Wer braucht ein Herz, wenn es gebrochen werden kann. Alex Wheatle. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alex Wheatle
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783956143045
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      Alle sahen jetzt mich an.

      »Sag’s ihnen, Mo!«, drängte Elaine. »Mach schon! Schau sie an.« Irgendwas lähmte meine Zunge.

      Betretene Stille.

      »Vielleicht können wir mit deinem Namen und deiner Anschrift anfangen?«, schlug die Polizistin vor. »Kannst du uns sagen, auf welche Schule du gehst?«

      Ich holte megatief Luft und presste leise eine Antwort heraus. »Auf die South Crong High. Ich heiße Maureen Baker, bin fünfzehn Jahre alt und wohne mit meiner Mum zusammen.«

      Die Polizistin und Ms Hunt gaben sich die größte Mühe, ihre schönsten »O Gott, wir nehmen das wahnsinnig ernst«-Mienen aufzusetzen. Elaine nickte mir zu, trieb mich an.

      »Es geht um den Freund von meiner Mum«, fuhr ich fort.

      »Er ist in ihr Zimmer geplatzt und hat sie geschlagen, sodass sie aus dem Bett geflogen ist!«, explodierte es aus Elaine heraus, sie zeigte dabei auf mich.

      Ich holte erneut tief Luft und erzählte das ganze Drama mit Lloyd. Ms Hunt konnte echt schnell schreiben – ihre Finger verschwammen vor meinen Augen. Elaine strich mir über den Rücken – am liebsten hätte ich ihr gesagt, dass sie’s nicht so fest machen soll, ich war nämlich kurz davor zu kotzen.

      Die Bullen wollten eine offizielle Aussage von mir. Deshalb musste ich die ganze Geschichte noch mal erzählen.

      Sie fragten, ob ich einen Arzt sehen wollte. Nein.

      Dann fingen sie mit was an, das mir einen Wahnsinnsschrecken einjagte.

      »Du bist erst fünfzehn«, sagte Ms Hunt. »Wir müssen das Jugendamt informieren. Du bist gefährdet, und möglicherweise müssen wir geeignete Schritte einleiten, ist dir das bewusst? Oder zumindest die anderen Behörden auf deinen Fall aufmerksam machen, damit sie …«

      »Das Jugendamt bringt mich nirgendwohin!«, fauchte ich. »Ich will einfach nur, dass Lloyd aus der Wohnung verschwindet. Das ist alles. Ich will bei meiner Mum wohnen bleiben!«

      Ich dachte an Naomi im Heim und dass sie uns nie einlud, reinzukommen. Was zum Teufel ging innerhalb dieser Mauern vor?

      »Niemand wird dich von deiner Mum trennen«, sagte Ms Hunt. »Aber vielleicht braucht sie Hilfe oder eine Beratung, um dich besser schützen zu können …«

      Plötzlich war mir viel zu heiß. Der Druck in meinem Schädel war zu stark. Schweiß strömte aus meinen Achseln. Auch am Bauchnabel konnte ich ihn spüren. Ich trank den Rest meines Wassers und stand auf. »Elaine – ich kann das nicht.«

      »Aber du hast das toll gemacht, Mo«, sagte Elaine. »Du bist fast fertig«. Sie schaute die Polizistin an und fragte: »Sie ist doch fast fertig, oder?«

      Die Polizistin nickte. »Wenn du willst, Maureen, machen wir eine Pause – vielleicht gehst du zwischendurch Luft schnappen oder kommst morgen noch mal, um die Aussage fertigzustellen und zu unterschreiben?«

      »Das hat keine Eile«, sagte Ms Hunt. »Ist uns recht, so wie’s für dich am besten ist. Wenn du möchtest, rufen wir beim Jugendschutz an und sorgen dafür, dass du heute Abend eine sichere Unterkunft bekommst.«

      »Nein! Ich übernachte nicht bei Leuten, die ich nicht kenne!«

      Ich spürte, wie sie mir mit ihren starren Blicken den Schädel durchbohrten. Mein Gehirn fühlte sich an, als wollte es gleich explodieren. »ICH WILL RAUS HIER!«

      Elaine stand auf und nahm mich in den Arm. »Machen Sie die Tür auf«, sagte sie. »Ich geh mit ihr nach draußen.«

      Bevor ich rausgeführt wurde, schenkte mir Ms Hunt noch ein Glas Wasser ein. Die Polizistin machte die Tür auf. Andere Beamte schauten von ihren Schreibtischen und Computerbildschirmen auf. Ich konnte es nicht ertragen, angeglotzt zu werden, deshalb vergrub ich mein Gesicht an Elaines Schulter und ließ mich von ihr führen. Als ich die Augen wieder aufmachte, befand ich mich mit Elaine, der Polizistin und Ms Hunt auf dem Parkplatz. Wir setzten uns alle zusammen auf eine Bank. Meine Hände zitterten. Ich suchte in meinem Schulrucksack nach einem Taschentuch, konnte aber keins finden. Ms Hunt erriet, was ich suchte, und bot mir eins an. »Kann ich dir noch was holen?«, fragte sie. »Tee? Kekse?«

      Ich schüttelte den Kopf.

