„Natürlich nicht, meine Liebe“, lenkte meine Vater ein. „Dann zeigen Sie mal die widerspenstige Flasche her.“
Wir hörten, wie er sich mit dem Flaschenverschluss abmühte und schließlich konnten wir aus einem vernehmlichen Knirschen schließen, dass er erfolgreich war.
„Ah, ich sehe, Sie sind ein starker Mann!“
Meine Mutter zog missbilligend die Augenbrauen zusammen, wir grinsten amüsiert.
„Nun übertreiben Sie aber“, hörten wir meinen Vater charmant versichern.
„Ich hoffe, ich kann Ihnen demnächst auch mal einen kleinen Gefallen tun“, zwitscherte die Stimme.
„Also, wenn Ihnen mal das Salz ausgeht, dann kommen Sie doch einfach vorbei!“
„Das werde ich gerne tun, vielen Dank für das nette Angebot“, hörten wir meinen Vater rufen, während sich Schritte entfernten und eine Autotür geräuschvoll geschlossen wurde.
Neugierig sahen wir alle zum Fenster hinaus in den Hof und bekamen gerade noch die Staubfahne mit, die ein rotes Cabrio hinter sich herzog.
Mein Vater kam zurück in die Küche.
„So, so, dann hast du also unserer jungen Nachbarin das Leben gerettet. Ein nettes Mädchen!“
„Du kennst sie?”, fragte ich verwundert.
„Ja, sie stand neulich im Schlafanzug vorm Haus, als ihre Tante mich als Türöffner benutzt hat.“
Er grinste leicht bei dieser Erinnerung. Plötzlich wurde er ernst und sah mich an.
„Rasputin, entschuldige, dass ich vorhin so zynisch war. Aber du weißt, wie wichtig es ist, dass wir hier Fuß fassen und ich hatte befürchtet, dass wir die Zelte, die wir noch nicht mal aufgebaut haben, schon wieder abreißen müssen.“
Ich wollte zu einer Erwiderung ansetzen, aber er hob beschwichtigend seine Hand.
„Mein Junge, du hast alles richtig gemacht.“
Ich glaubte, nicht recht zu hören. Ein Lob aus dem Mund meines Vaters war ziemlich selten.
„Du warst mutig, hast einem Menschen das Leben gerettet und uns in keinster Weise verraten. Ich muss sagen, dass ich wirklich geradezu stolz auf dich bin.“
Meine Mutter stand auf und legte den Arm um mich. „Dein Vater hat Recht. Und es tut mir leid, dass ich dir im ersten Moment nicht vertraut habe. Das soll nicht wieder vorkommen.“
„Alter, mir tut es auch leid“, ließ sich mein Bruder vernehmen. Dies aus seinem Munde war eine größere Entschuldigung als ich hätte mir träumen lassen. Obwohl wir fast gleichaltrig waren – er war nur zwei Jahre jünger als ich – waren wir doch selten einer Meinung.
Nur meine Schwester, die sich, da sie einige Jahre älter war als wir, für das stellvertretende weibliche Oberhaupt der Familie hielt, stand auf, strich mit der ihr eigenen Geste die Haare aus dem Gesicht und zischte mir im Vorbeigehen zu: „Na, diesmal hast du ja Glück gehabt. Ich weiß, dass wir uns nicht immer auf dich verlassen können. Das hast ja in Edinburgh gründlich bewiesen.“
Meine Güte, wann würde sie es mir endlich verzeihen, dass wir damals wegen meiner Unvorsichtigkeit dort die Zelte abbrechen und sie ihren smarten schottischen Lover zurücklassen musste?
„So, meine Lieben“, ahmte meine Mutter unsere Nachbarin nach und es gelang ihr, täuschend echt deren Stimme zu imitieren. „Genug geredet, an die Arbeit.“
Der Eulenhof, den wir hier in Besitz genommen hatten, befand sich noch in einem völlig verwahrlosten Zustand. Der Begriff Ruine wäre eigentlich zutreffender gewesen. Fürs erste hatten wir nur wenige Räume in einen bewohnbaren Zustand versetzt, damit wir es einigermaßen behaglich hatten. Natürlich musste auch dies verborgen bleiben, wie hätten wir es erklären sollen, dass wir innerhalb von zwei Tagen fünf Zimmer renoviert hatten?
