2 Kognitionstheoretische Grundlagen
Dieses Kapitel zeigt auf, wie sich die Idee, dass der Körper eine Ressource für sprachliches Lernen und noch allgemeiner für unser Denken und unsere kognitive Sprachverarbeitung darstellt, kognitionstheoretischkognitionstheoretisch fundieren lässt.
Sprache und Körper
1 Vertiefen Sie eins der obigen Beispiele und überlegen Sie, was Ihnen aus Ihrer eigenen Erfahrung dazu einfällt.
2 Bilden Sie Kleingruppen (4–5 Personen). Wählen Sie eine oder mehrere der folgenden Fragen und kommen Sie diesbezüglich miteinander ins Gespräch über Ihre persönlichen Erfahrungen: Können Sie eigene Beispiele finden, wie Sie etwas besser behalten, wenn Sie beim Memorieren auf die eine oder andere Weise Ihren Körper ins Spiel bringen? Oder kennen Sie es selbst, dass Ihnen mehr einfällt, wenn Sie gehen oder laufen, statt zu sitzen; und wenn ja, in welchen Situationen nutzen Sie das? Oder können Sie Beispiele geben, welche Gesten Sie häufig selbst benutzen und was sie bedeuten?
3 Haben Sie den Begriff Embodiment schon einmal gehört? Versteckt ist darin body, englisch für ‚Körper‘. Was könnte Embodiment auf Deutsch heißen? Versuchen Sie sich an einer Übersetzung und überlegen Sie, welche Assoziationen der Begriff bei Ihnen weckt: Was könnte sich dahinter für eine Theorie ‚verbergen‘?
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Die Aktivierungsbeispiele in den Sprechblasen geben einen ersten Eindruck, inwiefern Sprachgebrauch bzw. sprachliches Handeln nicht nur Kognition – einen Geist – erfordert, sondern auch einen Körper (vgl. Zepter 2013). Wenn wir unsere Sprachfähigkeit als ein geistiges/kognitives Vermögen erachten, dann deuten die Beispiele an, dass der menschliche Geist nicht ohne Körper funktionieren kann.
Eine kognitionstheoretische Grundlage für diese Idee bieten Embodiment-TheorienEmbodiment-Theorien. In den letzten beiden Jahrzehnten erfahren sie in unterschiedlichen humanwissenschaftlichen Disziplinen, insbesondere in der Psychologie und in den Neurowissenschaften, zunehmend Beachtung (vgl. u.a. Gallagher 2005; Tschacher 2006; Tschacher & Bergomi 2011; Tschacher, Ramseyer & Koole 2018).
Im Folgenden erläutern wir zunächst, was unter Embodiment zu verstehen ist und welche Bedeutung Embodiment-Theorien dem Körper für die menschliche Kognition grundsätzlich beimessen (Kap. 2.1). Wir geben verschiedene Beispiele, die illustrieren, wie eng Kognition und Körper verbunden sind und wie sie sich wechselseitig beeinflussen können.
Anschließend gehen wir noch einmal genauer auf die Verknüpfung von Sprache und Körper ein und stellen auch dazu mehrere Beispiele aus der Theorie der Embodied Cognition vor (Kap. 2.2). Embodied CognitionEmbodied Cognition erklärt, wie sich Begriffe und unsere sprachlichen Repräsentationen der Begriffe (= unser Wortschatz) auf der Basis unserer körperlichen Erfahrungen und Interaktionen mit der Umwelt entwickeln und wie somit selbst das kognitive (semantische, pragmatische) Verstehen von mündlichen Äußerungen (beim Zuhören) und von schriftlichen Texten (beim Lesen) eine körperliche Basis erfordert. Abschließend zeigen wir an einigen Beispielen auf, wie Reaktionszeitexperimente belegen, dass wir im Prozess der Sprachverarbeitung – beim Verstehen von Texteinheiten, Sätzen und Wörtern – direkt auf körperliche Erfahrungen zurückgreifen bzw. die gleichen kognitiven Bereiche wie bei motorischer Tätigkeit und/oder Sinneswahrnehmung involviert sind (Kap. 2.3).
2.1 Einblicke in Embodiment-Theorien
Der Begriff Embodiment stammt ursprünglich aus den KognitionswissenschaftenKognitionswissenschaften, wird aber inzwischen in weiteren humanwissenschaftlichen Disziplinen verwendet. Ins Deutsche lässt er sich nur schwer übersetzen, am ehesten vielleicht mit ‚Verkörperung’, obgleich dies bedeutungsbezogen nicht wirklich treffend ist. Wir favorisieren die Rede von ‚KörperverankerungKörperverankerung’ oder ‚KörpereinbettungKörpereinbettung’.
