Windhauch und Wein. Georg Schwikart. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Georg Schwikart
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Религия: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783429065386
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muss, was er zu sich nehmen kann und was nicht (Laktose?, Gluten?, Alkohol?), wird ausgebremst. Was aber dann noch möglich ist, soll erfreuen.

      Als ich auf dem Kirchentag dem Pfadfinder zwei Rosinenschnecken schenkte, rief er mir ein begeistertes „Geil!“ zu. Ein Dank an mich und an den Schöpfer, der Menschen Rosinenschnecken erfinden ließ. „Wie kann man sich am Essen oder Trinken freuen ohne sein Zutun?“, fragt Kohelet, eher rhetorisch, denn die meisten werden wohl ohne einen Gedanken an ihn kauen und schlucken und schmecken. Ich möchte die Dankbarkeit als Lebensmotto umsetzen. Nichts ist selbstverständlich.

      Eine Freundin machte eine Radwanderung um den Baikalsee. Zwischendurch menschenleere Abschnitte. Die Lust auf etwas Leckeres stieg ins Unermessliche. Dann bröselte sie Butterkekse in eine Tasse und vermengte sie mit „Milchmädchen“, einer gezuckerten Kondensmilchpaste. „Das war der Himmel“, schwärmte sie. Auch ein Gebet. Ich kann es nachschmecken.

       Einfach mal „Ich weiß es nicht“ sagen

      Mosaiksteinchen aus meinen Begegnungen als Pfarrer:

      Der Siebzigjährige hat eine Affäre. Nun hat ihm die Freundin den Laufpass gegeben. Den Mann quält auf seine alten Tage Liebeskummer.

      Der Seniorin ist vor Jahren der erwachsene Sohn gestorben. Das hat sie Gott nie verziehen. Zum Gottesdienst kommt sie seither nicht mehr.

      Ein Brautpaar sitzt in meinem Wohnzimmer auf dem Sofa. Ich frage die Braut etwas, sie antwortet. Ich frage beide etwas, sie antwortet. Ich frage ihn etwas … sie antwortet.

      Die Frau in meinem Alter findet sich im Gleichnis vom Barmherzigen Vater wieder: Ihr Bruder sei der verlorene Sohn, der das Geld verprasst hat und dennoch alle Liebe der Eltern genießt. Sie sei für Mutter und Vater immer da gewesen, habe sich stets gekümmert. Ihr hält man vor, sie sei ja nie da. Ich rate ihr, die Eltern konkret darauf anzusprechen. Sie wehrt ab: „Dann streiten die ja nur.“ Ich entgegne: „Streit ist ein Zeichen von Nähe.“ Sie lacht zustimmend. Aber bitter.

      Ein Mann klagt mir, seine Frau werde dement. Ein paar Tage später bittet seine Frau um einen Termin bei mir, denn sie sucht Rat: „Mein Mann wird dement.“

      Ein Herr bittet um ein Gespräch. Dabei fragt er mich: „Glauben Sie an Gott?“ Ich bejahe lächelnd. Darauf seufzt er mit Tränen in den Augen: „Dann kann ich auch glauben.“

      Wer wollte diese skizzierten Personen und Konflikte beurteilen? Ich auf jeden Fall nicht. Das Panoptikum des menschlichen Umgangs mit dem Phänomen Leben ist bunt und schillernd. Sieht Gott das auch so gelassen? Oder bewertet er?

      Gott schenkt demjenigen, der ihm gefällt, Weisheit, Erkenntnis und Freude. Doch wer sich nicht um Gott kümmert, den lässt er sich mühen, um Güter zu sammeln und Besitz anzuhäufen – um ihm dann seinen Reichtum fortzunehmen und denen zu geben, an denen er Freude hat. Dann war seine ganze Mühe sinnlos und gleicht dem Versuch, den Wind einzufangen. (Prediger 2,26)

      Weisheit, Erkenntnis und Freude – damit kann das Leben gelingen! Solche Güter erhält, wer Gott gefällt. Wie aber kommt es, dass die einen Gott gefallen wie Abel, die anderen, dem Kain gleich, aber nicht? Kann man etwas dafür tun, um Gott zu gefallen? Wenn ja, was? Seine Gebote beachten? Verschenkt Gott seine Gunst aufgrund undurchschaubarer Kriterien? Oder einfach nach Lust und Laune? Wahrscheinlich will Kohelet gar nicht die Prädestination thematisieren, also Vorherbestimmung durch Gott. Doch seine Bemerkung wirft Fragen auf.

      Wer sich nicht um Gott kümmert, wird bestraft – und zwar perfide: Erst legt er sich krumm für seinen Besitz, dann wird ihm alles genommen. Ist aber der Verlust schon Beweis für mangelndes Interesse an Gott?

      Kohelet beobachtet die Welt. Dann zieht er seine Schlüsse. Doch seine Perspektive bleibt begrenzt. Mir wäre es lieber, er würde häufiger mal bescheiden sagen: „Ich weiß es nicht!“ Er ist kein Theologe, macht aber steile Aussagen über Gott. Hätte er das Buch Hiob gelesen, fielen seine Behauptungen wohl zurückhaltender aus.

