Und Friede auf Erden von Karl May. Karl May. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karl May
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742712233
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bei unserer Ankunft gefragt, was er nun

       vornehmen solle, und von mir den Bescheid erhalten, daß er die Pferde gut zu versorgen und sich erst am Abend wieder

       bei mir zu melden habe. Jetzt brauchte ich ihn ja nicht; heut Abend aber sollte er mich begleiten; ich wollte beim

       Mondschein einen längeren Spaziergang nach den Pyramiden unternehmen.

       Da standen sie vor mir, so nahe und doch so fern.

       Nur drei Minuten trennten mich von der mir nächsten, der großen, und doch waren es eigentlich nicht drei Minuten,

       sondern viertausend und neunhundert Jahre. Die Gestalten der Araber, welche ich deutlich an ihr auf- und niederklettern

       sah, so pygmäisch, so ameisenwinzig, sie gehörten diesen drei Minuten an. Was bleibt nach ihrem Tode von ihnen

       übrig?! Aber das Andenken derer, welche diese Quadern aufeinander türmten, es ist nach fast fünftausend Jahren noch

       nicht vergessen. Ihr Leben ist nicht spurlos an der Welt und an den Tafeln der Geschichte vorübergegangen. Und doch

       sind diese fünftausend Jahre im Verhältnis zu der Ewigkeit auch nichts Anderes als diese drei Minuten, und wenn die

       große Frage kommt, welche ein Jeder einst zu beantworten hat, wird Cheops wahrscheinlich um keinen Zoll größer sein

       als einer der Beduinen, welche die Perspektive mir jetzt so zwergenhaft erscheinen ließ.

       Indem ich zu ihnen hinaufschaute, glitt mein Auge auch über die Stelle des Weges, welche, wie schon bemerkt, die

       einzige war, die ich sehen konnte. Da kam Jemand sehr eilig herabgelaufen. Obgleich ich ihn nur einen Moment sehen

       konnte, erkannte ich doch Sejjid Omar in ihm. Er lief so schnell, daß sein langes Gewand hinter ihm her wehte. Es mußte

       etwas für ihn sehr Wichtiges sein, was ihn, der in allen seinen Bewegungen so gern die ihm eigene Würde zeigte, jetzt

       veranlaßte, es so außerordentlich eilig zu haben. Nur wenige Schritte nach links von mir ging die Sandhöhe, auf welcher

       ich mich befand, in das platte Dach eines zum Hotel gehörigen Nebengebäudes über. Von diesem aus konnte ich Omar

       aus dem tief eingeschnittenen Wege herauskommen sehen. Ich ging hin und schaute hinab. Auf dem Vorplatz saßen und

       standen viele Herren und Damen, welche diesen Aufenthalt den schwülen, dumpfen Zimmern vorgezogen hatten. Omar

       hemmte seine Schritte nicht, sondern rannte zwischen ihnen hindurch, ohne daran zu denken, daß ihm seine direkte

       Abstammung vom Propheten bei dieser Art von Schritten höchstwahrscheinlich nicht angesehen werden könne. Ich ging

       nach meinem Zimmer und hatte es kaum erreicht, so hörte ich ihn auch schon klopfen. Er wartete meine Antwort gar nicht

       ab, sondern trat ein, ließ die Tür ganz selbstverständlich offen stehen und sagte, indem er mit dem Atem rang:

       »Sihdi, es wird über sie Gericht gehalten. Du mußt sofort kommen und ihren Fakih (* Advokat, Verteidiger.) machen!«

       »Von wem redest du?« fragte ich.

       »Von den Chinesen. Sie sind gute Menschen und wohnen in demselben Hotel mit dir. Ich hoffe, daß dies genug

       Gründe für dich sind, ihnen beizustehen!«

       »Ich bin kein Fakih. Wer klagt sie an? Was haben sie getan?«

       »Sie haben den Amerikaner in Schutz genommen, dem es wahrscheinlich an das Leben gehen wird. Das geschieht

       ihm recht! Du hast es ja gesehen, wie er mein Gebet unterbrochen hat!«

       »Weshalb soll es ihm an das Leben gehen?«

       »Das erzähle ich dir unterwegs; komm nur schnell, sonst wird es vielleicht zu spät, dich der Chinesen anzunehmen!«