      »Würden Sie uns kurz alleine lassen?«, fragte Elaine.

      Die Polizistin und Ms Hunt sahen einander an, dann nickten sie. »Natürlich. Nehmt euch die Zeit, die ihr braucht.«

      Sie verzogen sich wieder nach drinnen. Die Abendluft kühlte meine Stirn. Hinter einer hohen Backsteinmauer rauschte der Verkehr. Ich hielt mir den Becher an die Lippen und trank.

      »Das ist echt sehr mutig, was du da machst, Mo«, sagte Elaine. »Vielleicht sollten wir morgen wiederkommen und die Aussage fertig aufnehmen lassen.«

      Ich war froh, dass Elaine das sagte. Ich atmete wieder leichter und wischte mir den Schweiß vom Gesicht.

      »Wir bitten die Bullen, uns nach Hause zu fahren«, sagte Elaine. »Das ist das Mindeste, was die machen können.«

      »Nicht ganz bis nach Hause«, sagte ich. »Ich will nicht, dass Mum oder Lloyd uns bei denen aus dem Wagen steigen sehen.«

      »Einverstanden«, sagte Elaine und umarmte mich noch mal.

      5

      MUTTERLIEBE

      BEVOR WIR DIE POLIZEIWACHE VERLIESSEN, fragte mich die Polizistin: »Maureen, bist du sicher, dass du das Aussageprotokoll nicht doch schon unterschreiben möchtest?«

      Das Wort »Aussageprotokoll« schockte mich. Ich stellte mir Leute mit Professor-Snape-Umhängen und weißen Perücken vor und schüttelte den Kopf. »Ich … ich komm morgen wieder. Oder vielleicht Ende der Woche.«

      »Bitte mach das«, sagte die Polizistin. Sie rang sich ein mitfühlendes Lächeln ab, aber ich konnte die Enttäuschung in ihren Augen sehen.

      Im Streifenwagen bat ich darum, zwei Ecken von meinem Wohnblock entfernt rausgelassen zu werden. Elaine stieg mit mir aus. Heiliger Bimbam! Sam würde niemals glauben, dass ich in einem Polizeiwagen mitgefahren war.

      »Soll ich mit dir rauf?«, bot Elaine an.

      Ich schaute auf meinem Handy nach der Uhrzeit. »Schon nach neun«, sagte ich. »Steht deine Mum nicht auf dem Balkon und schimpft?«

      »Bestimmt, aber ich würde gerne wissen, ob bei dir alles in Ordnung ist.«

      »Schon gut, Elaine. Wenn er was versucht, bist du die Erste, die ich anrufe.«

      Elaine umarmte mich lange. »Pass auf dich auf, Mo, und wenn das fette Arschloch dich auch nur schief anguckt, kommst du ganz schnell zu mir. Versprochen?«

      »Versprochen.«

      Ich verzog mich zum Haus. Elaine blieb stehen und sah mir nach, bis ich drin war. Müdigkeit überfiel mich, als ich die Treppe hochstieg. Mit jedem Schritt fühlte ich mich schwerer. Einen Augenblick blieb ich bei Sam vor der Tür stehen. Ich hätte ihm gerne von meinem Tag erzählt. Wollte sein Gesicht sehen, seinen Half-Fro und die Cornrows auf der anderen Seite. Sein Lächeln. Aber jetzt war er mit ihr zusammen. Vielleicht verknoteten sie schon ihre Zungen auf dem Sofa. Ich glaube kaum, dass Shevray Nein sagen würde, wenn Sam ihre Brust betatschen und die Finger gen Süden wandern ließ.

      Ich versuchte das Bild der beiden zusammen aus meinen Gedanken zu löschen, rannte die Treppe rauf und betrat die Wohnung. Sofort schlug mir der Geruch von Putzmittel und Lavendel entgegen. In der Küche plärrte das Radio »Chiquitita« von Abba. Ich ging hin und fand Mum mit Kopftuch und gelben Gummihandschuhen auf den Knien vor dem Backofen. Eine Schüssel Seifenwasser daneben. Ich stellte das Radio leiser.

      »Mum!«

      Sie drehte sich um und lächelte, hatte Schmutz am Kinn.

      »Ahhh! Meine Kleine ist zu Hause. Wo warst du?«

      »Im