      Die Menschen, die ich oben kurz beschrieben habe, kann ich nur nehmen, wie sie sind. Ich kenne ihre Namen. Wie viel mehr muss derjenige ein großes Herz haben, der uns alle beim Namen ruft?

       Mittwochskind

      Ein Sonntagskind ist ein Glückskind. Ich wurde an einem Mittwoch geboren.

      Der Sonntag ist in der Zählweise der Juden, Christen und Muslime der erste Tag der Woche – entsprechend dem ersten Tag der Schöpfung. Die Christen begehen ihn ab dem 4.Jahrhundert als Feiertag, denn am ersten Tag der Woche fanden die Frauen das Grab Jesu leer vor. Jeder Sonntag erinnert an Ostern, die Auferstehung, den Mittelpunkt des Glaubens.

      In einigen Sprachen wird der Mittwoch nach alten Göttern benannt (so zum Beispiel Wednesday vom germanischen Wodan oder Mercredi vom römischen Merkur). Im Deutschen und in anderen Sprachen ist Mittwoch eine schlichte Funktionsbezeichnung: Der mittlere von sieben Tagen der Woche. Erst nachdem sich Deutschland im Jahr 1976 der internationalen Zeitstandardisierung angeschlossen hat, die den Montag als ersten Tag der Woche festlegt, gibt es die Verwirrung, dass die Mitte der Woche nun auf den Donnerstag fällt.

      Laut Schöpfungsmythos wurden am vierten Tag Sonne, Mond und die Sterne geschaffen. Ohne die Sonne könnte die Erde nicht existieren, gäbe es kein Leben. Ich bin an einem Mittwoch ins Licht der Sonne eingetreten. Der Tag zeigte sich damals leicht bewölkt, aber heiter, mit 13 Sonnenstunden.

      Der Mittwoch hat keinen guten Ruf. Zwar wird er nicht ganz so verdammt wie der Montag, aber Mittwoch klingt eben nach mittendrin. Bis zum Wochenende dauert es noch. Der Tag hat kein frommes Gedenken wie der Donnerstag (Letztes Abendmahl) oder der Freitag (Kreuzigung). Nach orthodoxer Tradition verriet Judas an einem Mittwoch seinen Herrn. Der einzige Mittwoch von Format ist der Aschermittwoch, an dem „alles vorbei“ ist – die Lust, die Freude, der Spaß. Das Fasten beginnt. An einem Mittwoch mussten früher einmal „gefallene Mädchen“ heiraten, solche durften den Samstag nicht entweihen.

      Dennoch liebe ich den Mittwoch, das Mittendrin. Wochenenden sind ja auch nicht nur schön. Der Mittwoch hält noch alle Chancen parat. Gelegenheit, etwas zu schaffen. Möglichkeit der Vorfreude. Wer den Mittwoch nicht mag, weil man da arbeiten muss, wie soll der seines Lebens froh werden? Ich schätze seine Normalität. Alltag. Nichts Besonderes.

      Der Mittwoch ist ein Sinnbild für meinen Glauben. Der mag am Sonntag zelebriert werden, aber bewähren muss er sich am Mittwoch: mittendrin! Mitten in Belastungen, Konflikten, Verrücktheiten. Viele Symbole des Glaubens (wie Gottesdienst, Gebet, Bibellesung, Sakramente, Bilder und so weiter) erhöhen die Seele wohlig. Aber helfen sie ihr und dem Verstand, das Dasein am Mittwoch zu bewältigen?

      Ich brauche eine Mittwochsspiritualität, eine fürs Mittendrin. Weil ich mein Leben nicht aufspalten will in einen frommen und einen weltlichen Teil. Die Grenzen von heilig und profan sind aufgehoben. Alles ist heilig, alles ist weltlich. Und mitten in dieser mitunter seltsamen Welt offenbart sich Gott, in meiner bescheidenen Existenz, die geprägt ist von Gegensätzen.

      Alles hat seine Zeit, alles auf dieser Welt hat seine ihm gesetzte Frist: Geboren werden hat seine Zeit wie auch das Sterben. Pflanzen hat seine Zeit wie auch das Ausreißen des Gepflanzten. Töten hat seine Zeit wie auch das Heilen. Niederreißen hat seine Zeit wie auch das Aufbauen. Weinen hat seine Zeit wie auch das Lachen. Klagen hat seine Zeit wie auch das Tanzen. Steine zerstreuen hat seine Zeit wie auch das Sammeln von Steinen. Umarmen hat seine Zeit wie auch das Loslassen. Suchen hat seine Zeit wie auch das Verlieren. Behalten hat seine Zeit wie auch das Wegwerfen. Zerreißen hat seine Zeit wie auch das Flicken. Schweigen hat seine Zeit wie auch das Reden. Lieben hat seine Zeit wie auch das Hassen. Krieg hat seine Zeit wie auch der Frieden. Was also hat der Mensch davon, dass er sich abmüht? (Prediger 3,1–9)

      Was Kohelet schreibt, klingt ja eigentlich nicht besonders originell, denn dass Glück und Pech, Erfolg und Niederlage, Gutes und Schlechtes einander abwechseln – das allein wäre eine banale Erkenntnis. Doch aus seinen Worten höre ich einen Gleichmut heraus, der sagt: