Fach- und sprachintegrierter Unterricht an der Universität. Michael Schart. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Schart
Издательство: Bookwire
Серия: Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783823301844
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der aufgabenbasierte Unterricht auf bekannte und bewährte Vorgehensweisen setzt, wäre es ein Missverständnis, ihn als eine neue Methode des Fremdsprachenunterrichts zu begreifen. Dass die Lernenden beispielsweise angeregt werden, Informationen aus komplexen Zusammenhängen zu extrahieren, in andere Textformen umzuformen oder sie neu zu anzuordnen, gehört zum traditionellen Inventar von fremdsprachendidaktischen Aufgabenstellungen. Das Neue oder Innovative der Aufgabenbasierung ergibt sich daher nicht aus den Unterrichtstechniken, sondern aus den Prinzipien, nach denen diese arrangiert werden. Diese lassen sich in wenigen Punkten zusammenfassen (vgl. Long 2016:7, Ellis 2018:175, Nunan 2009:35, Samuda/Bygate 2008:69; Samuda 2015; Willis/Willis 2007:34):

      1 Die Triebkraft des Unterrichts bilden Aufgabenstellungen, also offen gestaltete Impulse, die zu einem kreativen, selbstständigen und zielgerichteten Gebrauch der Fremdsprache anregen.

      2 Das Unterrichtsgeschehen wird von Lückenaktivitäten (gap activities) geprägt. Das sich aus der Heterogenität von Meinungen, Ideen, Argumentationen oder Lösungsansätzen ergebende Potenzial für den Austausch und das Lernen wird planvoll genutzt.

      3 Der Unterricht zielt auf die Verknüpfung von Sprachgebrauch und Sprachlernen. Die „intuitiven Heuristiken“ (Kumaravadivelu 1994:32) der Lernenden werden aktiviert. Systematische Sprachbetrachtungen erfolgen immer eingebunden in einen inhaltlichen Kontext und sind nachgeordnet (focus on form).

      4 Die individuellen Lernwege der Lernenden werden respektiert und gefördert. Sie erhalten vielfältige Möglichkeiten, ihre sprachlichen und nicht-sprachlichen Kompetenzen einzubringen und weiterzuentwickeln.

      5 Zugleich wird das Potenzial kooperativen Lernens intensiv genutzt. Es werden permanent Räume geschaffen, in denen die Lernanlässe von den Lernenden selbst ausgehen und sich Aushandlungsprozesse unter den Beteiligten vollziehen können.

      6 Die Materialien zeichnen sich durch reichhaltigen, elaborierten und anspruchsvollen sprachlichen Input aus.

      Wie man auf der Grundlage solcher Prinzipien zu einem Kurskonzept gelangt, möchte ich im folgenden Abschnitt thematisieren.

      2.5.3 Kursgestaltung

      Diesen sechs Prinzipien aufgabenbasierten Unterrichtens kann man sicherlich entgegenhalten, sie blieben im Ungefähren und seien somit kaum dazu geeignet, Lehrenden eine Hilfestellung für ihre Planungsprozesse zu bieten. Tatsächlich wäre es ja auch nicht das erste ambitionierte akademische Projekt, das erheblich an Strahlkraft verliert, sobald es sich im Unterrichtsalltag bewähren muss. Der für den aufgabenbasierten Ansatz so zentrale Leitgedanke der Selbstbestimmtheit beispielsweise findet sich auch schon in den frühen Entwürfen einer kommunikativen Didaktik (z.B. Piepho 1974). Dass er dazu beitragen konnte, die Spielräume für die Lernenden beträchtlich zu erweitern, lässt sich jedoch – wie weiter oben diskutiert – nur bedingt behaupten.

      Das Prinzip der Lücke

      Bei genauerer Betrachtung der Prinzipien wird jedoch erkennbar, dass der aufgabenbasierte Ansatz der Gefahr einer beliebigen Auslegung vorbaut, indem auch die konkrete Ausgestaltung unterrichtlicher Aktivitäten einbezogen wird. So spiegelt sich etwa die Maxime der Förderung von Selbstbestimmtheit und individuellen Lernwegen unmittelbar in der Art der Aufgabenstellungen wider. Wie am zweiten Prinzip der Liste deutlich wird, gehören vor allem sogenannte gap-activities zum unabdingbaren Inventar aufgabenbasierten Unterrichts (Ellis 2018:159; Johnson 1982; Willis 2004).

      Die Aufgabengestaltung orientiert sich am Lernpotenzial von Heterogenität, sie nutzt die Spannung, die das Zusammentreffen von Unterschieden erzeugen kann. Mit Hilfe von Lückenaktivitäten lassen sich Situationen arrangieren, in denen die Lernenden ihre eigenen Ideen, Meinungen oder Lösungen einbringen können und sich zugleich mit anderen abstimmen müssen, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Zum einen wird die bereits vorhandene Vielfalt der Lerngruppe genutzt, etwa wenn die Aufgaben dazu anregen, persönliche Meinungen oder Erfahrungen mit den anderen zu teilen. Zum anderen können die Aufgaben aber auch so gestaltet sein, dass sie Differenzen und Diskrepanzen selbst erst generieren, beispielsweise indem sich die Lernenden zunächst voneinander abweichende Informationen erarbeiten, diese vergleichen, diskutieren oder in einer Synthese zusammenzuführen.

