Fortan also lebte und lernte ich unter meinem Jünglingsnamen Harunobu im Bauern- und Handwerkerdorf Miyamoto, das sich von meinem Heimatdorf nur darin unterschied, dass es nicht ans Meer grenzte. Die Häuser, Felder und Gärten waren dieselben wie im Ort meiner Kindheit und die Menschen ebenso ungeschliffen.
Mein Meister hingegen war feinsinnig und milde. Mit unversiegbarer Geduld unterwies er mich in seinem Handwerk und führte mich Schritt für Schritt in dessen Geheimnisse ein. Ich lernte, dass Schönschreiben nicht Kunst, sondern Meditation ist und nur von dem würdig ausgeübt werden kann, der sich mit all seinem Sinnen und Trachten darauf konzentriert.
„Man soll seine Arbeiten gründlich erledigen“, pflegte mein Meister zu sagen. Und: „Man soll nichts auf die leichte Schulter nehmen.“
Diese einfachen, aber tiefen Worte beherzigend, wurde ich nach und nach ein Könner im Umgang mit Bambuspinsel, Tusche und Reispapier; die Schriftzeichen flossen mir geschmeidig aus der Hand entfalteten auf der weissen Fläche ein Eigenleben wie Zierfische im Teich.
Meister Kazuaki war zufrieden mit mir.
3. Angst und Schrecken
Eines sanften Spätsommernachmittags – es ging schon reichlich gegen Abend – suchte ein berühmter Gast das Dorf auf. Fremde waren selten in Miyamoto; meistens waren es Bettelmönche auf dem Weg zu einem Heiligtum oder fahrende Händler. Ein Samurai aber, einer dieser adligen, schwertkundigen und stolzen Krieger, hatte sich seit Menschengedenken nicht mehr in das kleine Dorf verirrt.
Es war folglich eine richtige Sensation, als an besagtem Nachmittag der beste Schwertkämpfer des Reiches, der Samurai Kihei, zwischen unseren Bambushütten auftauchte. Er befand sich wohl auf dem Weg zu irgendeinem Duell; Genaueres habe ich nie herausgefunden. Bei uns in Miyamoto schaltete er eine Rast ein. Auf dem Dorfplatz stieg er vom Pferd, gab dieses wie auch das mitgereiste, vielleicht fünfjährige, in einen leuchtend gelben Kimono gehüllte Mädchen in die Obhut seiner beiden bewaffneten Knechte und betrat stolz die einzige Gaststätte des Ortes.
Ich konnte das Geschehen von Anfang an mitverfolgen, denn zufällig war ich in der Schenke, um mit dem Wirt die Gestaltung einer neuen Beschriftung für sein Haus zu besprechen. Zu diesem Zeitpunkt stand ich kurz vor Beendung meines zweiten Lehrjahrs; mein Meister liess mir für die Ausführung einfacherer Aufträge bereits freie Hand.
In der Trinkstube hatte es nur wenige Gäste, als Kihei erschien, einfache Bauern zumeist, dann noch den Dorflehrer und den Kräutermischer. Sie verstummten beim Eintreten des Kämpfers augenblicklich, verneigten sich und verliessen einer nach dem andern still und demütig den Raum, denn es gehörte sich für Leute niederen Stands nicht, solch hohem Herrn Gesellschaft zu leisten. Kihei aber liess sich auf der Strohmatte nieder und orderte herrisch einen Reisschnaps, den ihm der Wirt katzbuckelnd kredenzte.
Ich selber hätte mich auch gerne verzogen, doch ich hielt mich beim Wirt im hinteren Gelass auf und wollte dem Samurai nicht vor die Augen treten. Bei solchen Herren wusste man nie, was einem an Ungemach widerfahren konnte. Respektvoll und widerwillig bewundernd linste ich durch eine Wandritze auf das Schwertpaar, dessen Griffe böse aus dem Obi des Adligen ragten.
Nun, aus einem Reisschnaps wurden zweie, dann drei und schliesslich vier.
Es steht nirgends geschrieben, dass ein Samurai der robustere Trinker sein muss als ein gewöhnlicher Bauer, und Kihei war es definitiv nicht. Beim dritten Schnaps begann er zu singen, beim vierten zu grölen, und nach dem fünften warf er unbeherrscht ein paar Münzen auf die Matte, erhob sich abrupt und trat hinaus an die Sonne, die sich langsam gegen den Horizont neigte, um ihm den Gutenachtkuss zu geben.
