Bevor es zu einer Übergabe des Bogens und Entscheidung für oder gegen die Abfahrt nach Troia bzw. in Philoktets Heimat kommen kann, betritt Odysseus ohne Vorankündigung die Bühne. Zum ersten Mal treten so die drei wesentlichen Akteure der Handlung in direkte Auseinandersetzung. Philoktet wird sich rasch bewusst, dass letztlich Odysseus für seine momentane Lage verantwortlich ist (v. 978f.), und droht schließlich, sich der Situation durch einen Sprung vom Felsen zu entziehen (v. 999f.). Odysseusʼ Gehilfen packen den Protagonisten daraufhin und verhindern so die Selbsttötung. Philoktet, nunmehr festgehalten von Statisten, greift in einem zweiten Monolog (v. 1004–1044) Odysseus scharf an: Dieser habe Neoptolemos, den Philoktet unbekannten Knaben (παῖδα ἀγνῶτʼ ἐμοί v. 1008), geradezu als Schutzwehr (πρόβλημα) benutzt, um sein Vorhaben umzusetzen. Ein entschiedenes ὄλοιο (v. 1019) bringt Philoktets Verachtung und Entrüstung gegenüber Odysseus wirkungsvoll zur Sprache. Selbst die erfolgte Festsetzung und Überführung seiner selbst nach Troia, so Philoktet, werde für die Griechen keinen Vorteil bringen: In seinem Zustand – lahm und stinkend (χωλός, δυσώδης v. 1032) – stelle er bei der Eroberung Troias eher ein Hindernis als eine Unterstützung dar. Die Ursache seiner Aussetzung auf Lemnos, d.h. seine Krankheit und die daraus erwachsenen Probleme, seien schließlich noch immer virulent. Philoktet schließt mit einer Anrufung der Götter seiner Heimat (v. 1040ff.): Diese sollten die für sein Leid Verantwortlichen allesamt (ξύμπαντας) bestrafen; denn selbst unter diesen widrigen Lebensbedingungen (ζῶ οἰκτρῶς v. 1043) könne Philoktet die Gewissheit um die Bestrafung seiner Widersacher geradezu als Befreiung von seiner Krankheit empfinden.
Wieder ist es der Chor, der nach dem Monolog des Protagonisten eine kurze Einschätzung gibt, diesmal in Form einer direkten Anrede an Odysseus (v. 1045f.): Philoktet habe eine heftige Rede gehalten, die kein Anzeichen eines Nachgebens erkennen lasse. Der Angesprochene bekundet, er wolle nun nicht viele Worte machen. Zwar wünsche er, Odysseus, in der Regel, den Sieg aus einer Situation davonzutragen, Philoktet aber lasse er freiwillig zurück. Denn, so die Einschätzung, mit dem Besitz des Bogens bestehe keine Notwendigkeit, Philoktet selbst nach Troia zu bringen. Er gibt schließlich den Befehl, Philoktet loszulassen, und fordert Neoptolemos auf, nun mit ihm selbst zum Schiff zu gehen. Nacheinander wendet sich Philoktet daraufhin in je einem Doppelvers an Odysseus (v. 1063f.), Neoptolemos (v. 1066f.) und den Chor (v. 1069), verfehlt allerdings sein Ziel, die übrigen Akteure durch seine erschüttert-ungläubigen Fragen zum Bleiben zu bewegen. Der Chorführer macht sein weiteres Vorgehen von Neoptolemosʼ Vorgaben abhängig. Dieser gibt daraufhin in den Versen 1074ff. eine – zumindest für den Moment – klare Handlungsanweisung: Er fordert den Chor auf, bei Philoktet zu bleiben, während er selbst mit Odysseus zu den Göttern beten wolle. Vielleicht, so seine Hoffnung, werde Philoktet noch zu einem anderen, der eigenen Sache günstigeren Entschluss kommen. Sobald er jedenfalls das Signal zum Aufbruch geben werde, sollten sich auch die Schiffsleute rasch aufmachen. Nach diesen Worten verlassen Neoptolemos und Odysseus das Geschehen, zurück bleiben Philoktet und der Chor.
Machen wir uns an diesem Punkt die Bühnensituation erneut klar: Mit Neoptolemosʼ Eingeständnis in den Versen 895ff. hat die bisher virulente Doppelbödigkeit der Handlung ein Ende gefunden. Schrittweise erfährt nun auch der Protagonist die eigentlichen Hintergründe der Geschehnisse, wobei der überraschende Auftritt des Odysseus in Vers 974 die Klimax der Szenerie darstellt: Zum ersten Mal stehen sich nun die beiden Antipoden der Handlung konkret gegenüber. Die seit dem Prolog bereits antizipierbare Konfrontation des ‚Strippenziehers‘ Odysseus mit dem Hauptleidtragenden seiner Intrige bringt damit den Kern der Personenkonstellation auf die Bühne; Neoptolemos und der Chor folgen dementsprechend dem Streitgespräch der beiden Akteure lange Zeit wortlos, einzig die kurze Einschätzung des Chorführers v. 1045 unterbricht diese Zurückhaltung. Erst die Antwort auf Philoktets direkte Ansprache und die darauf von Neoptolemos gegebenen Handlungsanweisungen (v. 1072ff.) bilden die erste Einschaltung der durch die Bühnenpräsenz des Odysseus und die Intensität des wortreichen Konflikts geradezu ins Abseits geratenen weiteren Charaktere.