„Hier muss jetzt bis heute Abend lauter und vernehmlicher Baulärm erschallen“, ließ sich mein Vater vernehmen.
Seufzend verließen wir nacheinander die Küche. Vor der Tür saß Schwanz wedelnd Wolf.
„Alter, wir haben dich ausgesperrt“.
Mein Bruder beugte sich zu ihm hinab und tätschelte seinen Kopf. Wolf war eigentlich nicht der richtige Name für einen Hund, der so winzig war, dass er kaum ein Zwergkaninchen überragte. Ich war jedenfalls froh, dass seine Gestalt nicht seinem Namen entsprach. Das hätte auch nur Komplikationen bedeutet.
„Das hätte mir noch gefehlt, dass der auch noch seinen Kommentar zu mir abgegeben hätte“, sagte ich zu Ruben, stieg über Wolf hinweg und schlug den Weg in den hinteren Teil des Hauses ein.
Hier lagen einige große Räume, die sich in einem mehr als verrotteten Zustand befanden. Natürlich war es vollkommen unnötig, hier Muskelkraft aufzuwenden, aber irgendwie hatte ich Lust dazu, mich auszutoben.
Der infernalische Lärm und das heftige Vibrieren in meinen Händen taten mir gut und lenkten mich von meinen Gedanken ab. Ich hatte schon eine ganze Weile mit dem Presslufthammer gearbeitet und ein gutes Stück der Wand abgerissen, als sich ein warmes Gefühl über meinen Nacken ausbreitete.
Ich erstarrte.
Die Fee war da.
Ich wagte nicht, mich umzudrehen. Ihr Blick glitt über meinen Kopf, meinen Nacken, meinen Rücken, landete schließlich auf meinen Stiefeln und kehrte wieder um. Es war, als würde sie mich streicheln, wie eine zarte Berührung, die mich elektrisierte und ein wohliges warmes Gefühl zurückließ. Ich wollte, dass es nicht aufhörte; also arbeitete ich weiter, als würde ich sie nicht bemerken. Einige Augenblicke vergingen, bis sich plötzlich ihr Blick von mir löste.
Ich schaltete rasch den Presslufthammer aus und setzte die Ohrenschützer ab. Draußen war ein leises Kläffen zu hören, das abrupt verstummte.
Mein Freund, der Wolf, hatte sich hier wohl eingemischt. Wenn er doch nur mal seine Schnauze aus Angelegenheiten lassen könnte, die ihn nichts angingen! Hoffentlich hatte sie keine Angst vor Hunden. Vor diesem Hund hatte allerdings kein Mensch Angst, auch wenn es durchaus angebracht gewesen wäre.
Ich drehte mich zum Fenster um und wollte so tun, als wäre ich überrascht, sie hier zu sehen. Aber es war nichts zu sehen. Sie stand nicht vor dem Fenster. Sie war verschwunden. Ich ging näher heran und schaute den Weg hinauf und hinab, der hinter dem Haus entlang führte. Auch hier konnte ich sie nicht ausmachen. Seltsam. Vielleicht hatte ich mich doch getäuscht. Aber ich war so sicher gewesen, dass die Fee mich mit ihrem Blick gestreichelt hatte.
Verärgert rief ich nach Wolf und griff erneut nach dem Presslufthammer.
Kapitel 11: Aaron
Mein Vater beendete schließlich meine lautstarke Meditation. Er tippte mir auf die Schulter. Erschrocken fuhr ich herum und stellte das Getöse ab.
„Rasputin, tu mir einen Gefallen und pass ein bisschen auf den Kleinen auf. Ich muss noch mal weg und irgendwie scheint niemand anders Zeit zu haben.“
Der Kleine war mein kleinster Bruder. Aaron war vier und hielt zuweilen die ganze Familie auf Trab. Wenn es ging, vermied ich es, sein Babysitter zu sein, obwohl ich den Kleinen wirklich gern hatte. Er stand neben meinem Vater und sah zu mir auf. „Hey“, sagte ich. „Will dich heute niemand haben?“
Er nickte mit großem Ernst. „Das ist echt blöd für dich“, sagte ich ebenso ernst zu ihm.
Er nickte wieder. Aaron war kein Mann der großen Worte.
„Okay, du kannst bei mir bleiben, aber mach keinen Quatsch!“ Er nickte wieder.
„Dann ist ja alles klar“, unterbrach uns mein Vater. „Ich bin etwa in drei Stunden