Wie könnte man diesen Teufelskreis durchbrechen? Arnaud Vander Velpen und viele andere Experten empfehlen seit Jahren, effizienter zu bauen. Nämlich, indem möglichst wenig neu gebaut wird. Und möglichst viel mit gebrauchten Materialien. Werden Häuser abgerissen, wird der Schutt normalerweise im Fundament von Straßen entsorgt. Dabei könnte man Teile des Materials problemlos klein hacken und wieder zu neuem Beton vermischen. In der Schweiz machen Baufirmen das häufig, weil die teure Lkw-Maut den Transport von Schutt über weite Strecken unrentabel macht. In den Niederlanden ist dessen Entsorgung mit Hilfe des Straßenbaus sogar schon verboten. Außerdem kann man den Sand durch andere gebrauchte Stoffe ersetzen, etwa zermahlene Glasflaschen, die ebenfalls aus Sand bestehen. Würde man das steuerlich begünstigen, lohnte es sich für jeden Bauherrn. »Man kann diesen Stoff praktisch grenzenlos wiederverwerten«, sagte mir Arnaud. Das sei eines der Dinge, die ihm Hoffnung machten.
Das Recycling ist aber nur für Industrieländer realistisch. In Regionen, die noch stark wachsen, gibt es nicht genug alte Gebäude, die man wiederverwerten kann. Dort lautet die Forderung der UNEP, den Sandabbau zu regulieren. Dann könne man Mengen festlegen, die man aus einzelnen Gewässern entnehmen kann, ohne dass das Ökosystem dauerhaft kaputt geht. Dirk Hebel, Professor für nachhaltiges Bauen in Karlsruhe, sagte mir, er plädiere außerdem für eine »Renaissance der lokalen, traditionellen Bauweisen«, die zwar oft als rückständig gälten, aber nachhaltig seien und das lokale Handwerk stärkten. In Europa sei zum Beispiel Holz zumeist ein nachhaltiger Baustoff. In anderen Regionen der Welt vielleicht Bambus oder Lehm. »Globale Rezepte helfen hier nicht.«
Die kapverdische Regierung hatte angesichts wegbröselnder Küstendörfer lange Zeit immer strengere Gesetze gegen den Raubbau erlassen. Wer heute auf São Vicente oder Sal am weißen Strand liegt und sich wundert, warum gelegentlich bewaffnete Soldaten vorbeilaufen: Sie beschützen nicht die Badegäste, sondern den Sand. Die Maßnahmen haben dazu geführt, dass die Sanddiebe zumindest nicht mehr mit Baggern und Kipplastern kommen, wie in den ersten Jahren. Dafür klettern die Frauen jetzt manchmal nachts mit leeren Eimern ins Wasser.
Mittlerweile war es Mittag, die Hitze brachte das Flussbett zum Flimmern. In der Windstille standen die Staubwolken minutenlang in der Luft. Während sich Celestino ins Auto zurückzog, hatten meine Kollegen und ich uns aus T-Shirts Turbane gewickelt. Dita und ich hackten und siebten inzwischen zu lauter Musik. Oben an der Straße parkte ein alter schwarzer Pick-up, der mit Spanngurten mannshohe Lautsprecher auf die Ladefläche gezurrt hatte. Reggaeton – eine hauptsächlich aus Hip-Hop- und Reggae-Einflüssen entstandene Musikrichtung – schallte quer durch den Canyon. Vier junge Männer hockten daneben im Schatten, rauchten und schienen zufrieden mit dem Soundcheck. »Heute Abend ist Party«, sagte Dita. Einer der Männer winkte – ihr ältester Sohn. Zum Helfen kam niemand.
Dafür kam um kurz nach vier der Käufer. Wir hatten inzwischen drei hüfthohe Haufen aufgeschüttet. Ein kleiner Kipplaster rumpelte langsam das Flussbett hinauf, ein Toyota Dyna 280. Das Modell, hatte ich gelesen, ist beliebt bei Sandhehlern: wendig, geländegängig und für den Notfall gut motorisiert. Ein Mann Anfang zwanzig mit goldenen Ohrsteckern und Basecap stieg grußlos aus. Celestino erklärte ihm, was die drei Ausländer hier wollten, womit der Hehler kein Problem zu haben schien. Er hatte eine Zugwaage dabei, mit der man sonst Koffer wiegt, und hängte einen vollen Eimer Sand daran: fünfundzwanzig Kilo. Er nickte. Eimer für Eimer hievten Dita und ich jetzt den Sand auf die Ladefläche.
Für eine volle Ladung zahlte der Hehler den Dieben etwa siebzig Euro. Der Ertrag unseres Arbeitstags zu dritt füllte die halbe Ladefläche. Fünfunddreißig Euro für acht Stunden Plackerei. Dita nahm die Scheine entgegen, dann rumpelte der Kipplaster im Rückwärtsgang in Richtung Straße davon. Feierabend. Dita verabschiedete sich mit einem stummen Händedruck von uns und ging in Richtung Dorf. Sie wolle einkaufen für die Familie. Heute Abend gebe es Reis mit Fisch.
Am Nachmittag unserer Abreise hatten wir zum ersten Mal etwas Freizeit. Also beschlossen Kameramann Andi und ich, wenigstens einmal kurz Baden zu gehen. Wir wohnten ungewohnt luxuriös, in einer kleinen Villa über dem Meer, mit spektakulärem Blick über den Atlantik. Unterhalb lag eine kleine Bucht. Natürlich war auch hier längst jeder Sand verschwunden; die Brandung rollte Tag und Nacht schwarze glitschige Felsen hin und her. Wir liefen in Badehosen eine Treppe runter zum Wasser. Und so kam es, dass ich den Rückflug mit einem auf original kapverdischem Vulkanstein verknacksten Knöchel antrat.
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