Alles steht in Flammen. Sabrina Heilmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sabrina Heilmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750238374
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gegangen, würde er vom Schlimmsten ausgehen. Nämlich davon, dass ich ihn betrog. Und das würde furchtbare Konsequenzen mit sich bringen. Doch selbst wenn er mir die Wahrheit glaubte, wäre ich nicht besser dran. Schon die Tatsache, dass ich mit einem anderen Mann eingesperrt war, würde das Fass zum Überlaufen bringen, schließlich hatte ich keine logische Erklärung für Liams Anwesenheit.

      Liam blickte zu mir, als ich unsicher am Saum meines Shirts herumzupfte und mir daraufhin die dünnen Arme rieb.

      »Frierst du?«, fragte er besorgt und ich schüttelte den Kopf. Er wusste sofort, dass ich log, und rutschte unbemerkt näher zu mir. »Ist sonst alles in Ordnung?«

      »Ich bin kein Fan enger Räume«, flüsterte ich. Als Liam sich wieder näher in meine Richtung bewegte, kitzelte sein Parfüm meine Nase und ich schluckte schwer. Je näher er mir kam, desto schneller schlug mein Herz und desto mehr zitterte mein gesamter Körper. Mit sechzehn Jahren hätte ich von dieser Situation geträumt. Doch die Realität hatte mit meiner Vorstellung wenig gemein. Ich meisterte die Situation weder cool, noch geschickt. Nein, ich war einfach nur ein unsicheres, kleines Mädchen,.

      »Komm jetzt her, du zitterst wie Espenlaub«, durchbrach Liam die kurze Stille und legte einen Arm um mich. Vorsichtig zog er mich an seine Brust und legte schützend den zweiten Arm um mich. Mit gleichmäßigen Bewegungen rieb er meine Arme, um mich zu wärmen, doch das Zittern wurde mit jeder Berührung nur verstärkt. Als er aus Versehen den Bluterguss berührte, stöhnte ich wieder leise auf. Ich biss mir auf die Lippe und löste mich leicht von ihm.

      »Was hast du an deinem Arm?«

      »Ich habe mich gestoßen. Halb so schlimm«, log ich.

      »Das hattest du Freitag auch schon, oder?«

      »Hmm, da ist es passiert.« Das war nicht einmal gelogen.

      »Komm wieder her, ich passe jetzt auf«, flüsterte Liam und zog mich zurück. Ich schloss die Augen, als mein Kopf den Platz an seiner Brust erneut fand, und atmete seinen betörenden Duft tief ein. Vorsichtiger als zuvor streichelte er über meine Arme und strich mir eine Haarsträhne über die Schulter. »Ist es so besser?«

      »Danke, Liam.«

      »Nicht dafür.«

      »Du hast etwas gut bei mir«, murmelte ich erschöpft und gähnte leise. Ich war plötzlich schrecklich müde, doch eine Frage brannte mir noch auf dem Herzen. »Warum bist du wirklich hergekommen, Liam?«

      Er seufzte leise.

      »Ich habe mir Sorgen um dich gemacht, weil du Freitag so schnell verschwunden warst. Ich dachte, ich sei irgendwie schuld.«

      »Ich hatte Angst«, gestand ich. »Ich habe auch jetzt noch Angst.«

      »Wovor, Nele?«

      »Vor meinem sechzehnjährigen Ich ...« Ich gähnte wieder leise und wollte in die Zwischenwelt abdriften, die mir die Müdigkeit eröffnete. »… und vor dem Blick, mit dem du mich angesehen hast.«

      »Lass uns versuchen zu schlafen«, sagte Liam und legte sich der Länge nach hin. Er zog mich in seinen Arm und ich kuschelte mich dankbar an ihn. Liam löschte das Handy-Licht und atmete tief durch. Gedankenverloren strich er mir immer wieder über den Arm und den Rücken und gab sich selbst nach einiger Zeit dem weichen Gefühl der Müdigkeit hin.

      ***

      Benommen kam ich zu mir und richtete mich langsam auf. Jeder einzelne Knochen in meinem Körper schmerzte, als ich mich bewegte. Auch Liam drehte sich und richtete sich ebenfalls leise gähnend auf.

