Verändere dein Bewusstsein. Michael Pollan. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Pollan
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Математика
Год издания: 0
isbn: 9783956143069
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als würde es sich gerade noch an den Kontinent klammern, wurde 1962 gegründet, war seither ein Gravitationszentrum für das sogenannte «Human Potential Movement» in Amerika und fungierte als inoffizielle Hauptstadt des New Age. Hier wurden im Lauf der Zeit zahlreiche therapeutische und spirituelle Mittel und Wege entwickelt und gelehrt, darunter auch das therapeutische und spirituelle Potenzial von Psychedelika. Seit 1973 arbeitete der ausgewanderte tschechische Psychiater Stanislav Grof, einer der Wegbereiter der LSD-unterstützten Psychotherapie, als Gastwissenschaftler in Esalen, hatte jedoch bereits zuvor dort jahrelang Workshops veranstaltet. Grof, der schon Tausende von LSD-Sitzungen geleitet hat, sagte einmal voraus, Psychedelika «könnten für die Psychiatrie das Gleiche sein, was das Mikroskop für die Biologie oder das Teleskop für die Astronomie ist. Diese Instrumente ermöglichen es, wichtige Prozesse zu studieren, die man unter normalen Umständen nicht direkt beobachten kann.»27 Hunderte kamen nach Esalen, um durch dieses Mikroskop zu schauen, oft in Workshops, die Grof für Psychotherapeuten veranstaltete, die Psychedelika in ihre praktische Arbeit einbinden wollten. Viele, wenn nicht die meisten der Therapeuten und spirituellen Führer, die diese Arbeit heute im Verborgenen leisten, haben ihre Fertigkeiten zu Füßen von Stan Grof im Großen Haus in Esalen erworben.

      Ob diese Arbeit dort nach dem LSD-Verbot fortgeführt wurde, ist ungewiss, es wäre allerdings nicht überraschend: Der Ort thront so weit draußen am Rand des Kontinents, dass man das Gefühl haben kann, dem Zugriff der Bundespolizei entzogen zu sein. Doch zumindest offiziell wurden die Workshops nach dem LSD-Verbot eingestellt. Stattdessen unterrichtete Grof etwas, das sich holotropes Atmen nannte, eine Technik, die durch tiefes, schnelles und rhythmisches, gewöhnlich von lautem Trommeln begleitetes Atmen ohne Drogen einen psychedelischen Bewusstseinszustand erzeugte. Doch Esalens Rolle in der Geschichte der Psychedelika endete nicht mit ihrem Verbot. Esalen wurde der Ort, an dem man zusammenkam, um Kampagnen zu planen, in der Hoffnung, diese Substanzen, ob als Ergänzung zur Therapie oder als Mittel spiritueller Entwicklung, wieder in die Kultur einführen zu können.

      Im Januar 1994 gelang es Bob Jesse, zu einem dieser Treffen in Esalen eingeladen zu werden. Als er nach einem freitäglichen Abendessen bei den Shulgins beim Geschirrspülen half, erfuhr er, dass sich eine Gruppe von Therapeuten und Wissenschaftlern in Big Sur versammeln würde, um über die Chance zu sprechen, die Psychedelik-Forschung wiederaufleben zu lassen. Es gab Anzeichen, dass sich die Tür, die Washington, D.C., Ende der 1960er Jahre zugeschlagen hatte, wieder öffnen könnte, und sei es nur einen Spaltbreit: Curtis Wright, ein neuer Verwaltungsbeamter in der Arzneimittelzulassungsbehörde (und, wie es der Zufall wollte, ein ehemaliger Student Roland Griffiths‘ an der Hopkins University), hatte signalisiert, dass Forschungsprotokolle für Psychedelika genauso behandelt würden wie alle anderen – beurteilt nach ihren Leistungen. Um diese neue Offenheit zu testen, hatte ein Psychiater an der University of New Mexico namens Rick Strassman die Genehmigung zur Untersuchung der physiologischen Auswirkungen von Dimethyltryptamin beantragt, einer starken, in vielen Pflanzen vorkommenden psychedelischen Substanz, und sie auch erhalten. Dieser kleine Test führte zum ersten behördlich genehmigten Experiment mit einer psychedelischen Substanz seit den 1970er Jahren – im Rückblick ein einschneidendes Ereignis.

      Etwa zur selben Zeit hatten Rick Doblin und Charles Grob, ein Psychiater an der UCLA, von der Regierung die Genehmigung für den ersten Menschenversuch mit MDMA erhalten. (Grob ist einer der ersten Psychiater, der für die Wiedereinführung von Psychedelika in der Psychotherapie plädierte; später leitete er den ersten neuzeitlichen Versuch mit Psilocybin an Krebspatienten.28) Ein Jahr vor dem Treffen in Esalen (an dem Grob und Doblin beide teilnahmen) gründete David Nichols, ein Chemiker und Pharmakologe der Purdue University, das Heffter Research Institute – benannt nach dem deutschen Chemiker, der 1897 als Erster Meskalin isolierte –, mit dem damals noch unrealistischen Ziel, seriöse Psychedelik-Wissenschaft zu finanzieren. (Seitdem hat das Institut viele der heutigen Versuche mit Psilocybin gefördert.) Also keimten Anfang der 1990er Jahre vereinzelte Zeichen der Hoffnung auf eine Wiederbelebung der Psychedelik-Forschung. Die kleine Community, die diesen Traum in den dunklen Zeiten aufrechterhalten hatte, begann sich zaghaft im Stillen zu organisieren.

