Die letzten Jäger des blauen Planeten. Jörg Meyer-Kossert. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jörg Meyer-Kossert
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742761897
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Alisha spät in der Nacht gegangen waren, lehnte sich Shane an Max’ Schulter. Ihre Finger strichen zärtlich durch seine krausen, rotbraunen Locken.

      „Ich glaube, ich fühle mich schon nicht mehr ganz so fremd wie noch gestern. Tom und Alisha waren so nett. Ich fühle mich richtig freundlich aufgenommen.“ Nanook drückte sich eifersüchtig gegen ihre Beine. Sie kraulte ihn hinter den Ohren und schaute über das lichte Nachtblau des Sees. „Vielleicht meinen wir in ein paar Wochen schon dieses Blockhaus, wenn wir von unserem Zuhause sprechen.“

      4 Cleveland, Februar 2018

      Malachy hatte das Abendessen ausfallen lassen. Obwohl er erst vor kurzem sein erstes Medizinexamen bestanden hatte und die Stelle als jüngster Assistenzarzt in der Gynäkologie des St. Patrick-Krankenhauses angetreten hatte, zeigte er schon erste Verschleißerscheinungen. Es lief alles nicht so, wie er wollte. So steuerte er erst einmal zur Beruhigung seiner Nerven das Irish-Corner an. Chuck und einige seiner Kollegen standen um den Billardtisch. Malachy schaute ihnen zu. Nach zwei Runden setzte er sich mit Chuck an den Nebentisch.

      „Wie war das eigentlich vor einem Monat mit deinem Artikel in der Medical Tribune?“, forschte Chuck plötzlich nach. „Was wolltest du damals genau schreiben?“

      Nach Malachys Erklärung runzelte Chuck die Stirn. „Weißt du, ich kenne da einen Kollegen von der Konkurrenz. Der schreibt über Medizintechnologie. Insofern arbeiten wir nicht genau am gleichen Thema. Da kann man schon mal ein paar heiße News austauschen, ohne Angst haben zu müssen, dass die Konkurrenz zu viel erfährt. Also pass auf: Da gibt es wohl in vielen gynäkologischen Abteilungen einen drastischen Rückgang der Geburtenrate. Nur rückt mit den Zahlen keine Klinik so gerne raus, weil dann die Gelder gekürzt werden. Aber an einer Stelle in der Stadtverwaltung fließen dann doch alle Zahlen der Kliniken zusammen. Genau dahin hat mein Kumpel einen guten Draht. Allerdings hat man auch auf diesem Amt versucht, die Informationen zu verharmlosen beziehungsweise ganz geheim zu halten. Das war meinem Kumpel doch recht auffällig. Den Grund dafür kennt er bis jetzt nicht.“

      „Ist mir in den ersten Wochen meiner Arbeit auch schon aufgefallen, dass die Neugeborenenstation fast leer steht“, stimmte Malachy zu.

      „Siehst du. Da ist was dran. Jedenfalls kamst du nun mit deinem kritischen Artikel über künstliche Befruchtung und deren Erfolgsquote genau in diese Entwicklung hinein. Auch wenn der Geburtenrückgang sicher nichts mit der künstlichen Befruchtung zu tun hat, so war eine zusätzliche Kritik wie deine über dieses Thema einfach nicht erwünscht.“ „Wenn du Recht hast mit deiner Information, dann muss aber noch mehr dahinter stecken. Es geht mir wie deinem Kollegen. Die Tatsache des starken Rückgangs allein ist doch nicht Grund genug zu einer Geheimhaltung“, erwiderte Malachy. „Wieso ist es der Verwaltung so wichtig, diese Info nicht nach draußen zu lassen?“

      „Vielleicht ist der Einbruch bei den Zahlen stärker als wir denken“, meinte Chuck.

      „Kannst du nicht noch ein wenig nachfassen?“, fragte Malachy vorsichtig. „Das ist schließlich mein Fachgebiet, und da sollte ich schon so gut wie möglich informiert sein“.

      Chuck nickte. Es war sein natürlicher Trieb, überall seine Nase reinzustecken. Deshalb ließ er sich um solche Dinge nicht lange bitten.

      „Aber gib mir etwas Zeit. Ich lasse von mir hören.“ Malachy nahm es hin. Aber er war nachdenklich geworden.

      Vier Wochen später meldete sich seine Mailbox im PC. Die Mail kam von Chuck.

       Hallo Mal!

       Die Sache mit deinem Medical-Artikel wächst sich langsam zu einer interessanten Story aus. Die Unterlagen, die noch vor acht Tagen meinem Kumpel – ungern zwar – gezeigt wurden, sind auf einmal als Verschlusssache nicht mehr zugänglich. Aber das reizt einen Reporter natürlich erst recht. Und nun kommt’s: Eine solche Statistik gibt es nicht nur für Cleveland. Die zehn größten Städte im Westen haben alle eine solche Statistik und alle sind sie unter Verschluss. Das riecht nicht nur verdächtig. Das stinkt schon richtig. Sonst müsste es nicht unter Verschluss sein.

