Kultur- und Literaturwissenschaften. Группа авторов. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Группа авторов
Издательство: Bookwire
Серия: Kompendium DaF/DaZ
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783823301196
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Deutsch nach Englisch oder Interkomprehensionsdidaktik zeigen sich die Vorboten einer neuen Generation der Fremdsprachendidaktik, deren Grundlagen jedoch noch zu erarbeiten sind, wenn sie nicht bei kontrastiven Vergleichen verharren will.

      Zur kognitiven Ausrichtung

      Um zu verstehen, wie die Sprache überhaupt in den Köpfen der Lerner entsteht und sich weiter verändert – und darum geht es in dieser Buchreihe – sind Erkenntnisse aus verschiedenen Nachbardisziplinen der Sprachlehrforschung erforderlich. Die Neurolinguistik kann zum Beispiel darüber Aufschluss geben, welche Gehirnareale wahrend der Sprachverarbeitung aktiviert werden und inwiefern sich die Gehirnaktivität von L1-Sprechern und L2-Sprechern voneinander unterscheidet. Durch die Nutzung bildgebender Verfahren lässt sich die sprachrelevante neuronale Aktivität sichtbar und damit auch greifbarer machen. Was können wir aber daraus für die Praxis lernen? Sollen Lehrer ab jetzt die Gehirnaktivität der Lerner im Klassenraum regelmäßig überprüfen und auf dieser Basis die Unterrichtsinteraktion und die Lernprogression optimieren? Dabei wird schnell klar, dass eine ganze Sprachdidaktik sich nicht allein auf der Basis solcher Erkenntnisse formulieren lässt. Dennoch können die Daten über die neuronale Aktivität bei sprachrelevanten Prozessen unter anderem die Modelle der Sprachverarbeitung und des mehrsprachigen mentalen Lexikons besser begründen, die sonst nur auf der Basis von behavioralen Daten überprüft werden. Ähnlich wie die Neurolinguistik stellt die kognitive Linguistik eine Referenzdisziplin dar, deren Erkenntnisse zwar für die Unterrichtspraxis sehr relevant und wertvoll sind, sich aber unter anderem aufgrund des introspektiven Charakters ihrer Methoden nicht direkt übertragen lassen. Die kognitive Linguistik erklärt nämlich die Sprache und den Spracherwerb so, dass sie mit den Erkenntnissen aus anderen kognitiv ausgerichteten Disziplinen vereinbar sind. So dienen kognitive Prinzipien wie die Metaphorisierung oder die Prototypeneffekte der Beschreibung bestimmter Sprachphänomene. Der Spracherwerb wird seinerseits durch allgemeine Lernmechanismen wie die Analogiebildung oder die Schematisierung erklärt. Die kognitive Linguistik, die Psycholinguistik, die Neurolinguistik, die kognitiv ausgerichteten Kulturwissenschaften sind also Bezugsdisziplinen, die als Grundlage einer kognitiv ausgerichteten Sprachdidaktik fungieren. Sie sollen in den Bänden dieser Reihe soweit zum Tragen kommen, wie das nur möglich ist. Bei jedem Band stehen daher die Prozesse in den Köpfen der Lerner im Mittelpunkt der Betrachtung.

      1 Kulturkonzepte und Kulturmodelle

      Die Kulturwissenschaften (cultural studies) mit ihren zahlreichen turns, darunter dem iconic turn (Hinwendung zu den Bildwissenschaften) und dem spatial turn (Entstehung der Kulturgeographie) weisen seit den 1990er Jahren starke interdisziplinäre Bezüge auf, von bis dahin disparaten und auch separierten Forschungsfeldern und -methoden. Die symbolische Dimension von Kultur und die Dynamik und Prozesshaftigkeit von Kulturen rücken seither in vielen geistes- und sozialwissenschaftlichen Ansätzen immer mehr in den Vordergrund. Es geht daher auch im Sprachunterricht nicht mehr um faktenbasierte Landes- oder Kulturkunde. Es geht auch nicht um die Identifikation von vorentwickelten Deutungen und Mustern, von denen sowieso kaum eine Lehrkraft weiß, wie sie sie – bei so viel „wichtigerem“ Stoff – noch in den Unterricht einbringen sollte. Vielmehr enthalten sozialkonstruktivistische Kulturmodelle viel Potenzial für eine sinnvoll integrierbare und integrierte Behandlung von Sprachen und Kulturen im Unterricht. Entscheidendes Element darin ist die aktive Berücksichtigung des Betrachters (also auch der Schülerin und des Schülers) bei der Konstruktion von Bedeutung. Bedeutung (und auch Deutung) sind nicht vorgegeben, sie entstehen in den Köpfen der Betrachterinnen und Betrachter. Mit deren Wissensstand ändert sich demnach auch das Bedeutungsspektrum. Aus diesem Grunde kann man sagen, dass auch Kulturwissenschaften kognitive Wissenschaften sind und sich von daher ganz natürliche Beziehungen zu den kognitiven Sprachwissenschaften, und in der Folge auch zu einer kognitiven Sprachendidaktik ergeben. Die wichtigsten Aspekte einer dermaßen neu gedachten sprachendidaktischen Kulturwissenschaft, für die die Begrifflichkeiten der traditionellen Landeskunde gar nicht ausreichen, sollen in diesem Band präsentiert werden. Dabei geht es um die Skizzierung der wichtigsten theoretischen Grundlagen, vor allem aber auch um die Darstellung der wichtigsten Elemente einer angewandten kognitiven Kulturwissenschaft für die Sprach- und Kulturvermittlung. In der Lerneinheit 1.1 werden grundlegende Überlegungen zum Verhältnis von Sprache und Kultur in sprachphilosophischer und linguistischer Perspektive angestellt, während die folgenden Lerneinheiten die herkömmlichen Landeskundeansätze kritisch im Sinne einer lingual kulturellen Lesart von Kultur als einer semiotischen Konstellation von (Hyper-)Texten betrachten. Die Lerneinheit 1.2 widmet sich der Frage nach der Überwindung von der stereotypen und zumeist deterministischen Darstellung von Kulturen und der erforderlichen Vielfalt an Perspektiven in der Fremdsprachenvermittlung und liefert eine kritische Bestandsaufnahme von gängigen Ansätzen der Landeskunde- und Kulturvermittlung.

