Verändere dein Bewusstsein. Michael Pollan. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Pollan
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Математика
Год издания: 0
isbn: 9783956143069
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dass ich tot bin? Und wenn das Sterben ist, dachte ich, dann soll es so sein. Wie kann ich dazu Nein sagen?

       In diesem Moment, in der größten Erfahrungstiefe, spürte ich, wie all meine elementaren Gegensatzkategorien – Träumen und Wachsein, Leben und Tod, innen und außen, ich und das andere – in sich zusammenstürzten … Die Wirklichkeit schien zusammenzuklappen, in einer Art ekstatischen Katastrophe der Logik zu implodieren. Doch mitten in diesem halluzinatorischen Wirbelsturm hatte ich eine bizarre Erfahrung von außerordentlicher Erhabenheit.

       Und ich weiß noch, wie ich mir immer wieder sagte: ‹Nichts ist wichtig, nichts ist mehr wichtig. Ich sehe, worauf es ankommt!

       Gar nichts ist wichtig.›

      Und dann war es vorbei.

       In den letzten Stunden hat sich die Wirklichkeit dann langsam, mühelos wieder zusammengefügt. Synchron mit einer tief beeindruckenden Chormusik hatte ich das unglaublich ergreifende Gefühl triumphalen Erwachens, als würde nach einer langen, qualvollen Nacht ein neuer Tag anbrechen.

      Zur selben Zeit, als ich Richard Boothby und die anderen Probanden interviewte, las ich in der Hoffnung, Orientierung zu finden, William James‘ Beschreibung mystischen Bewusstseins in Die Vielfalt religiöser Erfahrung. Und tatsächlich half mir vieles von dem, was James zu sagen hatte, mich in der Flut von Wörtern und Bildern, die ich sammelte, zurechtzufinden. James leitete seine Erörterung mystischer Bewusstseinszustände mit dem Geständnis ein: «Meine eigene Konstitution schließt mich von ihrem Genuss fast vollständig aus.»30 Fast vollständig: Was James über mystische Zustände wusste, hatte er nicht nur aus seiner Lektüre zusammengetragen, sondern auch anhand eigener Experimente mit Drogen, darunter auch Lachgas.

      Statt zu versuchen, etwas so schwer Fassbares wie eine mystische Erfahrung zu definieren, nennt James vier «Merkmale», an denen wir sie erkennen können. Das erste und seiner Meinung nach «handfesteste» ist Unaussprechbarkeit: «Der Betroffene erklärt sofort, daß ihm der Ausdruck fehlt, daß er über den Inhalt seiner Erfahrung verbal nicht angemessen berichten kann.»31 Mit Ausnahme von Boothby verzweifelten alle Versuchspersonen, mit denen ich sprach, irgendwann daran, die ganze Wucht ihrer Erfahrungen zu vermitteln, obwohl sie es bereitwillig versuchten. «Man muss dabei gewesen sein», hieß es immer wieder.

      Die noetische Qualität ist James‘ zweites Merkmal: «Mystische Zustände [sind] für die, die sie erfahren, anscheinend auch Erkenntniszustände … Es handelt sich um Erleuchtungen, Offenbarungen, die bedeutungsvoll und wichtig erscheinen … und in der Regel haben sie einen merkwürdigen Nachgeschmack von besonderer Autorität.»32

      Für alle Probanden, die ich interviewt habe, brachte die Erfahrung mehr Antworten als Fragen hervor, und seltsamerweise – denn es ist und bleibt eine Drogenerfahrung – hatten diese Antworten etwas erstaunlich Handfestes und Dauerhaftes. John Hayes, ein Psychotherapeut in den Fünfzigern, der eine der ersten Versuchspersonen an der Hopkins University war,

       hatte den Eindruck, als würden Geheimnisse offenbart, und doch kam mir alles vertraut vor, eher so, als würde ich an etwas erinnert, das ich schon wusste. Ich hatte das Gefühl, in Dimensionen der Existenz eingeweiht zu werden, von denen die meisten Menschen nichts wissen, und das ausgeprägte Gefühl, dass der Tod eine Illusion ist, in dem Sinne, dass er eine Tür ist, durch die wir eine andere Ebene der Existenz betreten, dass wir einer Ewigkeit entstammen, in die wir zurückkehren werden.

      Das stimmt wohl, aber für jemanden, der eine mystische Erfahrung hat, nimmt so eine Erkenntnis die Wucht einer Offenbarung an.

      Viele der charakteristischen Erkenntnisse, die man während einer psychedelischen Reise gewinnt, schweben zwischen Tiefgründigkeit und völliger Banalität. Boothby, ein Intellektueller mit einem hoch entwickelten Sinn für Ironie, rang damit, die tiefen Wahrheiten über das Wesen unserer Menschlichkeit, das ihm bei seinen Psilocybin-Reisen offenbart wurde, in Worte zu fassen.