Mit Odysseusʼ Auftritt im entscheidenden, geradezu aporetischen Moment (vgl. Neoptolemosʼ hilflose Frage „Was sollen wir tun, Männer?“ und Odysseusʼ entsetzte Auftrittsworte „Was tust du da?“ v. 974) erfährt also die festgefahrene Szenerie eine ungeahnte und überraschende Dynamisierung und personelle Verschiebung. Während bis zu diesem Punkt die im „Schlaflied“ bereits antizipierte Problematisierung des Neoptolemos und seines Verhaltens dramatisch umgesetzt wurde, weitet und vertieft sich durch Odysseusʼ Auftreten die Dimension des Geschehens. Die Feindschaft zwischen ihm und Philoktet wird dabei drastisch inszeniert: Das hochemotionale Rededuell der beiden, die Ankündigung des Selbstmords, die anschließende Fesselung des Protagonisten sowie seine Freilassung bringen einige Aktion auf die Bühne. Neoptolemos steht dabei geradezu zwischen den Fronten und kann erst am vorläufigen Ende des Streits als Herr der Schiffsleute aktiv in das Geschehen eingreifen bzw. dessen weiteren Fortgang ordnen.
Für Philoktet scheint an diesem Punkt der Handlung alles verloren, seine Lage hat sich durch Odysseusʼ Eingreifen und den Abgang der Akteure in Vers 1081 noch einmal akut zugespitzt. Der sich anschließende Kommos überbietet in dieser Hinsicht die bereits emotionalen Monologe in den Versen 927–962 sowie 1004–1044 und leuchtet so die erreichte Situation expressiv aus.
Der eigentliche Wechselgesang besteht augenscheinlich aus zwei Teilen, die sich hinsichtlich ihrer Metrik, der Dialogstruktur und der jeweiligen Bühnenwirkung unterscheiden:1 Auf die beiden Strophenpaare in den Versen 1081–1168 folgt eine Epode2 von beträchtlichem Ausmaß (v. 1169–1217). Die Verse 1218–1221 bilden im Anschluss daran als Auftrittsankündigung für Odysseus und Neoptolemos den konkreten Übergang zur folgenden Szene. Die Sprecherverteilung in den Strophen ist dabei von ausgesuchter Regelmäßigkeit: Auf eine längere Partie des Protagonisten (im ersten Strophenpaar jeweils 14 Verse, im zweiten je 17) antwortet der Chor mit einer kürzeren Einschätzung und Bewertung (je zweimal 6 Verse in jedem Strophenpaar), sodass der Redeanteil Philoktets deutlich überwiegt (62 Verse gegenüber 24 Versen des Chors). Die Epode setzt gegen diese durchsichtige Struktur einen virulenten Akzent: Der rasche Sprecherwechsel, das Nebeneinander von kurzen und längeren Äußerungen und das gegenseitige Ins-Wort-Fallen der Gesprächspartner (v.a. in den Versen 1182f.) lassen den Eindruck einer lebhaften und hochemotionalen Kommunikation entstehen, die sich schon rein formal vom eher statischen Austausch in den beiden Strophenpaaren abhebt.3
Blicken wir nach dieser ersten formalen Einschätzung zunächst auf die im Kommos behandelten Themen und Motive, um den inhaltlichen Aufbau der Partie zu erfassen. Philoktet gibt nach dem Abgang von Odysseus und Neoptolemos seiner Erschütterung und dem Gefühl der Ausweglosigkeit in einem direkten Anruf seiner Höhle Ausdruck: Diesen Ort werde er nun nicht mehr verlassen, ja sogar an ihm sterben (v. 1084f.). Nach einer Klageinterjektion (ὤμοι μοί μοι) folgen zwei schmerzerfüllte Fragen Philoktets: Warum (τίπτʼ v. 1089) werde die mit Leid angefüllte unselige Behausung ihm nun zur täglichen Umgebung (τὸ κατʼ ἦμαρ), und woher solle er jetzt noch – d.h. nach Verlust des Bogens – die Hoffnung auf Nahrung schöpfen? Der Blick zu den am Himmel entlangziehenden Vögeln ist dementsprechend resignierend: Philoktet kann sie nicht mehr einfangen.4
Der Protagonist scheint in dieser ersten Äußerung an einem wirklichen Austausch mit den Schiffsleuten nicht interessiert: Der Fokus seiner Einschätzung liegt ganz auf den Umständen seines eigenen Daseins, wobei vor allem die Höhle und das Problem der Nahrungsbeschaffung im Vordergrund stehen. Eine direkte Ansprache der Choreuten findet nicht statt, die Anwesenheit derselben spielt für Philoktet an dieser Stelle (noch) keine Rolle.
Dennoch melden sich die Choreuten im Folgenden zu Wort (v. 1095–1100) und versuchen, die von Philoktet aufgeworfenen Fragen zu beantworten: Er selbst sei für seine Situation verantwortlich. Nicht das Schicksal (ἁ τύχα) sei hier geradezu „von außen“ (ἄλλοθεν) am Werk, sondern er allein, der die Möglichkeit gehabt hätte, die günstigere Alternative zu wählen, habe sich entschlossen, dem Übleren (τὸ κάκιον) zuzustimmen. Diese alleinige