Draussen warteten Kiheis Begleiter und das kleine Mädchen. Statt sich aufs Ross zu setzen, davonzureiten und das Dorf von seiner unerwünschten Gegenwart zu befreien, pflanzte der trunkene Samurai nun aber sein gelbes Banner auf dem Dorfplatz auf, stellte sich breitbeinig hin und schrie mit rauer Stimme:
„He, ihr Dorftrottel, ist einer von euch so stark, dass er sich mit mir, dem berühmten Schwertkämpfer Kihei, zu messen wagt? Du dort vielleicht? Oder du? Oder etwa du?“
Er hatte das Katana, das längere seiner beiden Schwerter, gezogen und stiess damit in der Luft nach jenen, die er zum Kampf aufrief. Verständlicherweise bekundete jedoch keiner der Dorfbewohner Lust, Kiheis Einladung Folge zu leisten, zumal keiner von ihnen ein Schwert besass oder auch nur annähernd wusste, wie die Klinge zu führen war. Stattdessen verschanzten sie sich in ihren Häusern und verfolgten von dort aus ängstlich den weiteren Verlauf des Geschehens.
„Ihr Hasenfüsse, ihr Feiglinge!“, dröhnte Kihei. „Ihr seid stark wie die Büffel, die eure Pflüge ziehen, und wagt es nicht einmal, gegen einen verweichlichten Herrn, wie ich einer bin, anzutreten! Tölpel, Trottel seid ihr! Aber eigentlich habe ich ja wirklich bessere Gegner verdient, als ich hier finden kann. Jeden Schwertkämpfer habe ich bis heute besiegt, ausnahmslos, und jeden habe ich zu den Göttern geschickt. Ich, Kihei, kenne keine Gnade. Wo seid ihr, ihr elenden Bauerntrampel? Los, kommt schon, greift mich an, verhaut mich, meinetwegen zu dritt, wenn denn keiner von euch den Mumm aufbringt, alleine seinen Mann zu stellen! Was kann euch schon passieren? Ich trage ja nicht einmal eine Rüstung!“
In der Tat war Kihei nur mit Wams und Hakama bekleidet, trug also bloss Stoff am Leib musste jederzeit damit rechnen, von einem gut angebrachten Stock- oder Schwerthieb beträchtliche Verletzungen davonzutragen.
„Na wartet, ich werde euch schon noch zum Kampf zwingen, ihr Memmen“, schrie Kihei. „Wie wärs, wenn ich eines eurer Mädchen mit meinem Schwert ein wenig kitzelte? Würdet ihr dann endlich aus eurer Starre erwachen und mir entgegentreten, damit ich euch zeigen kann, wie ein Samurai kämpft?“
Nichts und niemand regte sich. Bis auf den nahezu blinden Alten, der tagein, tagaus vor dem Hause des Kräutermischers hockte und mit still lächelndem Gesicht darauf wartete, dass ihm jemand ein Almosen in die Bettelschale legte. Er gehörte zum Dorf wie die Spatzen, Hunde, Katzen und Kinder. Er sprach kaum je ein Wort; er sass einfach da, reglos und selig wie der grosse Buddha von Kamakura.
Doch jetzt, plötzlich, begann er laut zu lachen.
4. Ein Kampf, der keiner ist
Der Samurai erstarrte, als hätte ihm jemand eine Ohrfeige verpasst. Dann aber loderte seine Wut erst recht auf.
„Du lachst, Alter?“, schrie er. „Willst etwa du gegen mich antreten? Wohl kaum. Ich würde dich als würdigen Gegner auch nie akzeptieren. Aber warum lachst du? Natürlich, du lachst mich aus, du elender Greis. Eine solche Unverschämtheit ist mir noch nie widerfahren. Das wirst du mir büssen! Oder vielleicht stellt sich ja einer dieser mutigen Dorfbewohner vor dich hin und ist bereit, dich zu beschützen. So käme ich endlich zu meinem Kampf. Wir werden ja sehen.“
Beidhändig holte Kihei mit seinem Katana zu einem fürchterlichen Hieb aus, um den Alten zu köpfen. Dieser hatte aufgehört, laut zu lachen; stattdessen verklärte wieder das stilles Buddha-Lächeln seine faltigen Züge.
Kiheis Schwert schwebte über dem Kopf des Bettlers, das Gesicht des betrunkenen Kriegers war zu einer grässlichen Fratze verzerrt. Es hätte nur noch einen Augenblick gedauert, bis der alte Mann enthauptet niedergesunken wäre – wenn ich nicht, ohne mich lange zu besinnen, blitzschnell über das Geländer gesprungen wäre, das den leicht erhöhten Eingansbereich des Gasthauses umfasste. Ich packte einen an der Wand lehnenden Reisstampfer, hechtete zu Kihei, der mich verdutzt anglotzte, und zog den schweren Holzhammer mit beiden Händen entschlossen auf.
Zwar setzte mein Gegner reflexartig zu einer Parade an, doch