      »Um Gottes willen, mein Rücken«, jammerte er und fischte nach seinem Handy, das irgendwo neben ihm liegen musste. Als er es fand, kniff er die Augen zusammen, weil ihn das Licht blendete. »Es ist kurz vor neun.« Er öffnete die Taschenlampen-App wieder und legte das Handy zwischen uns. »Wie hast du geschlafen?«

      »Besser, als erwartet. Aber mir tut alles weh.«

      »Willkommen im Club. Ich glaube, du musst wirklich etwas bei mir gut machen.«

      »Das werde ich, versprochen.« Ich streckte den Zeige- und Mittelfinger für einen Schwur in die Luft, wobei meine Strickjacke über mein Handgelenk rutschte und den Blick auf mein Tattoo preisgab. Als ich es bemerkte und schnell wieder verstecken wollte, hatte Liam meine Hand bereits gegriffen und blickte auf die Abbildung seiner Gitarre vor dem Band-Logo. Fasziniert und gleichzeitig verwundert sah Liam auf und fing meinen unsicheren Blick ein.

      »Du hast dir meine Gitarre stechen lassen?«, fragte er leise und hielt mein Handgelenk mit größter Vorsicht, als wäre es sehr zerbrechlich. »Du …«

      Jemand drehte den Schlüssel im Schloss und grelles Licht blendete uns. Ich zog schnell die Hand weg und verdeckte das Tattoo wieder unter meiner Strickjacke.

      »Nele?«, sagte Ginger erschrocken und blickte auf mich und meine Gesellschaft hinab. »Was macht ihr hier?«

      Als ich aufstand, hob ich die Türklinke auf und hielt sie Ginger entgegen.

      »Das Schicksal war gestern nicht unbedingt auf meiner Seite.« Nachdem ich Ginger die Klinke in die Hand gegeben hatte, strich ich meine Sachen glatt und fuhr mir durch die Haare. Auch Liam war aufgestanden, hatte sein Handy in die Hosentasche gesteckt und stellte sich anschließend hinter mich.

      »Das kann auch nur dir passieren.« Ginger hielt sich eine Hand vor dem Mund, um nicht laut loszulachen. Sie liebte es, sich über mich lustig zu machen.

      »Ich finde es kein bisschen lustig«, seufzte ich und verdrehte die Augen.

      »Wenigstens hattest du Gesellschaft. Dann ist dir immerhin nicht langweilig geworden«, konterte Ginger und zwinkerte mir zu. »Los, geht schon nach Hause und schlaft euch richtig aus. Wir sehen uns dann morgen, Nele.«

      »Aber …«, wollte ich widersprechen.

      »Ich komm heute allein klar. Mach schon, dass du wegkommst.«

      »Danke.«

      Etwas zerknirscht verließen wir die Bibliothek, nachdem ich mein Handy geholt hatte. Liam hatte den Kopf gesenkt und blieb unsicher vor mir stehen. Als Ginger den Raum aufgeschlossen hatte, hatte sie den besonderen Moment zwischen mir und Liam zerstört. Es hatte sich angefühlt, als hätten wir durch das Tattoo eine stumme Verbindung. Eine Verbindung, die zerbrach, als wir nicht mehr allein waren. Inzwischen hatte ich meine Schutzmauer wieder aufgebaut und konnte ihn kaum ansehen.

      »Ich muss jetzt nach Hause«, sagte ich und suchte unsicher seinen Blick.

      »Ja.«

      »Danke noch mal, dass du mir geholfen hast.« Liam winkte nur ab. »Na gut«, sagte ich und wandte mich zum Gehen. »Mach´s gut, Liam.«

      Liams Hand schnellte vor und hielt mich wieder einmal auf.

      »Das war´s jetzt? Einfach so? Du gehst? Gib mir wenigstens deine Handynummer.«

      Ich sah ihn fragend an und schüttelte seine Hand von meinem Handgelenk.

      »Das ist keine gute Idee«, flüsterte ich.

      »Warum nicht? Ich will dich wiedersehen, Nele.«

      »Genau das ist der Fehler.« Heiße Tränen brannten in meinen Augen. »Es ist besser, wenn wir getrennte Wege gehen. Ich werde London ohnehin bald verlassen. Wir ersparen uns viele Probleme.« In Wirklichkeit ersparte nur ich mir diese Probleme.

      Als das gesagt war, drehte ich mich um und eilte mit schnellen Schritten davon. Ich wusste, dass ich mein Leben mit dieser Aussage komplett in Devons Hände gelegt hatte und die eigene Kontrolle gänzlich abgab. Auch wenn mir die Zeit mit Liam guttat, weil er mir einen Moment Geborgenheit schenkte, so wusste ich, dass ich ihn niemals wiedersehen durfte. Liam würde alles nur noch schlimmer machen, als es sowieso schon war … Und ich konnte nicht riskieren, dass das geschah.

      6. Zwischen Angst und Liebe