       Manchmal waren mir diese Wahrheiten fast peinlich, als würden sie eine kosmische Vision des Triumphs der Liebe zum Ausdruck bringen, die man spöttisch mit den Plattitüden von Glückwunschkarten verbindet. Dennoch finde ich die grundlegenden Erkenntnisse, die mir während der Sitzung gewährt wurden, noch größtenteils überzeugend.

      Wie lautet die überzeugende Erkenntnis des Philosophieprofessors?

       Die Liebe überwindet alles.

      James geht kurz auf die Banalität dieser mystischen Erkenntnisse ein: «das Gefühl […], das einen gelegentlich überkommt, wenn man die Bedeutung einer Maxime oder einer Formel plötzlich tief empfindet. ‹Ich habe das mein Leben lang gehört›, stellen wir fest, ‹aber erst jetzt verstehe ich, was damit eigentlich gemeint war.›»33 Die mystische Reise scheint eine Weiterbildung im Offensichtlichen zu sein. Doch nach der Erfahrung verstehen die Leute diese Plattitüden auf eine neue Art; was man vorher nur wusste, spürt man jetzt, und es bekommt das Gewicht einer tief verwurzelten Überzeugung. Und meistens handelt diese Überzeugung von der großen Bedeutung der Liebe.

      Karin Sokel, eine Lebensberaterin und energetische Heilerin in den Vierzigern, schilderte eine Erfahrung, «die alles veränderte und mich völlig öffnete». Auf dem Höhepunkt ihrer Reise hatte sie eine Begegnung mit einem Gott, der sich «Ich Bin» nannte. In seiner Gegenwart, erinnert sie sich, «explodierte jedes einzelne meiner Chakren. Und da war so ein Licht, es war das reine Licht der Liebe und Göttlichkeit, es war bei mir, und es bedurfte keiner Worte. Ich war in der Gegenwart dieser absoluten reinen göttlichen Liebe, und in einer Energieexplosion verschmolz ich damit … Schon wenn ich davon spreche, laden sich meine Finger elektrisch auf. Die Energie durchdrang mich. Ich weiß jetzt, dass der Kern unseres Seins die Liebe ist. Auf dem Höhepunkt der Erfahrung hielt ich buchstäblich Osama bin Ladens Gesicht, blickte ihm in die Augen, spürte reine Liebe von ihm und schenkte ihm reine Liebe. Der Kern ist nicht das Böse, sondern die Liebe. Dieselbe Erfahrung hatte ich mit Hitler und dann jemandem aus Nordkorea. Deshalb glaube ich, dass wir göttlich sind. Das ist nicht verstandesmäßig, das ist inneres Wissen.»

      Ich fragte Sokel, was sie so sicher mache, dass es kein Traum oder eine drogenbedingte Fantasie war – eine Hypothese, die ihrem noetischen Empfinden nicht gewachsen war: «Das war kein Traum. Das war so real wie unser Gespräch. Ohne die direkte Erfahrung hätte auch ich es nicht verstanden. Aber jetzt ist es fest in meinem Gehirn verdrahtet, sodass ich mich damit verbinden kann und es oft tue.»

      Diesen letzten Punkt berührt James in seiner Erörterung des dritten Merkmals mystischen Bewusstseins, der «Flüchtigkeit». Denn auch wenn der mystische Zustand nicht lange aufrechterhalten werden kann, bleiben seine Spuren bestehen und treten wieder auf, «und mit jedem Wiederauftreten kann das Gefühl einer kontinuierlichen Entwicklung an innerem Reichtum und Bedeutung verbunden sein».34

      Das vierte und letzte Merkmal in James‘ Typologie ist die wesentliche «Passivität» der mystischen Erfahrung. «Der Mystiker [hat] das Gefühl, sein eigener Wille sei außer Kraft gesetzt, und fühlt sich manchmal sogar von einer höheren Macht ergriffen und gehalten.»35 Der Eindruck, sich zeitweilig einer höheren Macht überlassen zu haben, gibt der Person oft das Gefühl, als hätte er oder sie sich dauerhaft verändert.

      Bei den meisten Versuchspersonen, die ich interviewte, lagen die Psilocybin-Reisen zehn, fünfzehn Jahre zurück, und dennoch spürten sie die Wirkung noch deutlich, in manchen Fällen sogar tagtäglich. «Psilocybin hat mein Mitgefühl und meine Dankbarkeit auf eine Art geweckt, wie ich es noch nie erlebt habe», sagte eine Psychologin, die nicht namentlich genannt werden will, als ich sie nach nachhaltigen Auswirkungen fragte. «Vertrauen, Loslassen, Offenheit und Sein waren für mich die wichtigsten Kriterien der Erfahrung. Jetzt weiß ich all das, statt nur daran zu glauben.» Sie hatte Bill Richards‘ Fluganweisungen in ein Handbuch des Lebens verwandelt.

      Richard Boothby machte es ähnlich und erhob seine Erkenntnis übers Loslassen zur Ethik:

       Bei meiner Sitzung wurde die Kunst der Entspannung selbst zur Grundlage einer gewaltigen Offenbarung, da ich plötzlich das Gefühl hatte,