Alles steht in Flammen. Sabrina Heilmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sabrina Heilmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750238374
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lächelnd ab. »Staatsgeheimnis.« Ich schnappte mir den leeren Bücherwagen und schob ihn an seinen Platz zurück. Mit schnellen Schritten folgte Liam mir. Routiniert nahm ich den zweiten Wagen und schob ihn in eine völlig andere Richtung.

      »Wenn du möchtest, dass ich gehe, sag bitte einfach Bescheid. Es ist nur … ich …« Ich blickte ihn skeptisch an, als er sich unsicher durch die Haare fuhr. »Ich sollte gehen. Ich hätte überhaupt nicht herkommen dürfen. Entschuldige«, sagte er auf einmal und drehte sich um. Mein Magen zog sich schmerzhaft zusammen, als Liam sich immer weiter von mir entfernte. Sollte ich diese Chance wieder einfach so verstreichen lassen? Aus irgendeinem Grund wollte ich nicht, dass er einfach so verschwand, auch wenn ich in seiner Nähe so unglaublich unsicher war. Er musste den Eindruck haben, dass ich überhaupt nichts mit ihm zu tun haben wollte. Dabei war genau das Gegenteil der Fall. Seit Jahren dachte ich immer wieder an LiveLoud, auch wenn ich ihre Musik nur noch selten hörte. Ständig spukte Liam durch meinen Kopf und ständig hatte ich Phasen, in denen sich mein Geist den vielen wirren Gedanken hingab, die ich vor fünf Jahren hatte. Ich wollte ihn schon immer kennenlernen und hatte mir damals vorgestellt, wie es sein musste, wenn wir so etwas wie Freunde wäre oder gar mehr. Und jetzt bekam ich diese einmalige Chance und benahm mich völlig bescheuert. Ich atmete noch einmal tief durch und tat dann etwas, das ich vermutlich bereuen würde. Zumindest, wenn Devon davon erfuhr. Aber ich durfte mir diese Gelegenheit nicht entgehen lassen, nur weil ich Angst vor der Reaktion meines Freundes hatte. Zum ersten Mal seit Monaten dachte ich nur an mich und an das, was mir guttun würde.

      »Liam?«, rief ich ihn zurück und er blieb abrupt stehen. »Könntest du mir vielleicht mit den Büchern helfen. Falls … na ja, falls ich nicht an das Regal komme.«

      »Natürlich«, antworte er und atmete erleichtert aus.

      »Nele!«, rief Ginger plötzlich und kam auf mich zu. Sie nickte Liam freundlich zu. »Hör mal, ich muss nach Hause. Meine Tochter hat gerade angerufen. Sie hat irgendetwas Verrücktes in der Schule angestellt und wurde nach Hause geschickt. Hier ist der Schlüssel für die beiden Außentüren. Bevor du gehst, musst du bitte im Sicherungsraum, die Hauptsicherung ausschalten.«

      »In Ordnung«, sagte ich und nahm den Schlüssel entgegen.

      »Du bist meine Rettung. Ich nehme morgen früh meinen Ersatzschlüssel. Bring diesen einfach zu deiner Schicht mit.« Ich nickte, woraufhin Ginger sich eilig davonmachte.

      »Wie lange musst du arbeiten?«, wollte Liam wissen, nachdem ich den Bücherwagen wieder in Bewegung gesetzt hatte und das nächste Regal ansteuerte.

      »Die Bibliothek schließt Mitternacht. Studenten kommen oft noch so spät und suchen nach irgendwelchen Büchern, die sie in der großen Unibibliothek wohl nicht finden. Deswegen haben wir die Öffnungszeiten angepasst.«

      »Das heißt, du bist bis Mitternacht allein hier? Macht dein Freund sich keine Sorgen?« Liam legte die Stirn in Falten.

      »Nein. Er ist der Ansicht, dass mir zwischen Strebern und Bücherwürmern schon nichts passieren kann.«

      »Mir wäre bei dem Gedanken unwohl. Schließlich kann hier jeder munter reinmarschieren und mit dir anstellen, was er will.«

      Ich seufzte. In Wirklichkeit war die Bibliothek der einzig sichere Ort für mich. Das wahre Monster lauerte nicht hinter den Regalen und Bücherreihen, sondern in meinem Zuhause. Ich fürchtete mich vor nichts so sehr, als vor Devon, wenn er wütend wurde. Mit allem anderen wurde ich fertig, nur damit nicht.

      »Stört es dich, wenn ich bei dir bleibe, bis du Feierabend hast? Nenn mich übervorsichtig, aber …«

      »… nein, tut es nicht, aber du musst dir wirklich keine Gedanken machen. Mein größter Feind ist die Langeweile und dagegen gibt es schließlich genug Bücher.« Ich lächelte Liam fröhlich an, der mir dennoch voller Sorge nicht von der Seite wich.