       Und noch etwas: Offensichtlich wurden vom State-Department zwei Gutachten in Auftrag gegeben. Thema: Geburtenrate in den USA, Inhalt unter Verschluss. Kopie liegt jeweils bei jeder Stadtverwaltung. Ein Gutachten wurde übrigens von der gynäkologischen Abteilung der Columbia University erstellt. Kennst du da keinen ehemaligen Kommilitonen? Halt mich auf dem Laufenden.

       Gruß Chuck

      Malachy zermarterte sich das Hirn. Wenn die Geburtenrate wirklich so rapide absank, so hatte das nichts mit dem Thema „Künstliche Befruchtung“ zu tun, was Inhalt seines Artikels gewesen wäre. Im Gegenteil: Er hatte hierin kritisiert, dass die Befruchtungstechniken noch recht willkürlich und unwissenschaftlich vorgenommen wurden. Hier eine Verbesserung zu erreichen, würde bedeuten, dass auch die Geburtenzahlen wieder stiegen.

      Dass man dieses Mal seinen Artikel nicht wollte, von ihm, dem man sonst jeden Artikel aus den Händen gerissen hatte, musste einen anderen Grund haben. Vielleicht hatte der Artikel nur nicht in die Stimmung gepasst, die die Medical erzeugen wollte.

      Aber die Frage nach den Hintergründen ließ ihn doch nicht mehr so richtig los. Das Ganze nur mit einer falschen Stimmung zu begründen, erschien ihm immer mehr als naiv.

      Wenn die Geburtenziffer wirklich so hinunterging, dann konnte das natürlich verschiedene Gründe haben. Aber die meisten schieden von vornherein aus, wie zum Beispiel, dass die Menschen sich einfach nicht mehr so viele Kinder wünschten. Das passte einfach nicht zu der merkwürdigen Geheimhaltung.

      Dass die Fruchtbarkeit der männlichen Samenzellen noch weiter zurückgegangen sein sollte als sie sowieso schon im Rückgang begriffen war, war dann schon eher denkbar. Dahinter konnte sich vielleicht eine größere Einleitung von Giften in die Gewässer verbergen. Oder aber die weiblichen Eizellen konnten der Grund sein. „Alles Spekulation“, sagte er zu sich selbst.

      Mal wusste, wo er weiterkommen würde. Am Nachmittag hatte er frei. Das wollte er nutzen, um Dr. Robin Leach aufzusuchen. Robin war ein bekannter Kollege aus der Zellbiologie. Hier bekam er vielleicht einen Hinweis, ohne gleich direkt wieder als verantwortungsloser Panikschreiber zu gelten.

      Robin fühlte sich durch Malachys Besuch geehrt, denn Mal hatte jetzt schon einen guten Namen in diesen Kreisen. Und Robin war gesprächig.

      „Diese Problematik ist auch schon bis zu uns durchgedrungen. Natürlich bekommen wir von oben Anweisung, unsere Forschung stillschweigend zu betreiben. Aber mich kann doch niemand hindern, einem interessierten Kollegen meine Erkenntnisse weiterzugeben. Außerdem ist es wichtig, dass du diese Dinge an die Öffentlichkeit bringst. Das geht alle was an. Meinen Namen solltest du aber dabei weglassen.“

      Er zog seine Augenbrauen über der Nase zusammen. „Wir Wissenschaftler lassen uns viel zu oft für fremde Interessen einspannen. Aber nun zu deiner Frage:

      1 Die männlichen Samenfäden scheiden aus, denn selbst beikünstlicher Befruchtung mit Erbgut aus der Samenbank, das noch vor einem Jahr in hohem Maße befruchtungsfähig war, ist ein starker Rückgang des Befruchtungserfolges zu beobachten.

      2 Irgendwelche, in der Umwelt zu suchenden Hormone wärenauch denkbar, scheiden aber ebenfalls aus, da das nicht kurzfristig zu einem so drastischen Rückgang führen würden, wie wir ihn jetzt haben.

      3 Die Genstruktur der weiblichen Superhelix könnte sich verändert haben, und das scheint mir am einleuchtendsten.

      Das Einzige, was ich dabei nicht erklären kann, ist die Verbreitungsgeschwindigkeit. Es müsste irgendeine Ursache dafür geben, dass sich die geänderte Superhelix gegen die bisherige Variante durchsetzt. Aber da muss ich noch passen. Ist ja auch nicht direkt meine Aufgabe. Aber so wäre es denkbar.“

      Malachy schwindelte der Kopf. Verstand Robin überhaupt, was er da sagte?

      Er lieferte sich noch eine kleine Diskussion mit Robin über dessen These. Aber dann war er froh, bald nach Hause aufbrechen