Basis und allen Embodiment-Ansätzen gemein ist die Annahme, dass bei einer In-Bezug-Setzung von PsychischemPsychisches (= GeistGeist, Seele) und PhysischemPhysisches (= Körper) nicht nur Geist und GehirnGehirn eng zusammenhängen (vgl. Tschacher 2006). Stattdessen geht man davon aus, dass sich inneres Erleben aus einem komplexen Zusammenspiel heraus gestaltet – zwischen Geist, Gehirn und Körper bzw. zwischen Denken (Kognition),Denken (Kognition) Wahrnehmen (Sinne),Wahrnehmen (Sinne) Fühlen (Emotionen)Fühlen (Emotionen) und Bewegen (Motorik)Bewegen (Motorik) (siehe Abb. 2.2).
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Abb. 2.2:
EmbodimentEmbodiment
Geist wird hier als eine psychische Größe mit Kognition gleichgesetzt und Kognition als die Gesamtheit aller Prozesse und Strukturen des Geistes aufgefasst. Kognitive Prozesse umgreifen u.a. alle Formen des Denkens wie etwa Schlussfolgern, Urteilen, Planen, Entscheiden, Problemlösen, Erinnern, Vorstellen etc. Beispiele für kognitive Strukturen sind Wissen, Begriffe, Gedächtnis. Auch unsere Sprachfähigkeit kann als ein geistiges/kognitives Vermögen erachtet werden.
Das menschliche Gehirn ist (im Gegensatz zum Geist) physisch und der im Kopf des Körpers gelegene Teil des zentralen Nervensystems; das zentrale Nervensystem umfasst Gehirn und Rückenmark und ist der zentrale Ort, wo alle Informationen des Körpers über neuronale Netzwerke verarbeitet werden.
In den Wissenschaften besteht heute Konsens darüber, dass das menschliche Gehirn dafür verantwortlich ist, nicht nur die körperlichen Informationen zu verarbeiten, sondern auch alle geistigen/kognitiven Prozesse und Strukturen zu regulieren. Uneinigkeit herrscht aber nach wie vor darüber, in welchem Zusammenhang Physisches (inklusive des Gehirns) und Psychisches genau stehen. Embodiment-Theorien geben dafür eine mögliche Beschreibung.
In Embodiment-Theorien spricht man im Sinne eines ganzheitlichen Verständnisses des menschlichen Organismus davon, dass Geist und Körper eine funktionelle Einheit bilden. Damit ist gemeint: Menschliche Kognition benötigt, um sich im Zuge des menschlichen Daseins entwickeln und intelligent arbeiten zu können, über das Gehirn hinaus eine Umwelt, in die das Gehirn eingebettet ist und die den Menschen mit Erfahrungen versorgt.
Ausschlaggebend ist die These, dass der Körper selbst bereits ein Teil der unverzichtbaren Umwelt ist. Über die Sinne wirken nicht einfach Umweltreize auf einen Organismus ein und veranlassen ihn zu bestimmten Denkprozessen und einem Verhalten bzw. zu einer motorischen Reaktion. Kognition findet vielmehr in ständiger Wechselwirkung statt – einerseits mit dem Zustand der äußeren Umwelt, andererseits mit dem Zustand der inneren Umwelt, also mit dem Zustand des Körpers. Dabei spielen für den Ablauf der kognitiven Prozesse, für das, was wir denken, u.a. der Körperausdruck, die Körperhaltung, die Körperspannung und die Emotionen eine wesentliche Rolle. Sowohl die weitere Umwelt als auch der Körper können als Kontrollparameter auf die kognitiven Musterbildungen Einfluss nehmen (vgl. Tschacher 2006: 15, 31; Lakoff & Johnson 1999: 16ff.). Somit konstituiert der Körper also zugleich sowohl ein Medium für Umwelterfahrung als auch selbst eine Erfahrungsquelle.
Wir geben im Folgenden einige Beispiele, um den komplexen wechselseitigen Einfluss von Kognition und allen körperlich-sinnlichen Dimensionen zu illustrieren. Das erste Beispiel betrifft den Zusammenhang von Bewegung, Emotionen und Denken