      Die Zeit verging wie im Flug. Auch wenn Liam und ich kaum ein Wort wechselten, tat mir die Gesellschaft gut. Zusammen sortierten wir Bücher ein, räumten die Arbeitsplätze auf oder suchten mit einem Studenten nach einem ganz bestimmten Buch. Ich zauberte eine Flasche Vanilla-Coke und ein paar Kekse aus der kleinen Küche hervor und behob damit das kleine Stimmungstief, das sich nach einiger Zeit einstellte.

      Kurz vor Mitternacht brachen Liam und ich zur Kontrollrunde auf, um mögliche Besucher nach Hause zu schicken. Als wir niemanden fanden, schloss ich die Haupteingangstür ab und ging danach zum Hinterausgang.

      »Jetzt müssen wir nur noch die Hauptsicherung ausschalten«, sagte ich und gähnte leise. »Normalerweise müsste ich nur zwei Schalter betätigen, aber irgendetwas stimmt mit der Elektrik nicht. Ginger ist immer besonders vorsichtig.«

      Liam nickte, gähnte ebenfalls leise und streckte die Arme in die Luft, wobei sein Shirt leicht nach oben rutschte und ich einen Blick auf seine Bauchmuskeln erhaschte. Mit geröteten Wangen sah ich zur Seite.

      »Wie machst du das nur? Ich bin fertiger als nach einem Konzert. Diese ständige Stille und diese stickige Luft sind kaum auszuhalten«, sagte Liam.

      »Ich denke, man gewöhnt sich daran.« Ich öffnete die Tür des Sicherungsraums und Liam folgte mir. Durch den mechanischen Schließmechanismus fiel die Tür ins Schloss. »Danke, dass du mit mir hiergeblieben bist«, flüsterte ich und sah zu Liam, der sich lässig an die Wand gelehnt hatte. Er lächelte mich an und schüttelte den Kopf.

      »Ich würde es jederzeit wieder tun. Schließlich ist es …« Er suchte nach den richtigen Worten. »… ziemlich unsicher hier. Dir könnte alles Mögliche passieren. Ganz allein.«

      »Natürlich.« Lächelnd sah ich zum Sicherungskasten. »Es wird gleich dunkel, hast du dein Handy hier? Meins liegt noch am Computer.«

      »Moment.« Liam angelte sein Handy aus der Hosentasche und schaltete die Taschenlampen-App ein. Ich betätigte die Sicherung und es wurde sofort stockdunkel in dem winzigen, fensterlosen Raum.

      »So, das haben wir.« Beherzt griff ich nach der Türklinke und wollte sie nach unten drücken, als diese plötzlich nachgab und sich von der Tür löste. »Nein, das ist jetzt nicht wahr.« Mit großen Augen sah ich von der Klinke in meiner Hand zu Liam, der die Lippen fest aufeinander kniff.

      »Gib mal her.« Er nahm mir die Klinke ab und versuchte, sie wieder an die Tür zu stecken, doch nichts funktionierte. Die Sicherheitstür blieb verschlossen. »Es funktioniert nicht.« Liam warf die Klinke zu Boden und setzte sich dann selbst auf den dünnen Teppich. Er lehnte sich mit dem Rücken an die Wand, streckte seine Beine aus und legte das leuchtende Handy auf sie, damit es etwas Licht spendete. Dann klopfte er auf den Fußboden neben sich und deutete mir an, mich ebenfalls zu setzen.

      »Los, komm schon her. Wir kommen hier allein nicht raus.«

      Seufzend ging ich zu ihm und nahm mit genügend Abstand neben Liam Platz. Ich traute mich nicht, ihm zu nahe zu kommen, weil ich schlicht und ergreifend Angst hatte. Angst vor Nähe, ja sogar Angst davor, dass wir uns doch besser verstehen könnten, als geplant.

      »Du kennst nicht zufällig die Nummer deiner Chefin?«, erkundigte sich Liam.

      »Nein.« Ich ließ den Kopf hängen und rieb mir das Gesicht. »So etwas Dummes kann auch nur mir passieren.«

      »Kennst du irgendeine andere Nummer, die wir anrufen könnten?«

      »Nein, ich kann mir keine Nummern merken. Und wenn wir die Feuerwehr rufen, wird das auch nur teuer. Verdammt.«

      »Dann müssen wir die Sache wohl einfach aussitzen. Immerhin bist du nicht allein.« Liam zwinkerte mir zu, doch ich fühlte mich einfach nur hilflos.

      »Ginger kommt morgen früh erst um neun Uhr«, murmelte ich.

      Nicht nur, dass ich es hasste, in engen Räumen eingesperrt zu sein, nein, ich war nun auch noch in der Nähe des einzigen Menschen, der eine Nervosität bei mir auslöste, der ich nicht gewachsen war.

      »Devon wird ausflippen.« Ich ließ den Kopf zurück an die Wand fallen und starrte auf die Tür. Ich konnte nur erahnen, was er mit mir machen würde,