingskneipe meines Bruders und heute ist sein Todestag.“

      Jo sah ihn für einen Moment skeptisch an, dann schaute sie wieder auf ihren fast leeren Florida Comfort Cocktail.

      „Dann haben wir leider was gemeinsam. Ich hab meinen Mann verloren. Er kam auch gern hierher.“

      Mit melancholischer Miene nahm sie ihr Glas und stieß es an seines.

      „Auf den Schmerz, der nie vergeht.“

      Kapitel 12

      Jo wirkte bereits angetrunken, aber damit er sie unbemerkt ausfragen konnte, wollte er zur Tarnung vorher ein wenig Small Talk halten. Als ihm nichts einfiel, obwohl er krampfhaft nach Sätzen suchte, wurde ihm bewusst, dass er den Umgang mit Menschen völlig verlernt hatte.

       Ich muss mich unbedingt mal mit Susi treffen und mit ihr reden, um wieder ein Gefühl dafür zu bekommen.

      Susi, die Löwenkönigin, erinnerte er sich und musste unwillkürlich schmunzeln. Auf allen vieren hatte er die kleine Susi als „Königin“ auf seinem Rücken getragen. Samuel und er hatten mit ausgefahrenen Fangzähnen Löwen für sie gespielt und das nicht nur einmal. Spielerisch hatte er sich mit seinem Bruder kämpfend auf dem Boden gewälzt und sie hatten sich köstlich dabei amüsiert.

      „Das Lächeln steht dir, Quint. Jetzt siehst du nicht mehr so aus, als ob du mich jeden Moment um die Ecke bringst“, meinte Jo mit schwerer Zunge.

      Er nippte nachdenklich an seinem Whisky.

      „Komme wohl aus dem Kampfmodus nicht mehr raus.“

      Jo trank den Rest ihres Glases in einem Zug aus und sagte: „Bodyguard – hm? Lass mich raten, du kommst nicht mehr aus deinem Kampfmodus heraus, seit dein Bruder tot ist? Siehst überall nur Bedrohungen.“

      Abrupt drehte er sich zu ihr, fasste sie an den Schultern und rüttelte sie: „Woher weißt du das?!“

      „Denkst du, ich hatte immer eine Pistole bei mir?“

      Sie blickte vielsagend auf seine Hände, die ihre Schultern eisern umklammerten, und ihm wurde klar, dass er gerade für neue, blaue Flecke sorgte. Sofort ließ er sie los und schüttelte den Kopf.

      „Sorry.“

      „Wenn du nicht lernst, dich zu entspannen, wirst du paranoid und drehst irgendwann ganz durch.“

      Ihre Aussage kam ihm wie ein Echo von Agnus’ Botschaft vor.

      „Da könntest du recht haben“, murmelte er.

       Und dann erschieße ich dich vielleicht.

       Was ist nur aus mir geworden?

      „Die Anspannung ist sicher auch Teil deines Jobs und damit überlebenswichtig, Quint. Aber du musst dir Orte und Menschen suchen, bei denen du loslassen kannst und runterkommst von deinem Alarmzustand.“

      Jo bestellte den nächsten Drink, einen Comfort Manhatten, kein Longdrink mehr, sondern purer Southern Comfort mit Vermouth Dry auf Eis – und entsprechend hochprozentig.

      Um seinem Ziel näher zu kommen und von sich selbst abzulenken, fragte er: „Seit wann, ähm … wie, ich meine …“

       Scheiße, diesen Small Talk bekomme ich einfach nicht hin.

      Jo hatte anscheinend Mitleid mit seinem Gestammel und begann: „Glaub mir, ich war auch nicht immer so. Ich hätte mir früher nie vorstellen können, eine schussbereite Pistole in der Handtasche zu haben und sie auch zu benutzen. Ich bin ganz behütet aufgewachsen, in einer heilen Welt. Meine Eltern haben mich geliebt. Ich habe Ballett getanzt, Klavier und Flöte gespielt, und als ich mein Studium anfing, schien die Welt mit blauem Himmel und Sonnenschein für mich offen zu stehen.“

      Klavier, sie hatte also tatsächlich mal Klavier gespielt, so wie er sich das bei ihren Fingern vorgestellt hatte.

      „Was ist passiert?“, fragte er, diesmal ehrlich interessiert.

      „Das Leben – und es ist hart“, sagte sie zunächst lapidar und trank mit einem Schluck die Hälfte ihres Drinks.

      „Aus heiterem Himmel verlor ich meinen Vater und meine Mutter am selben Tag. Ihre Körper wurden im Wrack ihres Autos zerquetscht. Ich musste sie identifizieren. Ihr Anblick – es war furchtbar.“

      Unwillkürlich dachte Quint an den regelrecht zerfleischten Körper seines Bruders. Das hatte sein ganzes Leben verändert. Er konnte sich kaum vorstellen, was der Anblick ihrer entstellten Eltern mit Jo gemacht hatte.

      „Der Fahrer eines Holztransporters hatte einen Herzanfall, geriet ins Schleudern und das Fahrzeug meiner Eltern wurde unter seiner Ladung großer Holzstämme begraben. Und der Einzige, der mich aufgefangen und mir wieder Lebensmut gegeben hat, wurde mir bald darauf auch genommen.“

      „Wie?“

      Sie trank das Glas in einem zweiten Zug aus.

      „Darüber will ich nicht sprechen. – Wie ist dein Bruder gestorben?“

      Darüber mochte er eigentlich auch nicht reden, doch er wollte das Gespräch am Laufen halten. Außerdem spürte er bei dem Gedanken an den Tod seines Bruders nicht nur einen unbezwingbaren Schmerz, sondern auch einen Druck, der drohte, ihn zur Explosion zu bringen und er brauchte ein Ventil.

      „Er ist abgeschlachtet worden!“, stieß er viel zu heftig aus und bemühte sich daher, ruhiger