      Auch Lerneinheit 1.3 setzt sich kritisch mit dieser Thematik auseinander und arbeitet die problematischen Aspekte explizit interkultureller Verfahren, inklusive der oft zitierten und kopierten interkulturellen Hermeneutik, heraus. Sie zeigt darüber hinaus am Paradigma der interkulturellen Sprachdidaktik, wie das interkulturell hermeneutische Modell beim Verstehen und Unterrichten fremder Kulturen nutzbar gemacht werden kann.

      1.1 Kultur, Sprache und Kognition

      Jörg Roche, unter Mitarbeit von Elisabeth Venohr

      In den modernen Fremdsprachendidaktiken, und das gilt gleichermaßen auch für das Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache im In- und Ausland, stellt die Vermittlung von sprachlichem Handlungswissen eines der zentralen Lernziele dar. Diese Handlungsorientierung geht einher mit dem Erwerb von sprachgebundenen Mitteln, die zur Erschließung und Strukturierung von Welt benötigt werden. Bei diesen hier diskutierten Ansätzen spielt das jeweilige zugrunde gelegte Kulturverständnis eine entscheidende Rolle, da die kulturgeprägte Wahrnehmung und somit die Kognition nicht unabhängig von Sprache erfolgt, sondern durch diese perspektiviert wird.

      Die Diskussion über den Kulturbegriff im Fach Deutsch als Fremdsprache stellt nicht immer oder in einem noch nicht ausreichenden Maße die Sprachgebundenheit von Kultur in den Vordergrund. Diese ist jedoch der Ausgangpunkt für das Verständnis von Sprache und den daraus abzuleitenden Prinzipien einer bedeutungsorientierten Sprach- und Kulturvermittlung.

      Daher werden Sie in dieser Lerneinheit zunächst mit einigen sprachphilosophischen und linguistischen Denkansätzen und deren Weiterentwicklungen bekannt gemacht, um daraus Konsequenzen für die integrierte Sprach- und Kulturvermittlung in Ihrem eigenen handlungs- und bedeutungsorientierten Landeskundeunterricht ziehen zu können.

       Lernziele

      In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie

       zwischen sprachphilosophischen und linguistischen Ansätzen unterscheiden können;

       Kulturbegriffe den entsprechenden Kulturtheorien zuordnen können;

       kritisch Stellung zu rein deterministischen Ansätzen nehmen können;

       die Wahrnehmung und Konzeptualisierung durch Sprache begreifen;

       Sprache als konstitutives Element von Kultur in die Landeskundevermittlung integrieren;

       Kultur in Texten erkennen, aber auch Kultur selbst als Text verstehen können;

       aus der theoretischen Diskussion erste didaktische Schlüsse für Ihren eigenen sprachbezogenen Landeskundeunterricht ziehen können.

      1.1.1 Das Konzept Weltsicht von Humboldt und seine Vorläufer

      Das Verhältnis von Kultur und Sprache ist bekanntlich Gegenstand langer sprachphilosophischer Überlegungen, vor allem wenn es um die Frage geht, wie sich ein Text von einer älteren Zeitperiode in eine jüngere oder von einer Sprache in eine andere adäquat übersetzen lässt. Die Übersetzungen der mehrsprachigen Urfassungen der Bibel, deren Altes und Neues Testament in unterschiedlichen Varietäten des Aramäischen, Hebräischen und Griechischen abgefasst wurden, gelten dabei als Katalysator von theologischen,