       Er faßte mich am Arm, um mich mit sich fortzuziehen. Ich wehrte ihn ab und sagte:

       »Beherrsche dich! Man kann durch zögerndes Ueberlegen weiter kommen als durch übermäßige Eile. Erzähle, wenn

       auch kurz, aber Alles, was geschehen ist.«

       Er versuchte, seinen fliegenden Atem zu beruhigen, und folgte meiner Aufforderung:

       »Als ich die Pferde in den Stall geschafft und ihnen Futter gegeben hatte, ging ich hinauf nach den Pyramiden. Ich

       wollte die fremden Mekkapilger sehen, vor denen ich mich nicht zu scheuen brauche, weil ich weder Christ noch Jude,

       sondern nicht nur Moslem, sondern sogar Sejjid Omar bin. Ihre Gewänder sind zwar während der weiten Reisen zerrissen

       und sehr, sehr schmutzig geworden, aber das hindert nicht, daß diese Beduinen vom Bahr bela Ma sehr fromme Männer

       sind, welche Mekka gesehen haben und viel von ihm erzählen können. Als ich kam, waren sie dabei, die große Pyramide

       zu besteigen. Da aber auf der Höhe derselben nur gegen dreißig Personen stehen können, mußte dies in Abteilungen

       geschehen. Es dauerte sehr lange, ehe die erste wieder herunterkam. Mit dieser ging ich nach der Sphinx hinunter, denn

       sie sollte auch bestiegen werden. Du weißt, daß man da am Granittempel vorüberkommt. Indem wir dies taten, hörte ich

       Stimmen in dem Treppengang desselben, achtete ihrer aber nicht. Hätte ich gewußt, wer es war, so wäre ich

       hineingegangen, um sie zu warnen.«

       »Wer war es denn?« unterbrach ich ihn.

       »Die beiden Chinesen, der Amerikaner und seine Tochter. Wir stiegen alle auf den Rücken des Sphinx, von wo aus

       einige der jungen Leute von el Kafr gegen ein Bakschisch auch noch auf den Kopf zu klettern pflegen, was so gefährlich

       ist, daß ich nicht versuchen möchte, es nachzumachen. Einer von ihnen führte dieses Kunststück aus, und der Schech der

       fremden Pilger behauptete, es ihm nachmachen zu können. Man glaubte es ihm nicht; es wurde hin und her gestritten und

       ihm schließlich eine Wette angeboten, auf welche er einging. Er zog seinen Mantel aus und nahm auch sein Hama#ïl vom

       Halse, weil es während des Kletterns leicht beschädigt werden konnte. Die Schnur, an welcher es hing, war zu eng, sie

       über den Kopf zu bringen. Er zog zu sehr; sie zerriß, und da er sie nicht festhielt, flog das Hama#ïl seitwärts auf den

       Boden nieder, wo sich der Fels nach unten rundet. Es glitt weiter und fiel in die Tiefe hinab.«

       »Das hat nichts zu sagen. Die Hama#ïls werden in Futteralen getragen, und unten gibt es lockeren Sand; das Buch

       wird also nicht beschädigt worden sein.«

       »Das ist richtig; aber höre, was gleich weiter geschah! Der Schech kümmerte sich jetzt nicht um sein Hama#ïl,

       welches er sich dann ja holen konnte; er dachte nur an seine Wette. Es war ausgemacht worden, daß noch einmal

       Jemand von el Kafr hinaufzuklettern habe, damit der Fremde sich die Stellen merken könne, wo die Finger und die Zehen

       einzusetzen sind. Diese Bedingung wurde auch erfüllt. Es gab also bis zum Austrag der Wette ein zweimaliges Hinaufund

       wieder Herunterklettern. Das dauerte natürlich lange, weil jede Bewegung äußerst vorsichtig unternommen werden

       mußte, und während dieser Zeit geschah unten Etwas, was wir nicht beachteten, weil unsere ganze Aufmerksamkeit nach

       oben gerichtet war.«

       »Ah, ich errate! Der Amerikaner und das Hama#ïl!«

       »Ja, so ist es, Sihdi! Die vier Personen hatten den Granittempel verlassen und waren dann auch nach der Sphinx

       gegangen, obgleich sie sahen, daß deren Körper von Beduinen geradezu wimmelte. Doch hatte dieser