      Obwohl Jesse noch ein Neuling in der Community und weder Wissenschaftler noch Therapeut war, bat er, an dem Treffen in Esalen teilnehmen zu dürfen, und bot an, sich nützlich zu machen und notfalls auch Wassergläser nachzufüllen. Den größten Teil der Zeit beanspruchten Gespräche über die potenzielle medizinische Anwendung von Psychedelika und den Bedarf an Grundlagenforschung in den Neurowissenschaften. Jesse war enttäuscht, dass man dem spirituellen Potenzial der Substanzen so wenig Aufmerksamkeit widmete. Als er das Treffen verließ, dachte er: «Okay, es gibt Handlungsspielraum. Ich hatte gehofft, einer der Leute würde den Ball aufnehmen, aber sie waren mit dem anderen Ball beschäftigt. Also beschloss ich, mich bei Oracle beurlauben zu lassen.» Innerhalb eines Jahres gründete Jesse den Council on Spiritual Practices, und nach zwei Jahren, im Januar 1996, veranstaltete der Council in Esalen sein eigenes Treffen, mit dem Ziel, in der Kampagne zur Wiederbelebung von Psychedelika eine zweite Front zu eröffnen.

      Passenderweise fand das Treffen im Maslow-Saal in Esalen statt, benannt nach dem Psychologen, dessen Schriften zur Hierarchie menschlicher Bedürfnisse die Bedeutung von «Grenzerfahrungen» in der Selbstverwirklichung hervorhoben. Die meisten der fünfzehn Teilnehmer waren «psychedelische Größen», Therapeuten und Forscher wie James Fadiman, Willis Harman und Mark Kleiman, außerdem ein Experte für Drogenpolitik an der Kennedy School (der dort Rick Doblins Doktorvater war) sowie Leute aus dem religiösen Bereich wie Huston Smith, Bruder David Steindl-Rast und Jeffrey Bronfman, der Leiter der UDV-Kirche in Amerika (und Erbe des Seagram-Firmenvermögens). Doch Jesse entschied sich klugerweise, auch einen Außenstehenden einzuladen: Charles «Bob» Schuster, der unter Ronald Reagan und George H. W. Bush als Direktor der Nationalen Drogenbehörde gearbeitet hatte. Jesse kannte Schuster nicht besonders gut; sie hatten mal auf einer Tagung kurz miteinander gesprochen. Doch Jesse hatte nach der Begegnung gedacht, Schuster könnte einer Einladung aufgeschlossen gegenüberstehen.

      Der genaue Grund, warum Bob Schuster – einer der führenden Leute im akademischen Establishment, das den Krieg gegen Drogen unterstützte – für die Idee offen sein sollte, nach Esalen zu kommen, um über das spirituelle Potenzial von Psychedelika zu diskutieren, war ein Rätsel, zumindest bis sich mir die Gelegenheit bot, mit seiner Witwe Chris-Ellyn Johanson zu sprechen. Johanson, die ebenfalls Drogenforscherin ist, zeichnete das Bild eines Mannes mit außergewöhnlich vielseitigen Interessen und großer Neugier.

      «Bob war exzessiv in seiner Weltoffenheit», sagte sie lachend. «Er redete mit jedem.» Wie viele Leute im Umfeld der Drogenbehörde wusste Schuster gut, dass Psychedelika nur schlecht zum Profil eines Suchtstoffes passten; Tiere, die das selbst entscheiden können, nehmen ein Psychedelikum kein zweites Mal, und die klassischen Psychedelika haben einen auffallend geringen Giftgehalt. Ich fragte Johanson, ob Schuster selbst einmal eins genommen habe; Roland Griffiths hatte mir gesagt, er halte es für möglich. («Bob war Jazzmusiker», erzählte Griffiths, «deshalb wäre ich nicht überrascht.») Doch Johanson verneinte. «Er war daran interessiert», sagte sie, «aber ich glaube, er war zu ängstlich. Wir waren Martini-Trinker.» Ich fragte, ob er ein spiritueller Mensch war. «Eigentlich nicht, aber ich glaube, er wäre es gern gewesen.»

      Jesse, der sich nicht ganz sicher war, was Schuster von dem Treffen halten würde, arrangierte, dass sich Jim Fadiman mit ihm das Zimmer teilte, und beauftragte den Psychologen, ihn unter die Lupe zu nehmen. «Am nächsten Morgen kam Jim in aller Frühe zu mir und sagte: ‹Bob, Auftrag ausgeführt. Da hast du einen tollen Menschen gefunden.›»

      Seiner Frau zufolge genoss Schuster die Zeit in Esalen. Er nahm an einem Trommelworkshop teil, den Jesse in die Wege geleitet hatte – das gehört in Esalen einfach dazu –, und war erstaunt zu entdecken, wie leicht er in Trance verfiel. Doch Schuster leistete auch wichtige Beiträge zu den Diskussionen der Gruppe. Er warnte Jesse davor, mit MDMA zu arbeiten, weil er glaubte, es sei giftig fürs Gehirn, und weil es inzwischen den üblen Ruf genoss, eine Klubdroge zu sein. Und er wies darauf hin, dass Psilocybin ein viel besserer Kandidat für die Forschung sei als LSD, vor allem aus politischen Gründen: Da viel weniger Leute davon gehört hatten, schleppte es nicht den politischen und kulturellen Ballast von LSD mit sich herum.

      Am Ende des Treffens hatte sich die Esalen-Gruppe