      Lückenaufgaben erhöhen die Chance, dass das Geschehen im Klassenraum tatsächlich von Situationen charakterisiert wird, in denen die Lernenden selbstbestimmt ihre sprachlichen und nicht-sprachlichen Ressourcen einbringen und erweitern können. Aus der etwas diffusen Idee der Selbstbestimmtheit wird dadurch ein greifbares Element der Unterrichtsgestaltung.

      Solche Aktivitäten können natürlich in sehr unterschiedliche Konzepte von Fremdsprachenunterricht integriert werden. Das entscheidende Merkmal aufgabenbasierter Settings besteht deshalb darin, dass sie den Motor der Lehr- und Lernprozesse bilden. Im hier untersuchten Kursangebot äußert sich das Prinzip der Lücke beispielsweise in der wichtigen Rolle, die der sogenannten Think-Pair-Share-Technik (Lyman 1981) zukommt. Durch die Lernmaterialien mit Texten und Aufgaben bzw. Impulsen wird zunächst eine Lücke innerhalb der Lerngruppe erzeugt, oft in Form eines Informationsgefälles oder der Begegnung mit einem kognitiven Konflikt (vgl. Gillies 2014). Es folgt ein methodischer Dreischritt, der von der individuellen Auseinandersetzung mit der Problematik über den Austausch in Kleingruppen zur Präsentation und Diskussion im Plenum führt.

      Auch wenn sich die Think-Pair-Share-Technik in besonderer Weise anbietet, um das Prinzip der Lücke in einen kohärenten unterrichtlichen Ablauf einzubinden, so lässt sich doch der aufgabenbasierte Ansatz nicht auf eine bestimmte Abfolge methodischer Schritte reduzieren. Über die oben genannten Prinzipen hinaus beschränkt er sich darauf, Hilfestellungen in Form von Aufgabentypologien bereitzustellen. Diese Typologien verdeutlichen die große Bandbreite an Gestaltungsvarianten. Sie schärfen das Bewusstsein für die verschiedenen Aspekte, die bei der Entscheidung für eine bestimmte Aktivität relevant sind. Sollen sich beispielsweise die Lücken in den gap activities auf Informationen beziehen, auf Meinungen oder auf Argumentationen (Nunan 1987:46ff)? Und welche kognitiven Fähigkeiten werden von einer Aufgabe angesprochen? Geht es eher darum, Informationen nur zu ordnen und aufzulisten, oder können und sollten größere Anforderungen an die Lernenden gestellt werden, etwa indem sie Vergleiche anstellen, Synthesen bilden oder eigenständig Problemlösungen entwickeln (Willis 1996). Die Typologien nutzen auch gerne Dichotomien, um das Spektrum an Einsatzmöglichkeiten aufzuzeigen: So können Aufgaben eher Input-fokussiert angelegt sein oder Output-fokussiert, schriftliche oder mündliche Aktivitäten auslösen, auf konvergente oder divergente Ergebnisse zielen, offen oder geschlossen gestaltet sein, einseitig – etwa im Sinne einer Präsentation – oder zweiseitig, wenn ein Austausch angestrebt wird.

      Lehrenden wird somit eine sehr breite und flexibel handhabbare Palette von gestalterischen Optionen geboten, auf deren Grundlage sich ein abwechslungsreiches Unterrichtsgeschehen arrangieren lässt. Aber die Abwechslung allein, so wichtig und motivierend sie für erfolgreiche Lernprozesse auch sein mag, verleiht einem Kursangebot noch keine Stringenz. An dieser Stelle tritt das Kernproblem des aufgabenbasierten Unterrichts zutage (vgl. Nunan 2009:30): Wenn man bewusst auf das Gerüst verzichtet, das grammatische Progressionen bereitstellen, und wenn zugleich die empirische Aufgabenforschung kaum hilfreiche Erkenntnisse für eine systematische Unterrichtsplanung hervorbringt (siehe Kap. 2.5.1), welches Kriterium bleibt Lehrenden und Programmgestaltern dann, um das vielfältige Angebot an Aufgaben zu einem pädagogisch sinnvollen Verlauf anzuordnen?

      Die Antwort ist offenkundig und sie kam in der bisherigen Argumentation bereits mehrfach zur Sprache: Soll ein „Schrotflinten-Syllabus“ (van Lier 1996:205), also eine mehr oder weniger beliebige Aneinanderreihung von Impulsen vermieden werden, dann bedarf die Planung aufgabenbasierten Unterrichts eines inhaltlichen Rahmens. Auch sehr kreative und anregende Aufgabenstellungen können zu frustrierenden Aktivitäten führen, wenn sie sich nicht zugleich auf Gegenstände beziehen, die von den Lernenden als interessant, herausfordernd oder motivierend empfunden werden. Fitzsimmons-Doolan et al. (2017:22) weisen daher meines Erachtens zurecht darauf hin, dass Lückenaktivitäten ohne überzeugende thematische Einbettung leicht als gekünstelte oder konstruierte Unternehmung wahrgenommen werden. Wie zutreffend diese Kritik ist, lässt sich am Beispiel der